Wie lange wird es das noch geben - die unmittelbare und persönliche Begegnung mit Menschen wie Pavel Hoffmann (rechts im Gespräch mit Zuhörern), die das "größte Verbrechen der Menschheit" überlebt haben und davon zur Mahnung berichten? Foto: Kunert

Gedenktag: Holocaust-Überlebender Pavel Hoffmann warnt vor Wiedererstarken des Antisemitismus in der Welt.

Bad Liebenzell - Es sind irgendwie letzte Gelegenheiten – die Augenzeugen- und Lebensberichte der Überlebenden, die 72 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz den Holocaust-Gedenktag am 27. Januar eines jeden Jahres begleiten.

Pavel Hoffmann ist einer dieser letzten Überlebenden. Der Verein Zedakah – das Wort bedeutet im Hebräischen "Wohltätigkeit" – hatte ihn zusammen mit der Stadtverwaltung nach Bad Liebenzell zu dieser Gedenkveranstaltung eingeladen. Der Spiegelsaal im Kurhaus ist nahezu voll besetzt, nicht nur Liebenzells Bürgermeister Dietmar Fischer wird sich in seinem Grußwort dabei über die vielen jungen Menschen im Publikum ein wenig hoffnungsvoll wundern, aber vor allem freuen. "Ihr seid die letzte Schülergeneration, die irgendwann uns Zeitzeugen noch persönlich erlebt haben wird", wird Pavel Hoffmann kommentieren.

Perfide Maschinerie des geplanten Völkermords

Und es lohnt sich, einmal tiefer darüber nachzudenken, was diese Worte in ihrer Konsequenz eigentlich bedeuten. Hoffmann spricht insgesamt etwas mehr als eine Stunde, nicht nur über seine Erlebnisse im Holocaust – die er als 1939-Geborener, und damit damals als sehr kleiner Junge, eigentlich auch nur selbst in ihrer ganzen grausamen Tragweite durch Hörensagen für sich rekapitulieren konnte. Hoffmann holt aus, zeigt die geopolitischen Zusammenhänge in seinem Heimatland Tschechoslowakei auf – vor und nach der Machtergreifung durch die Nazis in Deutschland. Rollt in gerafften Worten die perfide Maschinerie des geplanten, totalen Völkermords an den Juden – "dem größten Verbrechen der Menschheit" – auf. Das hat man als heutiger Deutscher aber schon oft gehört. Und, wenn man wirklich ehrlich ist, kann man als Zuhörer und doch Betroffener als Teil des Täter-Volkes all diese schrecklichen Tatsachen so wunderbar leicht "abstrahieren". Von außen betrachten und analysieren. In eine Schublade packen. Abhaken?

Das gelingt nicht mehr, wenn Pavel Hoffmann als eben echtes Opfer dann seine Familienbilder zeigt. Sein Großvater, seine Eltern, der Saal voller Verwandte bei einer Hochzeit in der weitverzweigten Familie. So viele Gesichter. "Nur dieser Onkel hat überlebt", zeigt Hoffmann. Alle anderen lebendigen Gesichter da auf diesem Bild starben in den Gaskammern von Auschwitz und anderswo.

Hoffmann zeigt auch die Todeslisten, auf denen er die Namen seiner Familie markiert hat. Der ultimative erschreckende Zynismus einer deutschen Bürokratie, die selbst ihre zügellos entfesselte systematische Mordlust noch in Aktenordnern dokumentiert und abheftet. Für Pavel Hoffmann ist es ein Wunder, von dem er bis heute nicht wirklich weiß, wie es passierte, dass er – gerade er – dieses alles überleben sollte. Um heute davon Zeugnis abzulegen eben vor den Töchtern, Söhnen und Enkeln der Täter.

Eigentlich soll es eine Fragerunde mit dem Publikum nach dem Vortrag von Pavel Hoffmann geben. Doch einer im Publikum steht auf und fragt stattdessen, wie man denn nach all dem noch irgendetwas ihn Fragen stellen solle – anstatt einfach nur noch betroffen und zutiefst beschämt nach Hause zu gehen? Es ist einfach ohne Worte, wie unfassbar groß diese Bürde der damaligen Taten auch heute noch für uns Deutsche sein müsste.

Denn auch das ist ein Thema dieses Abends und ein vehement vorgetragenes Anliegen von Pavel Hoffmann: Aufstehen, ein Zeichen setzen gegen den längst wieder salonfähigen, auch in der deutschen Gesellschaft wieder weitverbreiteten Antisemitismus. Hoffmann listet eine beklemmend lange Reihe von Beispielen auf, der sich niemand im Saal entziehen kann. Weil es aus der Mitte der Gesellschaft kommt – diese neue Form der Gewalt gegen Juden. Und die nur funktioniert, wenn die neuen Täter ungebremst "abstrahieren" können, was damals zwischen 1939 und ’45 und eigentlich auch die 1500 Jahre davor, mit dem Volk Israel in dieser Welt geschehen ist. Wer Zeitzeugen des Holocaust wie Pavel Hoffmann oder vor zwei Jahren ebenfalls in Bad Liebenzell Asher Ud mit eigenen Ohren zugehört und mit eigenen Augen erlebt hat, ist diese neue Aggression schlechterdings unmöglich. Der kann nur noch betroffen und zutiefst beschämt nach Hause gehen.

Zeitzeugenbericht mit Wucht an Wirkung

Zeitzeuge Ascher Ud, der 2015 zum 70-jährigen Gedenken der Auschwitz-Befreiung nach Bad Liebenzell kam, starb im vergangenem Jahr. Und mit ihm eine dieser wichtigen Begegnungsmöglichkeiten mit Zeitzeugen. Es wird sich zeigen (müssen), ob die von Vereinen wie Zedakah organisierten und verfügbar gemachten multimedialen Aufzeichnungen dieser Zeitzeugenberichte einmal bei den nachfolgenden Generationen die gleiche Wucht an Wirkung werden entfalten können wie die tatsächliche, unmittelbare Begegnung mit diesen Menschen. Oder ob doch wieder – wie es aktuell wieder scheint – der Hass über die (Nächsten-)Liebe dem "Anderen" gegenüber in nicht nur unserer Gesellschaft siegen wird.