Das Ensemble bot mit seinem Stück "Die Lindenwirtin" einen interessanten Einblick in die Zeit der eigenen Vorfahren. Foto: Stöß Foto: Schwarzwälder Bote

Theater: Das Stück "Die Lindenwirtin" entführt ins Bad Liebenzell des frühen 20. Jahrhunderts

Unterhaltsam und lehrreich. So erlebten die begeisterten Zuschauer das Theaterstück "Die Lindenwirtin" in Bad Liebenzell.

Bad Liebenzell. War schon die Handlung mit tiefem Sinn sowie einer Prise Humor perfekt gewürzt, wurde auch der Gaumenbereich aufs angenehmste verwöhnt. Mit Maultaschen, Kartoffelsalat sowie anderen Leckereien konnte man es sich richtig gut gehen lassen. Der mit viel Liebe zum Detail geschmückte Jugendstil-Theatersaal des Kulturtreffs Bürgerhaus bot die authentische Bühne zu Begebenheiten aus der Bäderstadt um das Jahr 1900 herum.

Seit 20 Jahren ist dort das Freie Theater beheimatet. Heuer hat sich Autorin Barbara Schmidtke intensiv mit der Geschichte der Bäderstadt beschäftigt. Fiktiv wurden Originale aus der wilhelminischen Zeit zum Leben erweckt. Der gespielten Geschichte lagen Handlungen zugrunde, die zum Teil historisch belegt sind, basierend auf Anekdoten und Erinnerungen. Der Besucher fühlte sich zurückversetzt in jene "gute alte Zeit", in der die eigenen Vorfahren selbst noch junge Menschen waren.

Die unterhaltsame Reise in die Liebenzeller Geschichte begann mit einer Führung. Der Büttel der Bäderstadt (Ernst Heeskens) höchstpersönlich nahm die wissbegierigen Stadtspaziergänger mit auf seinen historischen Streifzug durch das untere und obere Bad Liebenzell.

25 Telefone und elektrische Straßenbeleuchtung bringen Ruf einer modernen Stadt ein

Manch einem war bis dato nicht bekannt, dass sich zum Zeitpunkt des Geschehens (1907) gerade die Liebenzeller Mission in der Stadt niederließ. Und dass sich Bad Liebenzell über die Stadtgrenzen hinaus mit 25 Telefonen und elektrischer Straßenbeleuchtung den Ruf einer höchst modernen Stadt erwarb.

Im Schauspiel, nach Stärkung mit Hausmannskost und Getränken, spielte eben jener Fortschritt eine Rolle. Ob Wollspinnerei oder elektrischer Strom, aus der Nagold gewonnen, vieles brachte für das Volk Gutes mit sich. Doch gehört für den Zweifler zum Segen der Fluch. "Wer weiß, wo uns der Fortschritt noch hinbringt." Die Berlinerin (dargestellt von Barbara Schmidtke) ließ Hoffnungen, "alles möge doch so bleiben wie es ist", mit frecher Berliner Schnauze jäh zerplatzen. "Den technischen Fortschritt hält eh keener mehr uff." Liebenzell verglich sie an dieser Stelle mit Berlin.

Der preußische Gast hatte, sehr zur Heiterkeit des Publikums verschiedene sprachliche Barrieren zu überwinden. Sich mit einem "Deppich zudecke", das war für die Berlinerin nur eine von mehreren schwäbischen Sprachgemeinheiten.

Die eigentliche Hauptrolle kam der resoluten Wirtin der "Linde" (Lea Schmidtke) zu. Frauen mussten sich in jener Zeit jeden Millimeter an Selbstbestimmtheit mit Courage erkämpfen. Im Besonderen stand die durchsetzungsfähige Wirtin Friederike Luise Stark ihre Frau. Durch Dialoge und Lieder wurde das ihr eigene Männerbild deutlich: "Die Männer sind doch alle gleich. Sie sehen nur deshalb unterschiedlich aus, damit wir sie auseinanderhalten können."

Es wurde auch gesungen. Das Ensemble erfreute die Gäste mit gemeinsam intonierten Volksweisen ("Bürgerlied", "Kein schöner Land in dieser Zeit"). Durch die Lieder bekamen die damaligen, oft armen, einfachen Bürger eine Stimme. Der ernannte Musikdirektor Liebenzells, Georg Wohlgemuth (Bernd Karl) und seine Mostkapelle (Stefan Huber, Sven Schaffert) unterstützten das singende und schauspielende Ensemble mit Klavier, Bass und Schlagzeug.

Parallelen zur heutigen Zeit: Emanzipation der Frauen nach wie vor Thema

Zudem waren die Musikusse während des gesamten Stückes als stets trinkende Kumpane des "Lebrebatsch" (Daniel Bock) höchst präsent. Lebrebatsch, eine durch Anekdoten historisch bekannte Person, war, wie viele Männer der damaligen Zeit, dem Trunke und der Weiblichkeit zugetan. So auch der Lindenwirtin, was im gleichnamigen Lied zum Ausdruck kam.

Barbara Schmidtke erzählte nach der erfolgreichen Aufführung über ihr Motiv, ein solches Stück zu schreiben. Sie sieht Paralellen zur heutigen Zeit. Damals war die Lindenwirtin die Frau, die, auf sich alleine gestellt, stark und mutig sein musste, um sich behaupten zu können. Deshalb auch die Liedzeile "wir wollen uns vom Manne emanzipieren". Zudem begleitet die besondere Geschichte Bad Liebenzells Schmidtke schon länger. Es war für die Künstlerin folgerichtig, dass im Stück das arbeitsame, ärmliche Liebenzeller Bürgertum seine Wertschätzung fand. So wie die beiden, der Epoche entsprechend, dunkelschwarz gekleideten Liebenzeller Bürgerinnen (Heike Zenglein und Elisabeth Maier).

Kulturinteressierte dürfen sich freuen. Weitere Aufführungen sind am 24. Juni, 12. August und 30. September geplant.

Zuvor wagt sich Schmidtke an ein anderes Stück Liebenzeller Geschichte heran: Für das Zwei-Personen-Stück "Paracelsus – Versuch einer Annäherung" konnte sie den Schauspieler Ben Millef gewinnen. Die Uraufführung findet am 16. Juni im Parksaal Bad Liebenzell statt. Zwei weitere Termine liegen im August und September.