Rezitator Rudi Korbel (links) und Gitarren-Virtuose Volker Luft ließen den Reformator Martin Luther einen unfassbaren Abend lang lebendig werden. Foto: Kunert Foto: Schwarzwälder-Bote

Reformation: Einmaliges Bühnenwerk

Selig sind die, die noch echte Fantasie in ihren Synapsen haben – ein ganz außergewöhnliches Erlebnis wartete hier auf sie: die "musikalisch literarische Biografie mit Texten und Musik von Martin Luther".

Bad Liebenzell. Vorgetragen wurde diese von Rezitator Rudi Korbel und Gitarren-Virtuose Volker Luft. Zugegeben – es blieben noch ein paar Plätze frei an diesem Abend im Parksaal des Bad Liebenzeller Bürgerzentrums, aber die vielleicht 60 Neugierigen erlebten etwas in dieser Form ganz Unerhörtes, Einmaliges. Da wurde durch seine Musik und seine Worte ein real erlebbarer Martin Luther greifbar – in seiner Zeit, mit den Bildern und der Sprache seiner Epoche.

Von der Kindheit bis zum Sterbebett

Und zwar der ganze Martin Luther, von seiner Kindheit bis ins Sterbebett. Schauspieler Korbel hat wie ein buntes Kaleidoskop Luthers eigene Berichte über dessen eigenes Leben zusammen arrangiert, rezitiert sie als Ich-Erzähler mit sanfter Emotionalität. Behutsam meist, manchmal aber doch auch polternd – etwa, wenn er von "seinen" Erlebnissen in Rom berichtet: "Welch eine Enttäuschung, Rom ist ein Zirkus, es dreht sich alles nur ums Geld".

Daneben, darunter und oft darüber die Gitarren-Klänge von Volker Luft – besonders auch sie in vielerlei Hinsicht. Es sind durchweg Melodien von Luther – Luther, dem Komponisten. Luther, der Liedermacher, der Lautenspieler, der Flötist. Luft hat die noch mittelalterlich geprägten originalen Kompositionen des Reformators in einer zweijährigen Arbeit für moderne Tonleitern und Taktmaß verfügbar gemacht. Das war ursprünglich auch der Ausgangspunkt für die Entwicklung dieses einmaligen Bühnenwerks mit Kollege Korbel. "Würde Luther heute leben, würde er wohl ›Schrummelgitarre‹ spielen." Die Klampfe rühren am Lagerfeuer, vielleicht um die Mädchen zu beeindrucken. "Das funktioniert ja immer..."

Und Luther war ein durch und durch sinnlicher Mann. Brach als ehemals katholischer Priester, der er nach einer überlebten Gewitternacht und einem daraus folgenden Schwur geworden war, das Zölibat. Heiratete seine Katharina von Bora, war Vater von sechs Kindern. All das lässt Korbel hier mit den Texten Luthers und seiner eigenen Stimme in den Köpfen seines Publikums auferstehen. Mit Luther-Lufts Soundtrack dazu.

Nochmal zurück zu Volker Lufts Gitarren-Spiel: Er hat da nicht irgendeine Gitarre nach Liebenzell mitgebracht, es ist eine vom bekannten Gitarrenbau-Künstler Daniel Stark. Ein kleines, rares Instrumentenwunder mit einem ganz außergewöhnlichen Klang und wohl einzigartiger Konstruktion: tief eingeschnittenes, sogenannten Cutaway, das der Musiker an diesem Instrument braucht, um das besonders lange, 24-bündige Griffbrett auch in den hohen Tönen, also ganz nah am und auf dem Gitarrenkorpus, optimal "von unten" erreichen zu können. Dadurch entsteht ein Gitarren-Klang, der zwar wohl nicht original 16. Jahrhundert – Luthers Zeit – sein dürfte, aber doch solch eine Klangwelt im Ohr erzeugt, wie wir uns diese vergangenen Epochen als hör-sinnliche Erfahrung gerne vorstellen wollen. Der Blick in die Geschichte ist ja immer ein Blick vom Heute aus.

Das gilt übrigens auch für Luthers Musik selbst. Der komponierte seine Lieder ohne Moll und Dur, ohne Takt- und Ton-Maß. Das alles kannte seine Zeit nicht, beziehungsweise noch aus dem Mittelalter gab es dafür eigene, andere tonale Rahmen und Konstruktionen. Was wir heute von Luthers musikalischem Werk kennen und lieben – zum Beispiel "Eine feste Burg ist unser Gott" oder "Vom Himmel hoch da komm’ ich her" – wurde in den Jahrhunderten seitdem "geglättet", transponiert für unser modernes Hörempfinden. Luft geht mit seiner Interpretation jedoch ein paar Schritte zurück in die Vergangenheit der Musik und Klänge. Doch den Zauber, die Magie hat diese Musik dadurch für uns kein Stück verloren. Ganz im Gegenteil: Sie gewinnt so nur die Möglichkeit, im Hier und Heute mit ihrer ganzen historischen Wucht uns noch einmal mehr und neu beeindrucken zu können. Zu begeistern. Der echte, der wahre Luther ist auf einmal ganz real. Und nah.

Ein intensiver Hörgenuss

Es gibt wohl wenige theatrale, musikalische Formate, in denen man in vielleicht zwei Stunden intensiven Hörgenusses soviel über eine Größe unserer Geschichte unterhaltsam erfahren kann wie bei diesem musikalischen Sprech- und Erzähltheater von Korbel und Luft. Sehr, sehr viel mehr als ein "klingender Wikipedia-Eintrag". Der Mensch Luther, seine Persönlichkeit wurden spürbar, zugänglich für den geneigten Zuhörer. Und nicht (nur) der Reformator, der Revoluzzer seiner Zeit. Auch der ungezogene Sohn seiner Eltern, der zechende Student und Lautensänger, der mit dem Alter zunehmend brillante Rhetoriker, der unfassbare Dickschädel. Der eben auch ganz normale Mensch. Der von Gewissen und durch daraus erwachsenden Notwendigkeiten getrieben ein ganz Großer unserer Geschichte wurde. Vielleicht der Größte. Dieser Abend mit Rudi Korbel und Volker Luft ließ diesen Martin Luther einem wirklich ganz, ganz nahe kommen.