Das Tübinger Landgericht ist Schauplatz eines Missbrauchsprozesses. Foto: Bernklau

35-Jähriger soll Kind in Bad Liebenzell beim Fernsehgucken an die Wäsche gegangen sein. Mehrere Übergriffe.

Tübingen/Bad Liebenzell - Der Mann ist seit Jahren weggesperrt. Trotzdem begann am Dienstag vor dem Landgericht Tübingen der Prozess gegen einen 35 Jahre alten Kraftfahrer. Ihm wird vorgeworfen, sich von 2006 an in Bad Liebenzell vier Mal an einem damals sechsjährigen Mädchen vergangen zu haben.

Der Angeklagte ist das, was man einen Intensivtäter nennt – aber keineswegs nur bei Sexualdelikten. Wegen eines anderen, ganz ähnlichen, aber noch schwereren, häufigeren Missbrauchsfalls aus dem Jahr 2009 verbüßt er zur Zeit in Rottenburg eine fünfjährige Haftstrafe. Die jetzt angeklagten Taten soll er bereits zwei Jahre zuvor begangen haben. Deshalb ging es dem Vorsitzenden der Jugendschutzkammer Martin Streicher auch darum, dem mutmaßlich missbrauchten Mädchen die für Donnerstag vorgesehene Zeugenaussage zu ersparen, durch geständige Aussagen des Angeklagten zur Sache möglicherweise. Zunächst aber wollte sich Anton J. allenfalls mit Angaben zur Person äußern.

Den ganzen Vormittag lang widmete sich das Landgericht dem Strafregister dieses Mannes. Zwar hat für ihn der 37-fache, im Jahr 2009 in Kentheim begangene Übergriff eines schweren sexuellen Missbrauchs die längste Freiheitsstrafe zur Folge gehabt. Aber die kriminelle Karriere des Mannes ist insgesamt weit mehr noch durch Diebstahl, Schlägereien, Nötigungen und Verkehrsdelikte, oft unter Einfluss von Alkohol und – seltener – Cannabis geprägt.

In betreuter Wohngruppe beginnt kriminelle Karriere

Anton J. ist mit sechs Geschwistern in einer vaterlosen Familie in München aufgewachsen. Mit 14 Jahren nahm man ihn von Amts wegen aus dieser prekären Familie heraus, in eine betreute Wohngruppe. Bald aber begann dort auch seine kriminelle Karriere. Die erste Eintragung vermerkt "Diebstahl mit Waffen" und Sachbeschädigung. Mit einem Kumpel und einer irgendwann erbeuteten Schreckschusspistole an der Hand knackte der 16-Jährige in München Autos. Irgendwie schaffte er aber nebenher und zwischen ersten Haftstrafen von 1999 an einen Hauptschulabschluss und eine Lehre als Schreiner.

Aus seiner Zeit in der ländlichen Schelklinger Gegend sind zahllose kleinere und heftigere Prügeleien aktenkundig und teils mit Haftstrafen geahndet. Der reizbare Mann konnte sich nicht kontrollieren, am allerwenigsten, wenn er trank. Vor einer Schlägerei hatte er einem Wirt als Provokation das Klo großflächig vollgepinkelt. Als Fahrer fiel Anton J. immer wieder durch Nötigungen, handfeste Auseinandersetzungen auf, einmal auch mit einem kleineren Unfall unter Drogen. Mit seinem Beifahrer wurde er an der holländischen Grenze auch beim versuchten Marihuana-Schmuggel erwischt.

Seine Zeit im Kreis Calw als Fahrer für eine Spedition verzeichnet zahllose Delikte, vor allem Körperverletzung, vom Volksfest Cannstatter Wasen über Pforzheim bis zum Neubulacher Stadtfest. Sein Chef aber gab ihm offenbar auch nach Haftstrafen und Fahrverboten immer wieder eine Chance. Auch im Kreis von Freunden fand er offenbar Anschluss, Halt und Vertrauen. Von 2004 an hatte er für fünf Jahre eine Freundin, sogar Verlobte. Den Kentheimer Missbrauch beging er an der über Wochenenden zu Besuch gekommenen Tochter seines geschiedenen Kollegen, mit dem er dort zusammenwohnte. In Liebenzell vertraute ihm eine befreundete Familie das Kind zur Betreuung an.

Laut Anklage soll er beim Anschauen ganz normaler Kinderfilme dem Mädchen an die Wäsche gegangen und schließlich auch mit dem Finger in die Scheide eingedrungen sein. In Kentheim, dem bereits abgeurteilten mehrfachen Fall, hatte er es auch einmal vergeblich mit dem Penis versucht und dem Kind dabei heftige Schmerzen zugefügt.

Der Angeklagte gab an, inzwischen über 100.000 Euro an Schulden aufgehäuft zu haben, Schmerzensgeldzahlungen einerseits, aber auch Forderungen für die medizinische Behandlung vor allem eines besonders heftig Geschädigten seiner Prügel-Attacken. In der Rottenburger Haftanstalt verprügelte er einen Mit-Gefangenen, der ihn wegen seines Kinder-Delikts ausdauernd gereizt hatte. Freiwillig allerdings hat sich Anton J. für ein Therapieprogramm gemeldet, das nach dem aktuellen Verfahren bis zu einem denkbaren Haftende auf dem Hohenasperg beginnen soll. Bei seinen Angaben legte er Wert darauf, dass er in der Haft eine zusätzliche Lehre als Fräser absolviert und mit Auszeichnung durch die IHK bestanden habe.