Wegen eines Zahlendrehers wurde Tomi Breuer nicht ins Konzentrationslager in Auschwitz transportiert. Der Waggon wurde an einen Zug gekoppelt, der nach Wien fuhr. Foto: dpa/Woitas Foto: Schwarzwälder Bote

Geschichte: Holocaustüberlebender kommt nach Bad Liebenzell

Bad Liebenzell. Dass er heute einen Hund besitzt, ist ein Wunder. Denn die Angst vor den Lagerhunden der KZ-Wärter gehört zum Eindrücklichsten, woran er sich aus jener Zeit des Schreckens erinnern kann. Er war damals ein kleines Kind. Und dass er nach Deutschland zu Besuch kommt, ist ebenfalls ein Wunder. Thomas Breuer – Tomi genannt – hatte sich geschworen, nie wieder hierher zu kommen.

Ehrenpreis bekommen

Doch eine Partnerschaft seiner Heimatstadt Netanya mit der nordrheinwestfälischen Stadt Gießen führte dazu, dass er als Lehrer 2002 zum ersten Mal nach dem Krieg wieder nach Deutschland kam. 2016 bekam er einen Ehrenpreis der Stadt verliehen und kam mit einigen Kindern und Enkeln erneut zu Besuch. Nun wird er in Bad Liebenzell von seinem Schicksal erzählen. Am Holocaust-Gedenktag, dem 27. Januar, berichtet er ab 19.30 Uhr im Spiegelsaal des Kurhauses in Bad Liebenzell aus seinem Leben, das in jener schrecklichen Zeit begonnen hat, in der die Deutschen jegliches jüdische Leben in Europa auslöschen wollten. Einlass ist ab 19 Uhr. Der Eintritt ist frei. Bad Liebenzells Bürgermeister Dietmar Fischer sowie der CDU-Landtagsabgeordnete Thomas Blenke halten Grußworte.

Zwei Mal hing das Leben von Tomi Breuer am seidenen Faden, der Irrtum eines Bahnangestellten führte ihn nach Wien ins Getto, obwohl sein Transport zum Vernichtungslager nach Auschwitz unterwegs war. Später, zur Zeit der Umbrüche in Ungarn, sollte er als jüdischer Teenager ebenfalls ermordet werden, es gelang ihm aber die Flucht.

Tomi Breuer kam am 22. März 1942 in der ungarischen Stadt Debrecen auf die Welt. 1944 pferchte man ihn mit seiner Mutter und seinen Großeltern – sein Vater war schon vorher umgekommen – in einen Güterwaggon, den das "Sonderkommando Eichmann" nach Auschwitz schickte. Einem Zahlendreher ist es zu verdanken, dass der Waggon aber an den falschen Zug gekoppelt wurde und nach Wien fuhr. Mit 150 Leidensgenossen hat er die furchtbare Fahrt überlebt und auch ein ganzes Jahr im Durchgangslager Strasshof bei Wien. Es war ein Arbeitslager.

Nach der Befreiung am Kriegsende kehrte er zunächst mit seiner Familie zurück nach Ungarn. Doch in der Zeit nach dem Krieg waren Juden dort – immer noch – verhasst. Nachdem der Ungarische Volksaufstand 1956 von der sowjetischen Armee niedergekämpft worden war, fand sich Breuers Name – er war inzwischen 13 Jahre alt – auf der Todesliste der kommunistischen Machthaber. Eine Lehrerin warnte ihn und mit gefälschten Papieren stieg er in einen Zug nach Österreich. Als Geheimpolizisten den Zug durchsuchten, konnte er abspringen und über die grüne Grenze ins Nachbarland gelangen. Er war wieder in Wien – heimat- und mittellos.

Nach Israel ausgewandert

Doch mithilfe einer jüdischen Zionistenorganisation konnte er per Schiff nach Israel einreisen, in seine neue und endgültige Heimat. Hier war er nicht nur geduldet, sondern willkommen – verfolgte Juden aus aller Welt waren im Land ihrer Vorväter zu Israelis geworden.

Tomi Breuer lernte Hebräisch, machte Abitur und brachte es als Lehrer bis zum stellvertretenden Schulleiter der High-School in Netanya. Sein Engagement führte ihn dann in Begleitung einer Basketball-Mannschaft wieder nach Deutschland, in Netanyas Partnerstadt Gießen. "Ich fühlte mich wie ein Verräter an denen, die ihr Leben im Holocaust gelassen haben", erzählte er. Doch dann erlebte er die Freundschaft und Wärme einer neuen Generation in Deutschland und wurde sich seiner Verantwortung als Zeitzeuge bewusst.

Gerade gegenüber Schulklassen fühlt er sich besonders verpflichtet und wird neben dem Vortrag in Bad Liebenzell auch einige Schulen im Umkreis besuchen. Das Hilfswerk Zedakah in Maisenbach ist als Mitveranstalter in Bad Liebenzell dabei und koordiniert die Besuche von Breuer. Mit einem Altenpflegeheim und einem Erholungsheim macht Zedakah bereits seit fast 60 Jahren einen wertvollen Dienst praktischer Nächstenliebe an Holocaust-Überlebenden im Norden Israels. Zedakah ist hebräisch und heißt auf deutsch "Wohltätigkeit".

Zusammen mit dem Schuldekan des evangelischen Kirchenbezirks und dem gemeinnützigen Medienunternehmen "Morija" wurde vor einiger Zeit das Projekt "Papierblatt" ins Leben gerufen, das Interviews und Vorträge mit Zeitzeugen als Videos festhält und online zusammen mit didaktischem Begleitmaterial zur Verfügung stellt. Auch der Abend in Bad Liebenzell soll diesem Projekt hinzugefügt werden.