Bei einem Theaterstück ging es um das Verhältnis zwischen den Völkern Europas. Foto: Tröger Foto: Schwarzwälder Bote

Wahlen: Ein Abend rund um Europa im Bad Liebenzeller Kurhaus mit einem unterhaltsamen Theaterstück

Ganz Europa im Spiegelsaal. Eine äußerst unterhaltsame und dennoch – oder grade deshalb – sehr eindrucksvolle, ernsthafte und anregende Lektion in politischer Bildung holte sich das gespannte und ausgesprochen interessierte Publikum im Bad Liebenzeller Kurhaus ab.

Bad Liebenzell. Die Vertretung der Europäischen Kommission in München, das Internationale Forum Burg Liebenzell, der Landkreis Calw, die Stadt Bad Liebenzell und die Europa Union Kreisverband Calw luden als gemeinsame Veranstalter zu dem informativen und abwechslungsreichen Abend ein.

Europa – was ist das mehr als die Auflösungstendenzen, die aktuellen Krisen in den Mitgliedsstaaten und drum herum? Was ist das Fundament, sind die Gemeinsamkeiten? Wie sieht die Zukunft aus? Alles Fragen, die durch die bevorstehende Wahl zum Europäischen Parlament am 26. Mai noch deutlicher als bisher in den Fokus der Wähler gerückt werden müssen und nach Antworten rufen.

"Wir konnten Autorin Katja Hensel mit ihrem ebenso unterhaltsamen wie erkenntnisreichen Theaterstück ›Borderliner. Eine neue EU-Familienaufstellung‹ für den Abend gewinnen", freute sich Gertrud Gandenberger, Studienleiterin des Internationalen Forums.

Doch bevor die Zerrissenheit der Staaten zwischen nationalen Interessen und gemeinschaftlichem Denken und Handeln therapeutisch aufgedröselt wurde, begrüßte Janina Müssle, Europabeauftragte am Landratsamt Calw, die Gäste im europa-blau geschmückten Spiegelsaal. "Europa ist als Friedensprojekt ein großer Erfolg", betonte die junge Fachfrau.

Mit dieser Veranstaltung wollten die Organisatoren Europa in die Fläche bringen und Werbung für die Wahl machen.

Henri Ménudier, emeritierter Professor der Universität Sorbonne in Paris und langjähriges Kuratoriumsmitglied des Internationalen Forums Burg Liebenzell beleuchtete mit seinem Impulsvortrag die Bedeutung der deutsch-französischen Beziehungen als Motor für die europäische Integration (siehe unten).

Beim Theater-Stück "Borderliner – Die neue EU-Familienaufstellung" ging es um einen fiktiven Ausgangszustand: Die EU ist gescheitert, die Gemeinschaft löst sich auf. Eine Handvoll europäischer Länder, die eben noch Mitgliedsstaaten waren, kommen zu einer Familienaufstellung zusammen, um zu klären: Wie geht es nun weiter? Woran sind wir gescheitert? Wie werden wir beziehungsfähiger und verhindern damit eine nächste Katastrophe?

Auf der Bühne stehen viele Stühle im Halbkreis. Von hinten kommen einzeln einige Personen, sich suchend umschauend, durch die Publikumsreihen auf die Bühne. Sie warten darauf, dass etwas beginnt, die einen mit fragendem, die anderen mit gelangweiltem Gesichtsausdruck. Mit forschem Schritt durchquert eine letzte Frau den Saal, nimmt die Treppe zur Bühne und stellt sich als die Leiterin der Familienaufstellung der ehemaligen Mitgliedsländer der Europäischen Union vor. Katja Hensel als Therapeutin erklärt den Ablauf der Sitzung und fordert zur Vorstellungsrunde auf.

Da wird schon deutlich, dass nicht alle freiwillig hier sind und schon gar nicht Sinn und Zweck der Aufstellung verstehen wollen. Das stolze ja-nein-ja-Spanien (Silke Buchholz), Göttinnengleich das weißgewandete Zypern (Uta Krause), in Anzug und Krawatte, mit zwei Aktenordnern bewaffnet Polen (Micha Stobbe), Finnland, wortkarg, derb, im Holzfällerhemd (Christian Dieterle), burschikos und mit Schnodderschnauze Tschechien (Tilla Kratochwil) und schräg-extravagant Großbritannien in Jacket, kurzer Hose und barfuß (Christian Kaiser).

Schnell zeigt sich: Harmonie ist ganz und gar nicht. Jeder kreist um sich selbst und schmeißt seine Probleme den anderen vor die Füße, fühlt sich missverstanden, nicht angenommen und wertgeschätzt, hat keinen Bock auf Aufarbeitung. Mehrmals droht die Sitzung zu platzen.

Das alles ist mit viel Humor und Situationskomik gewürzt, das Publikum hat viel zu lachen. Und weil die Therapeutin darauf besteht, dass sich jedes Land seine eigene Historie anschaut, gibt es auch noch gratis Geschichtsunterricht. "Wer möchte heute bis an seine Grenze gehen…und vielleicht darüber hinaus?" fragt die Therapeutin in die Runde.

Therapeutin kommt an ihre Grenzen

Die unbewältigten Traumata, die aufbrechen, tief sitzende Ressentiments, die aufeinanderprallen, bringen auch die Therapeutin (sie ist Deutschland in diesem Spiel) an ihre Grenzen. Sie platzt: "Muss ich immer perfekt sein? Wo ich hinkomme, ich spalte!".

Am Ende gelingt es den sieben Ländern, sich vor der Identität des jeweils anderen gemeinsam zu verneigen und den Blick zu wenden, auf die Herausforderungen zu schauen, die die ganze Gemeinschaft betreffen. Klimawandel, Brexit, Rechtspopulisten, Rezession, Finanzkrise, Bürgerkriege, Flüchtlingsthematik – jeder Stuhl, den sie aufeinandertürmen, steht für ein Problem. Am Ende stehen sie in einer Reihe zusammen, es gibt Chips und Dosenbier und sie schauen auf diesen Berg an Problemen. Wie dieses Schlussbild zu interpretieren ist? Darüber gab es durchaus unterschiedliche Meinungen, auch unter den erfreulich vielen jungen Zuschauern.

Die Menschen inspiriert durch das Theaterstück mit den Schauspielern, den EU-Experten und miteinander über Europa ins Gespräch zu bringen, sei gelungen.

Einfach toll, dass die Auseinandersetzung mit der Europäischen Union trotz der aktuellen Konfliktthemen für so viele Menschen unterschiedlichen Alters anziehend gewesen sei und eine so große Zustimmung erfahren habe, freute sich Gandenberger mit dem Geschäftsführer des Internationalen Forums, Martin Eckhard.

Auch Jürgen Gmelch von der Vertretung der Europäischen Kommission in München freute sich als Mitveranstalter über den Erfolg des etwas anderen Info-Formats: "Es war schön zu erleben, dass mehr als 150 Menschen in den Spiegelsaal der Stadt Bad Liebenzell gekommen sind, um den Europatag zu begehen und über Europa zu sprechen."