Nach der Anhörung in Stuttgart soll die Bürgerinitiative "Sag Ja zum Landkreis Karlsruhe" ihre Belege schriftlich nachliefern. Foto: Mutschler

Innenministerium und Regierungsfraktionen kritisiert. Bürgerinitiative will Verfassungsrechtler einschalten.

Bad Herrenalb - Nachdem die Große Anfrage der Fraktionen von Grünen und CDU zum Bad Herrenalber Kreiswechselwunsch von der Landesregierung beantwortet worden war, fand eine Anhörung im Stuttgarter Haus der Abgeordneten statt.

Jetzt meldet sich noch einmal die Bürgerinitiative (BI) "Sag Ja zum Landkreis Karlsruhe" zu Wort. Alle Beteiligten am möglichen Kreiswechsel tauschten im Haus der Abgeordneten ihre Argumente aus.

Den Anfang machte die BI, vertreten von Martin Knirsch und Hans-Friedrich Scheeder. Unter anderem stellten die beiden fest, dass die Aussagen der Landesregierung bei der Großen Anfrage "an vielen Stellen nachweisbar falsch" sei. Darüber werde man reden müssen. Allerdings gab es diesbezüglich im zweiten Teil der Anhörung keine Argumente zu hören. Und dies, obwohl Uli Sckerl, innenpolitischer Sprecher der Grünen, als auch Thomas Blenke, innenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion und Abgeordneter des Landkreises Calw, die BI mehrfach dazu aufforderten, ihre Vorwürfe zu belegen. Die BI meinte, es würde den zeitlichen Rahmen der Anhörung sprengen. Nach der "heftigen Kritik" an der Antwort der Landesregierung fand Sckerl dieses Vorgehensweise ein "bisschen enttäuschend" und forderte die BI-Vertreter auf, die Vorwürfe binnen zehn Tagen schriftlich nachzureichen.

Mit dem Schreiben an das Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration sowie die Fraktionen von Grünen und CDU wollen Knirsch und Scheeder ihre "öffentlichen Bemühungen in Sachen Landkreiswechsel beenden". Sie danken allen, die sich für das Zustandekommen des "dann positiven Bürgerentscheids eingesetzt haben" und hoffen auf die Politik, "oder zu einem späteren Zeitpunkt auf die Gunst der Stunde".

Am Ende des Schreibens, das Knirsch und Scheeder als Anhörungsbeteiligte unterzeichneten, steht: "Im Auftrag der Mehrheit der Bad Herrenalber Bevölkerung".

Die BI hat ihre Kritikpunkte noch einmal zusammengefasst. Sie beziehen sich auf einzelne Punkte des Innenministeriums, das im Namen der Landesregierung die Große Anfrage beantwortete.

Folgendes sei "falsch, widersprüchlich oder nicht zielführend, da nicht mit objektiv ermittelten Fakten belegt":

I. Allgemeine Rahmenbedingungen

Wie ist Ihre Haltung zu der Konzeption und den Leitgedanken der Gebietsreform in Baden-Württemberg Anfang der 1970er-Jahre?

"Die Antwort, letzter Absatz, ist in der Kernaussage falsch: Die angesprochenen zentralen Bereiche der Krankenhausversorgung, des beruflichen Schulwesens werden für Bad Herrenalb und Dobel ausschließlich von den Nachbarkreisen erbracht. Der öffentlichen Nahverkehr im Raum Bad Herrenalb/Dobel betrifft wegen der engen Kreisgrenzen nur untergeordnet den Kreis Calw. Er wird von dort lediglich mitfinanziert."

(Anmerkung der Redaktion: Der betreffende letzte Absatz lautet bei der Beantwortung der Großen Anfrage: "Die gestiegene Leistungsfähigkeit ermöglichte es den Landkreisen, bereits vorhandene Aufgaben, die in den Jahren zuvor neue Dimensionen angenommen hatten, wirkungsvoller und effizienter zu erfüllen. Aufgaben, wie die der städtebaulichen Planung, der kommunalen Infrastruktur und der Erbringung von Verwaltungsleistungen können mit einem höheren Grad an Spezialisierung und Professionalisierung der Mitarbeiter erledigt werden. In zentralen Bereichen, wie der Krankenhausversorgung, dem beruflichen Schulwesen, der Abfallwirtschaft und dem Verkehr, erweisen sich die Kreise nach der Gebietsreform als sehr leistungsfähig.")

Hat sich nach Ihrer Auffassung diese Gebietsreform bewährt?

"Die Kernaussage ist falsch: Die zentralen Verwaltungsorte Calw und Nagold sind für Bad Herrenalb und Dobel schwer erreichbar. Die vorhandene Verwaltungsstruktur ist trotz vorhandener Außenstellen bürgerfern. Wir sind eine nach Karlsruhe ausgerichtete ›Exklave‹ des Landkreises Calw. Um diesen Nachteil auszugleichen, müssen weitere kreisübergreifende Strukturen geschaffen werden."

Sieht sie Änderungsbedarf im Hinblick auf den Zuschnitt und die Größe der Städte, Gemeinden und Landkreise in Baden-Württemberg?

Welchen Stellenwert misst sie dem Thema interkommunale Zusammenarbeit im Zusammenhang mit der Frage möglicher Gebietsänderungen bei?

"Die Aussage ist falsch oder widersprüchlich. Wie der Bürgerentscheid bewiesen hat, ist die Mehrheit der Bad Herrenalber Wahlberechtigten der Meinung, dass die Zuordnung zum Landkreis Karlsruhe besser wäre. Die Aussage, dass Kooperationen über die Kreisgrenzen hinweg jederzeit leicht möglich sind oder gar gerne gesehen werden, ist nicht zutreffend."

II. Anliegen der Stadt Bad Herrenalb

Wie werden die Gründe des öffentlichen Wohls im Sinne des Artikel 74, Absatz 1, Landesverfassung und Paragraf 7 Landkreisordnung im Hinblick auf einen Wechsel des Landkreises definiert?

"Diese Aussage im letzten Absatz ist juristisch nachvollziehbar, aber nicht in Bezug auf den konkreten Fall Bad Herrenalb untersucht. Alle diesbezüglichen Stellungnahmen, egal ob von der Bürgerinitiative, den Kreispolitikern oder dem Innenministerium, sind naturgemäß subjektiv. Die Aussage, dass der Kreiswechsel keine Auswirkungen auf die Schulsituation habe, wurde bereits in der Anhörung widerlegt. Der Rest wird täglich durch die Lebensrealität widerlegt."

(Anmerkung der Redaktion: Der betreffende letzte Absatz lautet bei der Beantwortung der Großen Anfrage: Der Begriff "öffentliches Wohl" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum, der durch die Auslegungsmethode der Güterabwägung zu konkretisieren ist. Es sind somit auf der Grundlage einer ausreichenden Sachverhaltsermittlung die Gründe, die für die Gebietsänderung sprechen, mit den Gründen, die für einen Fortbestand der bisherigen Gebietseinteilung sprechen, abzuwägen. Dem zuständigen Entscheidungsträger (Landtag) ist dabei mit Blick auf das Demokratieprinzip und den Gewaltenteilungsgrundsatz ein weiter Raum eigenverantwortlicher, gerichtlicher Kontrolle nicht vollständig zugänglicher Gestaltungs- und Abwägungsfreiheit eingeräumt. Er ist nur dann verlassen, wenn die bei Einschätzung des öffentlichen Wohls getroffenen Feststellungen und Wertungen eindeutig widerlegbar oder offensichtlich fehlerhaft sind oder der verfassungsrechtlichen Wertordnung widersprechen oder wenn die gebotene Abwägung der für und gegen die Gebietsänderung sprechenden Aspekte fehlerhaft war.")

Als Ergebnis wird in dem Schreiben festgehalten: "Insgesamt ist für eine demokratisch saubere Entscheidung des Landtags zur Klärung des Begriffes ›öffentliches Wohl‹ die Stellungnahme eines neutralen Verfassungsrechtlers erforderlich. Diese Begriffsklärung muss auf einer auf den Fall Bad Herrenalb bezogenen von der Landesregierung in Auftrag gegebenen Verflechtungsanalyse erfolgen. Das muss dem Land Baden-Württemberg die Achtung vor dem demokratisch geäußerten Bürgerwillen wert sein."