Bad Herrenalb - Sonntag, 23. Oktober. Es ist der Tag der Entscheidung in Bad Herrenalb. Die Frage: Soll die Kurstadt im Landkreis Calw bleiben? Oder soll es zum Wechsel nach Karlsruhe kommen? Diese Frage, die die Bürger des beschaulichen Schwarzwaldortes an diesem Tag per Bürgerentscheid beantworten dürfen, beschäftigt seit einiger Zeit das halbe Land. Die Antwort wird mit Spannung erwartet.

In Bad Herrenalb ist von dieser Spannung relativ wenig zu spüren. Und doch: Ein leichtes Knistern scheint in der Luft zu liegen. Die Straßen der Kernstadt sind voller Menschen, die dem Kurhaus entgegenstreben, um dort ihre Stimme abzugeben. Die Stimmung scheint ruhig; Menschen diskutieren vor dem Wahlraum sachlich über Für und Wider eines Wechsels. Ein Gesprächsfetzen weht durch den Raum: "Never change a winning Team" - Reiß' kein ein gespieltes Team auseinander. Ein klares Votum für den Verbleib im Kreis Calw.

Im Wahlraum selbst steht Johannes Kopp, Hauptamtsleiter der Stadt. Es ist 16.33 Uhr - und die Wahlbeteiligung liegt bereits bei rund 40 Prozent. 40 Prozent sind gefordert, damit die Wahl gültig ist. Beim ersten Bürgerentscheid, bei dem es um die Realisierung eines Bäder- und Thermenprojektes gegangen war, hatte die Beteiligung bei mehr als 60 Prozent gelegen. "Das könnte noch kommen", meint Hauptamtsleiter Kopp.

Vor der Tür des Kurhauses steht indes eine junge Frau. Auch sie ist auf dem Weg zur Wahl. Ihr Votum? Ja zu Karlsruhe. Durch die bessere Verkehrsanbindung verspricht sie sich Vorteile bei einem Wechsel - schließlich habe sie keinen Führerschein. Zu diesem Zeitpunkt ist noch völlig unklar, wie die Wahl ausgehen wird.
Bad Herrenalbs Bürgermeister Norbert Mai hofft jedoch, dass "sich eine Mehrheit für den Verbleib entscheiden wird". Eine genaue Einschätzung könne er aber nicht abgeben. "Eine Wahl ist eine Wahl", sagt er, "die lässt sich eben schlecht schätzen."

Mittlerweile ist es kurz nach 19 Uhr. Die Urnen sind geleert, die Stimmen ausgezählt. Hauptamtsleiter Kopp tritt im Kurhaus an Bürgermeister Norbert Mai heran. „Der Bürgerentscheid ist also angenommen“, murmelt er, als er einen Blick auf die Ergebnisse wirft. Getuschel unter den anwesenden Pressevertretern. Mai tritt ans Mikrofon und verkündet das vorläufige Endergebnis: Von allen Wahlberechtigten – inklusive jener, die gar nicht zur Wahl erschienen sind –  haben 31,4 Prozent für einen Wechsel gestimmt, 30,7 Prozent dagegen. Mit knapper Mehrheit „haben die Bürger entschieden“, sagt Mai. Calws Landrat Helmut Riegger lauscht dem Ergebnis mit versteinerter Miene. Vereinzelt klingt Applaus durch den Saal.

Nun muss der Bad Herrenalber Gemeinderat den Entscheid noch absegnen – was laut dem Bürgermeister wohl auch geschehen werde – und danach einen Antrag auf Wechsel an das Land Baden Württemberg stellen.

Bad Herrenalb steht damit nun beispielhaft für einen ersten Erfolg, den auch andere Kommunen und Kreise in den vergangenen Jahren angestrebt haben – aber bis heute noch nicht für sich verbuchen konnten.

Denn die Bestrebung eines Ortes, in einen anderen Landkreis zu wechseln, ist keineswegs etwas völlig Neues. So hatten beispielsweise im April 2011 Vertreter der Initiative „Pro Region Schramberg“ angekündigt, den Kreis Rottweil verlassen zu wollen – und prüfen lassen, ob dies durch einen entsprechenden Bürgerentscheid möglich wäre. Dazu war es jedoch nie gekommen. Und auch den Kampf gegen die Schließung des Schramberger Krankenhauses, der zu diesem Ansinnen erst geführt hatte, weil viele Bürger sich vom Landkreis in Stich gelassen fühlten, verlor die Initiative: Ende Oktober des Jahres 2011 schloss die Klinik ihre Pforten endgültig.

Ähnlicher Fall in Oberbayern

Ein ähnlich gelagerter Fall sorgte Anfang 2016 in Ostbayern für Schlagzeilen. Dort unterstützten im Januar innerhalb weniger Tage hunderte Menschen mit ihren Unterschriften die Petition „Freies Waldkirchen – Wechsel in den Landkreis Passau“. Hintergrund der Petition war auch in Waldkirchen die bevorstehende Schließung des örtlichen Krankenhauses gewesen. Dieses sollte in ein ambulantes Medizin- und Ärztezentrum umgewandelt werden. Viele Bürger hatten sich wegen diesem Entschluss von CSU-Landratskandidat Sebastian Gruber betrogen gefühlt. Jener hatte sich vor seiner Wahl für den Erhalt aller drei Krankenhäuser im Kreis Freyung-Grafenau ausgesprochen, diese Ankündigung wegen eines Gutachtens zur Wirtschaftlichkeit aber nicht wahr gemacht.

Im März entschied der Stadtrat von Waldkirchen schließlich, keinen formellen Antrag auf einen Wechsel in den Landkreis Passau zu stellen. Stattdessen bekundeten sie ihren Willen, im Kreis Freyung-Grafenau verbleiben zu wollen.

Wahrscheinlich wäre ein Landkreiswechsel ohnehin nicht gewesen. Das bayerische Innenministerium hatte bereits im Vorfeld erklärt, dass die Hürden für eine Abspaltung sehr hoch seien - und es seit Abschluss der Gemeindegebietsreform Anfang der 1980er-Jahre in Bayern zu keinem solchen Wechsel gekommen sei.
Ein weiteres Beispiel für den Wunsch, künftig einer anderen Verwaltungseinheit anzugehören, geisterte Anfang des Jahres 2015 mit dem Fall Neckarsteinach durch die Presse. Die hessische Kleinstadt ging damals sogar noch einen Schritt weiter – und kämpfte darum, künftig zu Baden-Württemberg gehören zu dürfen. Ursache war die Unzufriedenheit mit der Finanzpolitik der schwarz-grünen Landesregierung in Wiesbaden, die der Kommune nach Ansicht des Neckarsteinacher Bürgermeisters Herold Pfeifer (SPD) zu dieser Zeit ein Defizit von 700.000 Euro beschert haben soll.

Ein Wechsel nach Baden-Württemberg war von der hessischen Staatskanzlei jedoch recht schnell als äußerst unwahrscheinlich beschrieben worden. Ein solcher, so hieß es, würde neben einem Staatsvertrag zwischen den betroffenen Bundesländern auch die Zustimmung der Landtage sowie zwei Volksabstimmungen erfordern.
Das es trotzdem nicht unmöglich sei, hatte damals allerdings der baden-württembergische Städtetagsdezernent Norbert Brugger erklärt. So sei im Jahr 1952 das hessische Bad Wimpfen zu Baden-Württemberg gewechselt.

Doch nicht nur einzelne Orte, sogar ganze Landkreise haben sich in der jüngeren Vergangenheit mit dem Wunsch nach Wechsel auseinandergesetzt. Im Zuge der anstehenden Gebietsreform in Thüringen, bei der die Landkreise neu zugeschnitten werden sollen, drohten mehrere Landkreise, sich einem anderen Bundesland anschließen zu wollen. So liebäugelte der Eichsfeldkreis Anfang des Jahres 2013 damit, künftig Niedersachsen anzugehören. Die Landkreise Hildburghausen und Sonneberg forderten etwa zur selben Zeit, Thüringen in Richtung Bayern verlassen zu dürfen. Gemeinsam ist den drei Kreisen, dass sie durch die Gebietsreform einen Bedeutungsverlust fürchten.

Bayerns Innenminister machte damals jedoch keine allzu große Hoffnung, dass ein Wechsel gelingen könnte. Außer Volksentscheiden in beiden Ländern sowie eines Staatsvertrages bedürfe es für auch der Zustimmung des Bundestages, um den Wunsch der Kreise zu erfüllen.

Hoffnungen auf Veränderung können sich durch die Gebietsreform dagegen einzelne Orte machen. Thüringens Innenminister Holger Poppenhäger hatte erklärt, dass Ortschaften in Zuge dieser Reform durchaus auf Wunsch den Landkreis wechseln könnten – sofern es bei Einzelfällen bleibe. Die Entscheidung darüber, ob solchen Wünschen entsprochen werde, treffe jedoch auf jeden Fall der Landtag.

Einen Wechsel völlig anderer Art möchte übrigens Reutlingen herbeiführen: Die Stadt stellte im Juli 2015 den Antrag, aus dem gleichnamigen Kreis austreten zu dürfen – um künftig einen eigenständigen Stadtkreis zu bilden. Der Landkreis selbst ließ als Reaktion darauf die Rechtsgrundlage für einen solchen Antrag durch einen Verfassungsrechtler prüfen. Das Ergebnis wurde Anfang des Jahres 2016 bekannt. Der Tenor: Der Antrag erfülle nicht die Bedingungen des Innenministeriums. Dieses hatte gefordert, die Stadt müsse nachweisen, dass durch die Bildung eines Stadtkreises das Gemeinwohl nicht gefährdet werde. Das gehe aus den Unterlagen aber nicht hervor. Momentan liegt der Ball beim Innenministerium, das nun entscheiden müsse, ob der Antrag nachgebessert werden soll.

Wie es in Bad Herrenalb nun weitergehen wird, steht derzeit übrigens in den Sternen. Denn auch wenn die Stadt beim Land einen Wechsel nach Karlsruhe beantragt, ist fraglich, ob dieses Ansinnen von Erfolge gekrönt sein wird. Den Vertretern der Bürgerinitiative scheint das an diesem Abend vorerst egal zu sein. Sie freuen sich erst Mal über ihren Erfolg.

Seite 2: Info

Eine Bürgerinitiative (BI) für den Wechsel in den Landkreis Karlsruhe hatte Bad Herrenalbs Bürgermeister Norbert Mai im Mai 2016 eine Liste mit mehr als 1800 Unterschriften überreicht. Der Gemeinderat hatte daraufhin grünes Licht für einen Bürgerentscheid gegeben. Die BI verspricht sich wirtschaftlichen und touristischen Aufschwung durch den Anschluss an die Technologieregion Karlsruhe.

Kommentar: Viel Lärm

Von Ralf Klormann

Die Bad Herrenalber haben entschieden: Die Stadt soll beim Land beantragen, vom Kreis Calw nach Karlsruhe wechseln zu dürfen. Doch ob diese Entscheidung glücklich war? Nicht unbedingt. Denn dieser Bürgerentscheid könnte Signalwirkung entfalten – und auch anderen Kommunen Aufwind geben, die mit ihrer Kreiszugehörigkeit unzufrieden sind. Die Folge? Arbeitskraft, Energie und Geld würden im ganzen Land gebunden, um zum Teil wenig sinnvolle Wünsche zu erfassen – und das vielleicht sogar ohne Ergebnis. Denn klar ist: Allein der Antrag sorgt noch lange nicht für einen Wechsel. Darüber entscheidet der Landtag – und ob von dort Zustimmung kommt, ist fraglich. Sollte im Zuge der Bad Herrenalber Entscheidung nun also eine Welle von Wechselgelüsten durchs Land rollen, wäre das wohl vor allem viel Lärm, Zeit und Geld um womöglich nicht viel Greifbares.