Betroffener schildert eindrücklich von jahrelanger Leidensgeschichte / Seit August 2007 "trocken"

Von Markus Reutter

Bad Dürrheim. "Ein Mal alkoholkrank, immer alkholkrank", berichtete ein Betroffener beim Treffpunkt Impuls am Mittwochnachmittag im Generationentreff Lebenswert. Eindrücklich schilderte er den Zuhörern seine Leidensgeschichte, die sich über viele Jahre bis in den August 2007 erstreckte. Ab diesem Zeitpunkt beginnt für ihn und seine Frau eine neue Zeitrechnung. Mühelos sagte er der Runde im Generationentreff die vierstellige Zahl an Tagen, die seither vergangen sind, in denen er trocken blieb.

Wie zerbrechlich diese Sicherheit sein kann, erfuhr er im Laufe seines Lebens viele Male. Wie oft habe er seiner Frau mit voller Überzeugung versprochen, nicht mehr zu trinken, nur um ein paar Stunden später schon wieder sturzbesoffen auf dem Bett zu liegen, neben sich den Bierkasten.

Welch merkwürdige Erlebnisse eine Alkoholikerkarriere pflastern, ließ der ehemalige Lehrer wissen. So hatte er sich selbst ein Mal vorgenommen, den Alkohol "auszuschleichen". Entzugserscheinungen traten auf, seine Hände zitterten maßlos. Er war nicht mehr in der Lage, Klassenarbeiten zu korrigieren. Schließlich weihte er einen Kollegen ein. Gemeinsam konnten sie die Arbeiten mit der ruhigen Handschrift des Kollegen doch noch korrigieren.

Eine andere Episode: Er wollte endgültig brechen mit dem Alkohol, fuhr zu seinem Bruder, um ihm die noch vollen Flaschen zu übergeben. Doch auf der Fahrt zum Bruder langte er doch wieder zu, betrank sich und fuhr schließlich in einer Kurve geradeaus. Ein Polizist wurde zu dem Unfall gerufen, berichtete der Betroffene. Der Beamte habe am Unfallort verlangt, er solle ihn anhauchen. Das habe er dann mit einer riesigen Alkoholfahne getan, kaum auf den Beinen stehen könnend. Der Polizist, ein Sangesfreund seines Bruders, habe bescheinigt, er rieche keinen Alkohol.

Die Sucht zu decken, zu verheimlichen ist offensichtlich ein Symptom, das auch das Umfeld von Alkoholikern befallen kann. So habe er von seiner Frau bei einem längeren Alkoholentzug verlangt, bei Nachfragen von Bekannten zu erklären, er sei wegen einer Stoffwechselkrankheit in Behandlung.

Manchen Ärzten scheint die Ernsthaftigkeit einer Alkoholerkrankung nicht bewusst. Der Betroffene sprach von seinem früheren Hausarzt, der ihn nach einer Entziehungskur zu einem Viertele Wein einladen wollte.

Ein Therapeut habe ihm dringend empfohlen, an den Treffen der anonymen Alkoholiker teilzunehmen. Das habe er auch zwei Jahre gemacht, dann damit aufgehört und mit dem Alkohol wieder weitergemacht. Zwischen zwei jahrelangen Alkoholeskapaden gab es auch mal sechs Jahre Pause. Nach den sechs Jahren habe er dann "aus heiterem Himmel" wieder zu trinken angefangen. Das erste Bier habe scheußlich geschmeckt. Eine zweite Flasche habe er beim Autofahren verärgert aus dem Fenster geworfen, bis er dann doch wieder dem Alkohol verfallen war. Seine Frau flüchtete zeitweise vor der Sucht, verließ für Tage das Haus. Doch ihr Mann war ihr deshalb nicht böse. Wenn sie weg gewesen sei, habe er Zeit "für meine Geliebte" gehabt, den Alkohol.

Wie sehr die Gedanken um die Sucht kreisen, zeigt sich mitunter auf tragikomische Weise. Der Alkoholkranke wusste von einer ebenfalls Betroffenen zu erzählen, die im Vorfeld einer Gartenparty mehrere Fläschchen einer alkoholischen Kräutertinktur in der Wiese vergraben hatte, um sie dann möglichst unauffällig über einen Schlauch zu konsumieren.

Typisch für die Sucht sei der Kontrollverlust. Er wusste, dass er sich mit dem Alkohol schade, doch das habe ihn nicht gerettet. "Alkohol ist ein Lösungsmittel", meinte er. Es löse Freundschaften und Ehen, Arbeitsverhältnisse und Bankguthaben auf. Was Alkohol aber nicht löse, seien Probleme, ganz im Gegenteil.

Was ihm letztlich Sicherheit auf seinem trockenen Weg seit dem August 2007 gebe, seien auch die wöchentlichen Treffen der anonymen Alkoholiker, bei denen sich Betroffene mit großer Offenheit begegnen.

Die Frau des Betroffenen, die beim Treffpunkt Impuls ebenfalls anwesend war, berichtete von dem Angebot der Al-Anon für Angehörige und Freunde von Alkoholikern. Diese Zusammenkünfte hätten ihr geholfen, mehr Gelassenheit zu entwickeln und auch auf eigene Bedürfnisse in der Ehe mit ihrem alkoholkranken Mann zu schauen. Ihr habe gut getan, die Abhängigkeit ihres Mannes als Krankheit zu erkennen. Wenn er beispielsweise Krebs gehabt hätte, sei es für sie ja auch klar gewesen, zu ihm zu stehen. Eine Teilnehmerin in der Runde wertete das bewundernd als Zeichen der Liebe.

Der Betroffene und seine Frau zählen weiter die Tage, die er nun ohne Alkohol ist. Das sei jeden Tag ein Grund, glücklich zu sein.

Wobei der Betroffene den Alkohol nicht verteufeln wollte. Er werde als Genuss- und Heilmittel schon in der Bibel erwähnt. Doch ein Alkoholkranker könne eben nicht in gesunder Weise damit umgehen.