Jan Schulte (links) und Sebastian Epple posieren vor einer Verpackungsmaschine am Bosch-Standort in Waiblingen Foto: Gottfried Stoppel/Lichtgut

Große Unternehmen wie Bosch locken qualifizierte Bewerber mit einem Auslandsaufenthalt. Für zwei Männer aus Winnenden bedeutete das, gegrillte Heuschrecken zu essen und thailändische Azubis zu unterrichten.

Waiblingen/Chon Buri - Die Umarmungen von Waisenkindern. Hitze und Schweiß. Heuschrecken, die wie eine Mischung aus Salzstängeln und Hühnchen schmecken. Das sind Erinnerungen von Sebastian Epple (22) und Jan Schulte (24) an ihre Ausbildung. Dass Epple „wie ein wandelnder Wasserfall herumgelaufen“ sei, erwartet man nicht von einem, der in der Verpackungstechnik-Sparte von Bosch arbeitet. Doch die beiden Mechatroniker lernten bis vor kurzem nicht nur in Waiblingen. Sechs Wochen waren sie in Thailand im Einsatz.

Sebastian Epple bei der Montage einer Schokoriegel-Verpackungsmaschine in Chon Buri Foto: Bosch

2010 haben die jungen Männer ihre Ausbildung begonnen; dass es den Auslandsaufenthalt als Extra gab, spielte für ihre Bewerbung nur eine Nebenrolle. Sie suchten einen Job, der zu ihrer Technik- und Bastelleidenschaft passte. Möglichst unbefristet. Und in der Nähe von Winnenden, wo sie aufgewachsen waren. Denn ein Globetrotter war bis dato noch keiner von ihnen.

Eher der Typ heimatverbundener Tüftler. Epple baut bereits seit Jahren an einem Flughafenlöschfahrzeug, Maßstab 1:14, das Modell ist einen Meter lang und jedes der Teile von ihm selbst gefertigt. Fast so individuell wie die Verpackungsmaschinen von Bosch, bei denen die Stückzahl drei schon eine Serie ist. Offensichtlich, dass es für Epple bei der Montage der Maschinen immer wieder Glücksgriffe gab. Ob Verpackungsmaschinen für Joghurts oder für kleine Kapseln, in denen Medikamente auf das Gramm genau dosiert werden können: Woche für Woche erschloss er sich mit Schulte die Welt der industriellen Verpackungskunst. Bis sie eine der Maschinen im Bosch-Werk in Chon Buri südlich von Bangkok montieren durften.

Jan Schulte baut mit Kindern eines Waisenhauses eine Rakete Foto: Bosch

Der sechswöchige Aufenthalt im dritten Lehrjahr war fest geplant – und dennoch oft überraschend. Dass man zum Beispiel mit den gleichen Bosch-Bauteilen zu einem ganz unterschiedlichen Ergebnis kommen kann. Dass im Notfall auch die Verständigung mit Händen und Füßen funktioniert. Und dass die Schokoriegel nach ihrem Verpackungsdurchlauf wegen der Hitze im Werk bereits weich wurden. „Aber die Probleme wurden gut gelöst, weil die thailändischen Mitarbeiter eng zusammenarbeiten. Es gibt viel weniger Konkurrenzdenken als in Deutschland“, sagt Epple. „Durch die Hitze relativiert sich vieles“, sagt Schulte.

Neue Erfahrungen machen, improvisieren, andere Sichtweisen zulassen: Nur auf diese Weise könne ein Azubi auch erfolgreich im Berufsleben sein, sagt Ausbildungsleiter Karl Steffan. „Wenn wir gerufen werden, ist meistens an der Maschine etwas kaputt. Dann muss man pfiffig sein. Zum Beispiel ein Teil so zuschneiden, dass es wieder passt. Umso kreativer die Mitarbeiter sind, desto besser steht ein Unternehmen da. In der Zukunft ist das entscheidend.“

Ausbildungsleiter Karl Steffan: Verantwortung und Kreativität lernen die Azubis am besten im Ausland Foto: Stoppel/Lichtgut

Steffan ist sich sicher, dass die Azubis mehr Verantwortung übernehmen müssen als noch vor einigen Jahren, denn Projekte gehen über Abteilungsgrenzen und Länder hinaus. Deshalb müsse man Lehrlingen während eines Auslandsaufenthalts fit machen. Und viel bieten: „Wir müssen die Azubis enger an uns binden. Die Unternehmen haben mit den geburtenschwachen Jahrgängen zu kämpfen. Die Konkurrenz schläft nicht“, sagt Steffan. Bei Bosch werbe man gezielt um Mädchen. Fast ein Viertel der 130 Azubis im Waiblinger Ausbildungszentrum sind mittlerweile Frauen. „Wir haben schon vor zehn Jahren mit dem Marketing angefangen“, sagt Stefan. „Die kleineren Firmen haben eher unter dem Nachwuchsmangel zu leiden. Bevor wir nicht unsere Azubis eingestellt haben, fangen die anderen gar nicht mit ihrer Auswahl an.“

Das hat man auch bei etlichen Mitgliedsunternehmen der IHK Region Stuttgart schmerzhaft erfahren. Seit Jahren beklagen sie, dass bei den Bewerbern die Grundkenntnisse in Deutsch, Rechnen und sozialen Kompetenzen abnehmen. „Manche Lehrlinge wissen nicht, dass sie morgens pünktlich zur Arbeit kommen müssen oder die Hände aus den Hosentaschen nehmen sollten, wenn sie mit ihrem Chef reden“, heißt es. Vor allem die kleineren Firmen bereiten deshalb Schulabgänger gezielt auf eine Ausbildungsstelle vor, obwohl diese schwache Noten haben – sonst könnten sie Ausbildungsplätze gar nicht besetzen.

Jan Schulte unterrichtete in Chon Buri thailändische Azubis Foto: Bosch

Doch auch die größeren Betriebe müssen Schulabgänger intensiver als bisher umwerben – indem sie zum Beispiel einen Auslandsaufenthalt bieten. Bei Bosch gilt dieser als Win-win-Situation. Denn die Azubis werden in Chon Buri selbst zu Lehrern. Eine Woche haben Epple und Schulte in einem sozialen Projekt mit Waisenkindern gewerkelt, und fünf Wochen lang bereiteten sie thailändische Azubis auf ihre Prüfungen vor. Denn Bosch hat in seinem thailändischen Werk die duale Ausbildung nach deutschem Standard eingeführt. „Vieles mussten wir erst grundlegend beibringen. Sicherheit wird da nicht so hoch gehandelt“, sagt Epple. Doch auch er habe dazugelernt – den Umgang mit Menschen zum Beispiel: „Wenn ich die Maschine anbruddle, stört das niemanden. Menschen schon.“

Die Prüfungen, versichern beide, hätten alle ihrer thailändischen Azubis geschafft.