Rüdiger Safranski hält Klassiker keinesfalls für "altbacken" – ganz im Gegenteil. Foto: © Peter-Andreas Hassiepen

Klassische Literatur wird zu selten gelesen, findet der gebürtige Rottweiler Autor Rüdiger Safranski. Auch zu "Winnetou" hat er eine klare Meinung.

Rottweil/Badenweiler - Der neue "Winnetou" ist vom Markt genommen, Klassiker wie "Faust", "Werther" und Co. werden im Deutschunterricht kaum noch gelesen. Und auch Theater greifen Stoffe von Goethe oder Schiller immer seltener auf. Darüber wird derzeit diskutiert. Wir haben bei Schriftsteller Rüdiger Safranski nachgefragt.

Der gebürtige Rottweiler ist Philosoph, Schriftsteller und preisgekrönter Autor. Seine Bücher erreichen regelmäßig die Bestsellerlisten und wurden in mehr als 30 Sprachen übersetzt. Safranski schrieb unter anderem Biographien über E.T.A. Hoffmann, Heidegger, Nietzsche und Schiller. Zudem wurde er unter anderem mit dem Thomas-Mann-Preis ausgezeichnet.

Nicht von den kulturellen Wurzeln abschneiden

Die Klassiker der Literatur stehen bei ihm auf der Tagesordnung. Und das sollten sie in den Schulen auch tun, sagt Safranski: "Die klassische Tradition darf nicht verloren gehen." Es sei bedauerlich, dass man sich von den kulturellen Wurzeln abschneide. Junge Leute seien vom Grundsatz her neugierig, für Aktuelles, aber auch für anderes.

"Und hier muss man sagen, dass der zweite Blick belohnt. Man kann ganz neue Sachen entdecken, wenn man sich die Klassiker mal genau anschaut", weiß der Autor. Man müsse sich zwar in die Sprache einlesen, aber das sieht Safranski nicht als Problem, "das braucht nur ein wenig Zeit", ermutigt er. So stehe "Faust" beispielsweise für den Archetyp im Menschen.

Menschliche Triebe anschaulich verdichtet

Archetypen beschreiben universale Urbilder oder Urfiguren, die mit bestimmten Emotionen, Eigenschaften und Zielen verbunden werden. Im "Faust" seien menschliche Antriebe anschaulich verdichtet. Gleiches gebe es bei Tristan und Isolde, Odysseus und vielen anderen. "Ich wünsche mir von Herzen, dass Schüler davon nicht abgeschnitten werden."

Klassiker zu lesen sei für ihn ein Zugewinn an Erfahrung, und man bekomme ein Gefühl für die Schönheit der Sprache. "Denn je reduzierter die Sprache, desto reduzierter ist die Weltwahrnehmung."

Lesen mit verteilten Rollen

Safranski rät, die Literatur im Unterricht gemeinsam zu lesen, bestenfalls in verteilten Rollen. "Mir hat es früher großen Spaß gemacht, mich in die Figuren zu verwandeln und in sie hineinzudenken. Es ist so vieles möglich."

Klassiker als altbacken abzutun, oder Kinderbücher und "Winnetou" als nicht zeitgemäß zu entsorgen, hält Rüdiger Safranski für den falschen Weg. "Literatur ist auch ein Stück Zeitgeist und ein Spiegel der Gesellschaft der jeweiligen Zeit", betont er. Man könne mit der Literatur von der Vergangenheit auf die Gegenwart sehen und die Gegenwart mit der Bekanntschaft der Vergangenheit relativieren, sagt er und ermuntert, mal wieder zu den Klassikern zu greifen – "es lohnt sich".