Mercedes-Sterne. Foto: dpa

Autobauer will in Sindelfingen flexiblere Arbeitszeiten einführen – Arbeitnehmervertreter sehen Angriff auf Mitbestimmung.

Stuttgart/Sindelfingen - Der Zoff um die Schichtpläne für S-Klasse-Werker ist noch nicht ausgeräumt, da droht Daimler bereits der nächste Kleinkrieg: Der Autobauer fordert von seinen Sindelfinger Beschäftigten mehr Flexibilität bei der Arbeit. Darauf reagiert der Betriebsrat empört: Der Vorstand habe sich offenbar vorgenommen, dessen Mitbestimmung zu umgehen, um „künftig ohne Berücksichtigung der Interessen der Beschäftigten die Produktion zu steuern“, heißt es in der aktuellen Ausgabe der IG-Metall-Betriebszeitung „Brennpunkt“.

Dieses Mal trägt das Blatt den Titel „Brisant“, zum Beispiel, weil die tägliche Arbeitszeit nach dem Willen der Werkleitung zwischen sechs und neun Stunden schwanken können und jeder auf Anordnung pauschale Mehrarbeit von 20 Stunden leisten soll. Zudem soll Mehrarbeit künftig so lange nicht ausbezahlt werden, solange Arbeitskonten im Minus sind. Unternehmerische Risiken wie Konjunkturschwankungen „und auch die Folgen von Fehlentscheidungen des Managements tragen in dieser schönen neuen Welt des Vorstands allein die Beschäftigten in der Produktion“, schimpft Gesamtbetriebsratschef Erich Klemm.

„Die Halle hat getobt“, berichtet ein Teilnehmer

Rückendeckung bekam er am Freitag von Tausenden Beschäftigten, die in Sindelfingen über die Pläne informiert wurden. „Die Halle hat getobt“, berichtet ein Teilnehmer, mit Trillerpfeifen und Vuvuzelas machten Mitarbeiter während der fast dreistündigen Veranstaltung lautstark ihrem Unmut Luft. Die Stimmung in der Belegschaft ist ohnehin schlecht, nachdem das Unternehmen vor einer Woche wegen des Streits in der S-Klasse die Einigungsstelle beim Arbeitsgericht angerufen hat. Daimler möchte das aktuelle Modell von seinem Flaggschiff nur noch im Ein- statt im Zweischichtbetrieb fertigen, bis 2013 das Nachfolgemodell auf den Markt kommt. Unternehmen und Betriebsrat können sich aber zum Beispiel nicht darauf einigen, ob in dieser Übergangszeit ausschließlich in Früh- oder weiterhin in Wechselschicht gearbeitet wird.

Klemm forderte das Unternehmen am Freitag auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren, stellte aber die Bedingung, „dass die Werkleitung die Kündigung der Betriebsvereinbarung zur Arbeits- und Betriebszeit im Produktionswerk Sindelfingen zurücknimmt“. Diese hatte Daimler zeitgleich mit der Anrufung des Arbeitsgerichts ausgesprochen, um Arbeitszeitkonten künftig schneller von einem Minusstand auf null fahren zu können. In der S-Klasse-Montage sind die Arbeitszeitkonten derzeit mit rund 100 Stunden pro Beschäftigtem im Minus, durch den geplanten Einschichtbetrieb droht ein weiteres Abrutschen.

„Wir müssen schauen, was andere Werke heute schon an Flexibilisierung haben und was unsere Wettbewerber machen“

Zwar will man nächsten Dienstag noch einmal über das Thema Schichtpläne reden. Eine Einigung ist aber kaum zu erwarten, da Daimler nach eigenen Aussagen die Kündigung der Betriebsvereinbarung nicht zurücknehmen wird. Gleiches gilt für die geforderten Zugeständnisse bei der Flexibilität. Die Notwendigkeit dafür habe man dem Betriebsrat seit geraumer Zeit signalisiert, sagt Stefan Schneider, Personalchef der Mercedes-Pkw-Werke. „Wir müssen schauen, was andere Werke heute schon an Flexibilisierung haben und was unsere Wettbewerber machen.“ Zwar ist Sindelfingen Schneider zufolge nicht das Werk mit der geringsten Flexibilität im Daimler-Verbund. Vor allem an Samstagsarbeit bestehe aber Nachholbedarf. Das A-Klasse-Werk Rastatt läuft da teilweise im Dreischichtbetrieb, in Sindelfingen sind an Samstagen nur Frühschichten möglich. Schneider: „Wir wünschen uns einen breiteren Rahmen, der in Abstimmung mit dem Betriebsrat genutzt werden kann.“

Der Betriebsrat wirft dem Unternehmen hingegen vor, sich „vorab pauschal Möglichkeiten zur Flexibilisierung sichern zu wollen, um diese dann je nach Bedarf ungefragt abrufen zu können“. Eine solche Einschränkung der Mitbestimmungsrechte „werden wir nicht akzeptieren“, betont Klemm. Oder, wie es IG-Metall-Landeschef Jörg Hofmann ausdrückt: „Wir können an der Spitze dieses Konzerns keine Rambopolitik gegenüber den Beschäftigten akzeptieren.“