Von seinem Taxi hängt für Reiner Ast alles ab – Ersatzteile für das Auto findet er auf Kuba nicht Foto: Peter Chemnitz

Reiner Ast hat sich wirklich auf seine Wahlheimat Kuba eingelassen, seit er vor 14 Jahren dort hin zog. Mit seinem Taxi nimmt er sowohl Castro-Gegner als auch Revolutionsfanatiker mit. Dabei erlebt er auch die ganze Palette menschlichen Scheiterns.

Gerlingen/Santiago de Cuba - Die Nationalfahne hängt schlapp herab. Kein Windchen weht. Frauen und Männer hocken schwitzend vor ihren Häusern und tauschen sich über Neuigkeiten aus. Für 20 Uhr hat das Revolutionskomitee zur Sitzung eingeladen. Jetzt ist es 20.30 Uhr und der Vorsitzende muss die Nachbarn aus den Wohnungen trommeln.

Reiner Ast beobachtet das Treiben und zieht genüsslich an seiner Zigarre. Er ist kein normaler Kubaner, sondern deutscher Staatsbürger. Allerdings ein privilegierter, denn er besitzt etwas, was ihn von seinen Landsleuten unterscheidet: die permanente Aufenthaltsgenehmigung für eine Insel, die für die einen als tropisches Paradies, für die anderen als letzte kommunistische Hölle gilt. Ast ist einer von zwei Deutschen, die auf Kuba Taxi fahren. Vor 14 Jahren hat der gelernte Reiseverkehrskaufmann aus Gerlingen bei Stuttgart alles auf Risiko gesetzt und bisher immer gewonnen. „Ich habe mich auf die neue Heimat wirklich eingelassen, ohne ein anderes Faustpfand in der Hinterhand zu haben als meinen deutschen Pass“, sagt Ast.

Tausend Geschichten könnte er erzählen, zum Beispiel von den ersten Jahren, als es für ihn um das wirtschaftliche Überleben ging, als nach einer gescheiterten Ehe die Annullierung der Aufenthaltsgenehmigung drohte, als er seinen Job bei einem auf der Insel tätigen deutschen Reiseunternehmen verlor. Aber stets blieb ihm das Glück treu, denn es kam ein neues Angebot, ein neues Gesetz.

Die ganze Palette menschlichen Lebens

Und so nimmt der 45-jährige Deutsche heute in seinem Taxi Hartz-IV-Empfänger genauso wie Millionäre mit, er fährt 18-jährige Studentinnen und 80-jährige Urgroßväter, überzeugte Castro-Gegner und Revolutionsfanatiker. Auf der Fahrt zwischen Holguin und Santiago de Cuba nimmt er schweigend Hoffnungen und Träume zur Kenntnis, um auf der Rückfahrt von ihren Fortsetzungen oder ihrem Scheitern zu erfahren. Die ganze Palette menschliches Lebens. „Zu meinen Grundregeln gehört aber längst, besser keine Ratschläge zu geben, auch wenn ich gefragt werde“, sagt Ast.

Er schwört auf den Staatspräsident Raúl Castro im fernen Havanna. All die kleinen Reformschritte hat Ast genutzt, um immer tiefere Wurzeln auf der Insel zu schlagen. In Santiago de Cuba ist er zu Hause. Das ist der afrokubanischen Gegenentwurf zum 17 Fernbusstunden entfernten weißen, von Nordamerika geprägten Havanna. Erst vor kurzem hat er sich eine heruntergekommene Villa in Vista Alegre, im einst reichsten Teil der Stadt, gekauft. Davor parkt sein weißer VW Polo mit Taxischild. Sein Sohn geht auf die staatliche Eliteschule und seine Ehefrau verdient als hoch spezialisierte Ärztin immerhin 40 US-Dollar im Monat und damit weit mehr als das Doppelte eines Durchschnittskubaners. Als selbstständiger Taxifahrer ist Ast einer von zwei Deutschen, die auf der sozialistischen Ferieninsel diesem Beruf nachgehen. Der andere arbeitet auf der Insel der Jugend, Ast arbeitet in der alten Provinz Oriente.

Vorsichtiges Abtasten der Möglichkeiten

Als er vor 14 Jahren nach Kuba kam, regierte noch der Revolutionsführer Fidel Castro, der über Kuba sagte: „Wir sind ein Land der Dritten Welt, ein Land, das sich in der Entwicklung befindet, aber auch ein revolutionäres und außerdem ein sozialistisches Land.“ Der Schwabe ist deshalb vorsichtig. Langsam tastet er die neuen Möglichkeiten ab. „Seit es beispielsweise die Reisefreiheit gibt, muss ich meine Reisen nach Deutschland nicht mehr Wochen vorher bei der örtlichen Behörde beantragen“, sagt Ast. Und als Deutscher hat er – im Gegensatz zu den Kubanern – auch keine Probleme mit der Deutschen Botschaft in Havanna.

Als Ausländer mit ständigem Wohnsitz durfte er beim Transportministerium einmalig den Kauf eines Autos beantragen. Nach einer Wartezeit von neun Monaten kaufte er für 5000 US-Dollar einen VW Polo mit ungewissem Kilometerstand, der von einer Mietwagenfirma ausgesondert worden war. Als einer der ersten beantragte er eine Lizenz als selbstständiger Taxifahrer, erwarb den Personenbeförderungs- und den Taxiführerschein und brachte sein Auto durch den Tüv. Sogar einen privaten Telefonanschluss mit Internet bekam er – ein absoluter Luxus in Santiago de Cuba.

Tausend Kilometer im Bus für zwei Dollar

Andererseits kostet ihn eine Busreise ins knapp tausend Kilometer entfernte Havanna – sollte er eines der raren Tickets bekommen – nur zwei Dollar, die medizinische Behandlung ist für ihn kostenlos, genau wie Medikamente, falls sie denn vorrätig sind.

Ast genießt die sozialen Errungenschaften der sozialistischen Revolution und die Möglichkeiten der neuen Marktwirtschaft. Trotzdem ist der Alltag hart. Alles hängt von dem zehn Jahre alten, in Mexiko gebauten VW Polo mit den schwarz-weißen Karos, einst in Deutschland übliches Zeichen für Taxis, ab. In Kuba gibt es für das Auto kaum Ersatzteile. Kleinere Sachen können deutsche Freunde mitbringen, bei größeren Reparaturen muss er auf das Improvisationsvermögen der Kubaner setzen.

Seriosität, Zuverlässigkeit, perfektes Spanisch und umfangreiches Wissen sind die Trümpfe, mit denen Ast punkten kann. In der tropischen Hitze ist das ein permanenter Kampf gegen den eigenen Schweinehund. Deswegen sind die beiden Flüge, die Condor wöchentlich nach Holguin durchführt, für Ast wichtig. Seit keine deutschen Gesellschaften mehr Santiago de Cuba direkt anfliegen, ist der internationale Flughafen in der Nachbarprovinz das Ziel für alle Touristen, die in den Osten der Insel wollen. So fährt Ast jeden Mittwoch und Sonntag die rund 160 Kilometer.

Der Taxifahrer als Botenjunge

Ein Service, der sich herumgesprochen hat, denn meist ist er ausgebucht. Für die mit Ostkuba verbundenen Deutschen ist er eine wichtige Adresse geworden. Wer eilige Post für Santiago de Cuba hat, muss sich nur melden, Ast kennt garantiert jemanden, der im nächsten Flieger nach Holguin sitzt. Er hilft Hochzeiten, Vaterschaftstests, die Anerkennung von Kindern, aber auch die für Scheidungen nötigen Dokumente zu organisieren. So ist Ast nicht nur als Taxifahrer, sondern mehr noch als Botenjunge für die Deutschen mit Verwandtschaft in Ostkuba wichtig.

Gleichzeitig registriert er die politischen Losungen am Straßenrand. Sie sind ein Seismograf der politischen Entwicklung. Ast hat auch gelernt, die Gesetzestexte zu lesen. Dass die staatlichen Taxifahrer Genossenschaften gründen müssen, freut ihn. Endlich wird den Betrügereien ein Riegel vorgeschoben, so hofft er. Unerfreulich findet er dagegen, dass seit kurzem vor den Flughäfen nur noch Fahrer mit einer Lizenz der Agencia de Taxis warten dürfen. Denn die ist beinahe unbezahlbar.

Asts Traum? Ein Kleinbus

„Ein Kleinbus wäre mein Traum, aber noch sind die Preise illusorisch hoch“, sagt Ast. Aber vielleicht tue sich auch hier noch etwas. Schon deswegen muss Ast hören, was der Komiteepräsident nach dem Loblied auf die Revolution und ihre Errungenschaften zu verkünden hat. Und als der Präsident zum freiwilligen Arbeitseinsatz aufruft, gehört Ast zu den ersten, die die Hand heben. Und er zückt auch die Brieftasche, um seinen Teil beizusteuern, damit es nach dem gemeinsamen Fegen der Straße abends ein Schwein am Spieß, Bier vom Fass und die Neuigkeiten vom Tag geben kann.