Mittendrin im Rampenlicht: Der Schweizer Tennisprofi Stanislas Wawrinka mit dem Siegerpokal der Australian Open in Melbourne– zuvor hatte er Rafael Nadal in vier Sätzen bezwungen. Foto: dpa

Im Schatten von Roger Federer suchte Stanislas Wawrinka seinen Weg nach oben. Nun ist er angekommen – und kann kaum glauben, dass er tatsächlich die Australian Open gewonnen hat.

Im Schatten von Roger Federer suchte Stanislas Wawrinka seinen Weg nach oben. Nun ist er angekommen – und kann kaum glauben, dass er tatsächlich die Australian Open gewonnen hat.

Melbourne - Selbst Rod Laver vergoss eine kleine Träne, und es war in der Tat nicht ganz leicht, den Anblick der beiden Männer da unten auf dem Podium nicht bewegend zu finden. Das Bild des aufrecht stehenden, aber dennoch ziemlich fassungslosen Siegers Stanislas Wawrinka, der mit dem Pokal in der Hand meinte, er wisse nicht, ob er träume oder wach sei. Und daneben Rafael Nadal, um Fassung bemüht nach einem Spiel, das er sichtlich angeschlagen nur mit größter Mühe überstanden hatte.

Seit 99 Jahren wird um den Titel bei den Australischen Tennismeisterschaften gespielt, aber eine ähnlich bizarre Partie wie beim Triumph des Schweizers (6:3, 6:2, 3:6, 6:3) dürfte selten dabei gewesen sein. Klar war nur die Ausgangslage. Beide hatten zwar vorher gesagt, die Bilanz (12:0 für Nadal ohne Satzverlust) habe keine Bedeutung, doch der Rest der Welt sah das anders.

Und so trauten die Leute ihren Augen nicht, als Wawrinka das Spiel des Favoriten im ersten Satz nach allen Regeln der Kunst auseinander nahm; schwer vorstellbar, dass er je in seiner Karriere einen besseren Satz gespielt hatte. Das traditionelle Feuerwerk zur Feier des Australia Day wurde zwar diesmal nicht direkt vor der Arena, sondern weiter unten am Fluss in den Docklands angefeuert, aber Nadal musste das Gefühl haben, als explodierten die Raketen direkt vor seinen Füßen. Das war des Dramas erster Teil.

Der zweite begann mit der Erkenntnis, dass etwas mit Nadal nicht stimmte. Der beugte sich vornüber, fasste sich an den Rücken, schlug nur noch mit reduzierter Geschwindigkeit auf und verschwand dann zur Behandlung in den Katakomben. Später sagte er, er habe das Problem schon beim Einspielen gespürt, und im zweiten Satz sei es kaum mehr auszuhalten gewesen.

Während Nadal draußen war, ließ Wawrinka Dampf ab. Er wollte vom Schiedsrichter wissen, welcher Art die Verletzung sei, der entgegnete, das müsse er ihm nicht sagen, und ein paar Minuten lang sah es so aus, als rede sich der Schweizer wütend aus dem Spiel hinaus. Nadal kam zurück, aber in den Beifall der Leute mischten sich Buhrufe. Später in der Pressekonferenz meinte er mit erstickter Stimme, er könne das Publikum schon verstehen; die Leute hätten schließlich viel Geld bezahlt und wollten das beste Spiel sehen, und das habe er in diesen Momenten nicht bieten können. Später, so fand er, hätten sie wohl verstanden, dass es ihm wirklich schlecht gegangen war. Bei der Siegerehrung gab es ausschließlich Beifall.

Nadal hatte den zweiten Satz nahezu ohne Möglichkeit zur Gegenwehr verloren, aber er machte weiter. Er hasst es aufzugeben, vor allem in Spielen wie diesem. Zudem gibt es genügend Beispiele aus der Welt des Tennis, wie die offensichtliche Verletzung eines Spielers auch den Gegner hemmt, und genau das passierte auch diesmal. Wawrinka wirkte auf einmal kopflos, verlor das Timing, und damit begann des Dramas dritter Teil. Nadal schien sich etwas erholt zu haben, und keine halbe Stunde, nachdem es so ausgesehen hatte, als könne er nicht mehr, hielt man es auf einmal wieder für möglich, dass er dieses verrückte Ding noch drehen würde.

Der lädierte Kämpfer versuchte, seine Position zu behaupten, aber Wawrinka fand allmählich, vermutlich gerade noch rechtzeitig, zu sich selbst zurück – damit begann der letzte Teil. Die ersten Gelegenheiten, entscheidend in Führung zu gehen, reichten nicht, beim Stand von 4:2 kassierte er noch mal ein Break. Aber er legte umgehend nach, ging 5:3 in Führung und schlug anschließend zum Matchgewinn auf. Jeder weiß, wie schwer dieses allerletzte Spiel zu gewinnen ist, wie leicht einem in ein paar Momenten alles aus den Händen gleiten kann. Aber Wawrinka hielt dagegen und griff ganz fest zu. Nach zwei Stunden und 21 Minuten versenkte er den letzten Ball, aus Respekt vor dem Gegner, den er lange kennt und mag, fiel seine Reaktion im Moment des Triumphes allerdings zurückgenommen aus. Er genoss den Moment eher still, und es gibt keine Form, die besser zu ihm gepasst hätte.

Nie im Leben, so hatte er vor ein paar Tagen verraten, habe er damit gerechnet, zu jenen Leuten zu gehören, die die bedeutendsten Titel des Tennis gewinnen. Zu Leuten wie Pete Sampras, der ihm den Pokal überreichte, und vor allem Roger Federer, in dessen riesigem Schatten er versucht hatte, auf seine Weise ans Ziel zu kommen. Mit dem Sieg in Melbourne am Abend eines traumhaft schönen Sommertages landete Stanislas Wawrinka auf Platz drei der Weltrangliste – das ist schön, aber der Rest zählt unvergleichlich mehr. Sein Name steht jetzt auf dem Sockel des Pokals und in den Geschichtsbüchern des Tennis.