Historisches Foto des Tagungshotels Royal in EvianBildquellen: Veranstalter Quelle: Unbekannt

Geschichte: Neue Ausstellung im Museum Jüdischen Betsaal zur Internationalen Flüchtlingskonferenz von Évian 1938

Horb. Nach der Annexion Österreichs durch NS-Deutschland im März 1938 suchten zehntausende Jüdinnen und Juden verzweifelt nach Fluchtorten innerhalb und außerhalb Europas.

Der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt initiierte in dieser Situation eine internationale Flüchtlingskonferenz. Abgeordnete aus 32 Ländern folgten am 6. Juli der Einladung ins Nobelhotel Royal nach Évian am Genfer See.

Internationales Interesse

Mehr als 200 internationale Presseleute kamen zur Berichterstattung und 39 jüdische NGOs schickten ihre Vertreterinnen und Vertreter. Deren Anliegen und Appelle wurden in Protokollen und Memoranden festgehalten – mehr passierte nicht. Am 15. Juli 1938 endete die Konferenz nach zehn Tagen ohne konkrete Zusagen. Die teilnehmenden Staaten verweigerten den jüdischen Menschen die Zuflucht in höchster Gefahr.

Wer nahm teil?

Wer waren die Abgesandten der jüdischen Organisationen? Welche Positionen vertraten sie vor und nach der Konferenz von Évian und welche Folgen hatte das für sie persönlich? Am Beispiel von elf Biografien, unter ihnen bekannte Persönlichkeiten wie Golda Meir, die spätere Ministerpräsidentin von Israel, Nahum Goldmann, Präsident des Jüdischen Weltkongresses und Otto Hirsch, Vorsitzender der Reichsvertretung der Juden in Deutschland, werden diese Fragen untersucht.

Otto Hirsch

Der Jurist Otto Hirsch, der später eine wichtige Rolle bei der Gruppenauswanderung der Rexinger Juden spielen sollte, wurde 1921 Württembergs jüngster Ministerialrat und Vorstandsmitglied der Neckar-AG. Nach seiner Entlassung infolge der antijüdischen Gesetzgebung 1933 zog er nach Berlin und wurde dort Geschäftsführer der neugegründeten Reichsvertretung der deutschen Juden. In dieser Funktion reiste er als Beobachter nach Évian, wo er ein Memorandum überreichte, in dem nachdrücklich für die jüdische Auswanderung geworben wurde. "Die Juden in Deutschland sind entschlossen, alles aufzubieten, was in ihrer Kraft steht, ihre Organisationen und ihre finanzielle Leistungsfähigkeit in den Dienst der Durchführung eines großzügigen Auswanderungsplanes zu stellen."

Die große Enttäuschung

In Évian zeigte sich, dass die potenziellen Aufnahmeländer sich nur bereit erklären würden, jüdische Flüchtlinge aufzunehmen beziehungsweise die Einwanderungsquoten für sie zu erhöhen, wenn die Verfolgten ihr ganzes Vermögen nach dem Fluchtland transferieren würden. Das wurde ihnen allerdings durch das NS-Regime unmöglich gemacht, das eine konsequente Ausraubung der jüdischen Familien geplant hatte und auch durchsetzte, um ihre Kriegsvorbereitungen zu finanzieren.

Otto Hirsch kehrte desillusioniert nach Berlin zurück. Er suchte weiterhin unermüdlich nach Fluchtmöglichkeiten für die deutschen Juden und half vielen Familien, NS-Deutschland zu verlassen, darunter auch der Rexinger Auswanderer-Gruppe. Ohne seine Verhandlungen mit dem Palästina-Amt in Berlin und den englischen Mandatsbehörden wäre dieses in Deutschland einzigartige Projekt und die Gründung von Shavei Zion nicht geglückt.

Bestürzende Aktualität

Otto Hirsch, der sich immer geweigert hatte, Deutschland zu verlassen, so lange dort noch Jüdinnen und Juden um ihre Ausreise kämpften, wurde im Februar 1941 in Berlin verhaftet und drei Monate später ins Konzentrationslager Mauthausen gebracht. Dort starb er nach kurzer Zeit. Seine Frau Martha Hirsch wurde 1942 nach Riga deportiert und dort erschossen.

In Shavei Zion wurde 1959 der Otto Hirsch Park mit einer Gedenkstätte eingeweiht.

Die Ausstellung "Hoffnung von Millionen" wurde im Deutsch-osteuropäischen Forum im Gerhart-Hauptmann-Haus in Düsseldorf erarbeitet und 2020 dort erstmals gezeigt. Sie ist von einer bestürzenden Aktualität durch die Flüchtlingsbewegungen der letzten Jahre und die Weigerung vieler Länder, Menschen in Not und Lebensgefahr aufzunehmen. Falls es heute wieder zu einer internationalen Flüchtlingskonferenz kommen sollte, muss man befürchten, dass das Ergebnis dem von 1938 sehr ähnlich sein wird.

Schreckliche Erinnerung

Golda Meir schrieb über ihre Erfahrung in Évian: "Ich nahm in der lachhaften Eigenschaft als ›jüdische Beobachterin aus Palästina‹ teil und saß nicht einmal bei den Delegierten, sondern bei den Zuhörern. Es war ein schreckliches Erlebnis, dort in dem prächtigen Saal zu sitzen und zuzusehen, wie die Delegierten von zweiunddreißig Ländern sich nacheinander erhoben und erklärten, sie hätten gern eine beträchtliche Zahl von Flüchtlingen aufgenommen, seien jedoch bedauerlicherweise dazu nicht imstande. Nur wer ähnliches durchgemacht hat, kann verstehen, welche Gefühle mich in Évian erfüllten – eine Mischung aus Kummer, Wut, Frustration und Grauen. Am liebsten wäre ich aufgesprungen und hätte geschrien: Wisst ihr nicht, dass diese Nummern und Zahlen menschliche Wesen sind, Menschen, die vielleicht den Rest ihres Lebens in Konzentrationslagern verbringen oder in der Welt umherziehen müssen, wenn ihr sie nicht aufnehmt?"

Wegen der Corona-Bedingungen findet im Museum Jüdischer Betsaal keine Eröffnungsveranstaltung statt. Die Ausstellung kann aber zu den gewöhnlichen Öffnungszeiten (samstags und sonntags von 14 bis 17 Uhr) besucht werden. Sie läuft bis zum 30. Januar 2022 und ist ein Projekt des Rexinger Synagogenvereins in Kooperation mit der Kreisvolkshochschule Freudenstadt und dem Gerhart-Hauptmann-Haus in Düsseldorf.