Delphine Seyrig (rechts) und Maria Schneider während der Tournee von „Sois belle et tais-toi!“ („Sei schön und halt die Klappe!“), 1975 . Foto: WKV/Courtesy Seyrig Archive

Der Württembergische Kunstverein Stuttgart (WKV) erinnert an die feministische Videofilmerin Delphine Seyrig und ihren Kampf für Frauenrechte in der Filmindustrie – Impulse für aktuelle Debatten inklusive.

Kühler als Catherine Deneuve, eleganter als Audrey Hepburn – mit diesem Image wurde sie berühmt. Wie eine zum Leben erwachte Statue wandelt Delphine Seyrig durch die stuck- und marmorverzierten Räume von Alain Resnais’ „Letztes Jahr in Marienbad“. Vor allem wegen der unnahbaren Präsenz der weiblichen Hauptfigur gilt die verwunschene Dreiecksgeschichte von 1961 als Meisterwerk des französischen Nachkriegsfilms. So viel makellose Rätselhaftigkeit hatte das Kino noch nie zuvor gesehen. Wenig Worte, vornehmste Kleider und beziehungsreiche Körpersprache. Stumme Gesten waren charakteristisch für Delphine Seyrigs Spiel. Doch stumm wollte sie nicht bleiben.

Das Frauenbild der Nouvelle Vague war weniger emanzipiert, als später behauptet wurde. Nach rund eineinhalb erfolgreichen Jahrzehnten im Filmgeschäft begann Seyrig, gegen das Klischee der heruntertemperierten Grazie, die dann doch dem Verehrer nachgibt, aufzubegehren. „Sois belle et tais-toi“ („Sei schön und halt die Klappe“) hieß eine ihrer ersten Arbeiten, nachdem sie hinter die Kamera gewechselt hatte, um für Frauenrechte insbesondere in der Filmindustrie einzutreten. Und vermutlich wegen dieser Kritik an der eigenen Branche zählt Delphine Seyrig heute nicht zu den ikonischsten Figuren ihrer Generation. Trotz der Leistung im epochemachenden „Marienbad“-Drama.

Nun erinnert der Württembergische Kunstverein (WKV) in Stuttgart an die Schauspielerin, Regisseurin und Aktivistin, die 1990 viel zu früh starb. In der Ausstellung, die vom Museo Reina Sofía in Madrid in Zusammenarbeit mit dem Württembergischen Kunstverein und der Kunsthalle Wien organisiert und erstmals im LaM – Lille Métropole gezeigt wurde, dreht sich alles um die Feministin Delphine Seyrig. Ihre glamourösen Auftritte in Filmen von François Truffaut oder Luis Buñuel finden nur am Rande Erwähnung.

Im Kollektiv mit Gleichgesinnten

Der Schauspielberuf animierte sie nachzudenken, welche Rolle die Frau in der Gesellschaft spielte. Irgendwann in den 70ern hörte sie auf, das zu tun, was männliche Drehbücher von ihr verlangten, und schuf eigene Filme. Dokumentarisch und im Kollektiv mit Gleichgesinnten wie der Regisseurin Carole Roussopoulos oder der Übersetzerin Ioana Wieder. „Les Insoumuses“ nannte sich die Gruppe. Aus dem Wortspiel mit „insoumis“ (aufsässig) und „muses“ (Musen) leitet sich der Ausstellungstitel „Widerständige Musen“ ab. Möglich wurde das Projekt eines autonomen weiblichen Films durch die technische Innovation. Ende der 60er Jahre brachte Sony ein preisgünstiges Videosystem auf den Markt, was die Macht großer Produzenten verringerte.

Mit der feministischen Videoguerilla lebt im WKV die Debattenkultur der 70er und 80er Jahre auf. Es geht um Abtreibung, Antipsychiatrie und politischen Kampf. Seyrigs Dokudrama „Inês“ ergriff für die von der brasilianischen Militärdiktatur gefolterte Sozialistin Inês Etienne Romeu Partei. Seyrig reiste auch nach Stuttgart-Stammheim, um sich über die RAF-Häftlinge zu informieren. Auf der Basis des Besuchs entstand der von Kolleginnen realisierte Kurzfilm „Ulrike“.

Der Parcours fasst die verschiedenen Interessengebiete der rebellischen Musen gut zusammen. Neben Filmen und Fotos liegt das WKV-typische Überangebot an Begleittexten aus. Zeugnisse wie Seyrigs Korrespondenz mit der Radikalfeministin Valerie Solanas erhellen das Netzwerk, in dem die Graswurzelfilmerinnen agierten.

Handwerklich sind die Arbeiten trotz der bescheidenen Mittel gut gemacht. Selbst wenn sich nicht jeder Kontext erschließt, können Besuchende aus der Schau viele Impulse für die Gegenwart mitnehmen. Denn Seyrig und ihre Mitstreiterinnen entwickelten kreativen Protest gegen Missstände, die bis heute andauern oder wieder aufflackern. Man denke nur an jüngste Entscheidungen und Debatten zu Schwangerschaftsabbrüchen in den USA.

Die Musenschwestern verfolgten ihre Anliegen zwar rigoros, aber niemals ohne Humor: Mit frechen Zwischenkommentaren entlarvt die Filmcollage „Maso und Miso fahren Boot“ (1976), wie die französische Staatssekretärin für Frauenfragen vor laufender Kamera über peinliche Machowitze lacht.

Struktureller Sexismus beim Film

Bevorzugtes Genre bei all dem ist das Interview. Seyrig wollte nicht selbst im Mittelpunkt stehen, sondern zuhören. Auch bei dem Thema, das sie am meisten umtrieb: dem strukturellen Sexismus im Filmgeschäft. Der zweistündige Redemarathon „Sois belle et tais-toi“ gibt einen Einblick in die Archäologie des Metoo-Zeitalters. Prominente Schauspielerinnen berichten von Ausbeutung bei ihrer Arbeit und einer Mentalität, die den weiblichen Körper dem erotischen Interesse des Mannes unterordnet. Jane Fonda etwa erzählt, dass man ihr geraten habe, sich den Kiefer brechen zu lassen. Das führe zu hohlen Wangen und wirke attraktiver.

Und Delphine Seyrig? Parallel zu ihren geschlechterkritischen Projekten hielt sie auch dem Kino die Treue, ließ sich aber nur noch als Schauspielerin engagieren, wenn Frauen Regie führten. Sie wird gewusst haben, wieso.

Ausstellung „Widerständige Musen“: Bis 7. Mai, Württembergischer Kunstverein, Schlossplatz 2, Di–So 11–18, Mi –20 Uhr.

Zum Hintergrund

Die Künstlerin
Delphine Seyrig kam 1932 als Tochter eines Archäologen in Beirut zur Welt und studierte am Actors Studio in New York. Ihre erste Filmrolle hatte sie 1959 in dem Kurzfilm „Pull My Daisy“ nach einem Script von Jack Kerouac. Seyrig wirkte sowohl in Autorenfilmen als auch in populären Thrillern wie „Der Schakal“ mit, später trat sie in Produktionen der aus Konstanz stammenden Ulrike Ottinger auf. 1990 erlag Seyrig einem Krebsleiden.

Die Schau
Wichtigster Kooperationspartner der Stuttgarter Schau ist das Centre audiovisuel Simone de Beauvoir in Paris. Die nach der feministischen Philosophin benannte Institution wurde von Seyrig mitgegründet. Das Zentrum widmet sich der Archivierung von Film- und Tonmaterial aus dem Umkreis der Frauenbewegung. Ein weiterer Fokus liegt auf der Förderung aktueller Filmprojekte.