Drogen-Papa Thomas T. (55, re.) im Gespräch mit dem Sachverständigen Klaus Hoffmann. Links sein Verteidiger Rasmus Reinhardt Foto: Lück

Der Sitzungssaal 201. Schauplatz spektakulärer Prozesse wie um den Mord an Michael Riecher. Oder den Todes-Brandstifter von Talheim. Diesmal um einen Vater auf Abwegen. Mit emotionaler Adventsbotschaft.

Rottweil/Waldachtal - Da sitzt er – der Angeklagte. Pferdeschwanz, baumlang, schlank. Parka, Fußfesseln, Maske. Weil er Corona Kontaktperson ist, aber negativ getestet. In Waldachtal bekannt als der "Durchgeknallte". Ist Thomas T. (55, Name geändert) ein gefährlicher Räuber? Drogendealer?

Verkäuferin Manuela H. (Name geändert): "Er hob die Flasche, drohte: Die ziehe ich Dir über den Kopf! Ich habe den Hass in seinen Augen gesehen. Wusste, ich musste fliehen!"

Opfer: "Er schrie gleich los!"

Tankstellen-Angestellter Daniel S. (Name geändert): "Er schrie gleich los: Halt bloß die Fresse. Ich polier Dir die Fresse. Nahm Schachteln Zigaretten aus dem Ständer. Kam hinter die Theke. Gab mir einen Schubs, dass ich an die Scheibe bin. Holte sich noch das Feuerzeug. Draußen rauchte er in Ruhe, während ich mit meinem Chef telefonierte und die Polizei rief!"

Zwei Tage im April 2022 in Waldachtal-Lützenhardt. Normal ist das nicht, oder?

Tochter des Täters: "Er hat unser Herz gebrochen!"

Tochter Melanie (Name geändert): "Mein Vater ist ein super Vater. Ich liebe ihn über alles. Er ist ein 90er Jahre Drogengeschädigter. Ihn hat eine Psychose erwischt. Als ich drei Jahre alt war, begann es. Er hat mein Herz und das meiner Mutter gebrochen."

Dann erwischt ihren Vater der Krebs. Dazu Psychiatrie. Tochter Melanie: "Gut 15 Jahre gab es keine Vorfälle mehr. Er verlor seinen Job. Ist wieder abgedreht. Ich war mit ihm beim Arzt, habe mit meiner Mutter alles versucht, dass er wieder psychiatrisch behandelt wird."

"Niemand wollte uns helfen!"

So viele Stellen sind wir abgelaufen – ohne Erfolg! Sie wollten ihn nicht mal anschauen. Uns wollte keiner helfen. Da kam nie eine Rückmeldung. So hat sich die Tragödie vollstreckt!

Trotzdem – Mutter und Tochter versuchen, zu ihm zu halten. Die Tochter: "In seiner Psychose wird er zum zynischen Provokateur. Irgendwann konnte ich es nicht mehr ertragen. Ab Februar habe ich ihm kein Essen mehr gebracht!"

Thomas T. züchtet Hasch und Pilze

Zu diesem Zeitpunkt war Thomas T. schon in einer Obdachlosenunterkunft. Von seinem eigenen Verwandten zwangsgeräumt, weil er immer Ärger machte.

Thomas T. voll auf Drogen. Züchtete selbst Cannabis in zwei Grow-Boxen (3200 Euro, in Stuttgart gekauft). Züchtete Pilze. Sagt: "Ein Pilz wirkt acht Stunden lang wie LSD." Bis sein Verwandter Vermieter die Polizei ruft, weil Licht in der Wohnung brennt – aber kein Lebenszeichen des Mannes mit dem Pferdeschwanz. Am 23. September 202 bricht die Feuerwehr die Tür auf. Der "Durchgeknallte" nicht da. Dafür Drogenpilze, die Zuchtboxen mit jeder Menge Haschisch. Schnupfröhrchen und Bong.

Wie krank ist der Täter?

Der Überfall auf die Tanke: am 11. April diesen Jahres. Die Bedrohung der Netto-Verkäuferin: ein Tag später.

Der Staatsanwalt klagt ihn deshalb wegen Raub, besonders schweren Diebstahl und Drogenhandel an. Betont aber, dass vermutlich eine verminderte Schuldfähigkeit vorliegt – wegen einer paranoiden Schizophrenie.

Der ermittelnde Polizist aus Pfalzgrafenweiler: "Aus unseren Unterlagen geht hervor, dass er Drogen verkauft hat."

Tochter: "Ich bin bereit, ihn aufzunehmen!"

Egal, was wird. Die Tochter sagt: "Es ist nicht verhältnismäßig, ihn zu verurteilen. Ich bin bereit, ihn in meiner Wohnung aufzunehmen. Mein Vermieter ist einverstanden. Meine Mutter, die in der selben Straße wohnt, unterstützt mich. Sein ehemaliger Chef ist auch bereit, ihn wieder auf 400 Euro Basis anzustellen. Das soll keine Dauerlösung sein. Aber seitdem er im Gefängnis ist, mache ich mir ständig einen Kopf, weil er das nicht verdient hat. Wir wollen ihm wieder den Einstieg in ein normales Leben ermöglichen!"

Eine Adventsbotschaft. Eine Tochter und Ex-Frau, die dem "Durchgeknallten" offenbar verziehen haben. Verteidiger Rasmus Reinhardt: "Das war sehr eindrucksvoll." Der Vorsitzende Richter Karlheinz Münzer: "Respekt, dass sie so offen geredet haben."

Trotz Emotionen – die Kammer bleibt kritisch

Trotz der Emotionen und der Versöhnungsbotschaft der Familie – die Strafkammer lässt sich nicht einlullen. Merkt man am Ende des ersten Verhandlungstags. Thomas T. hatte behauptet, er habe die Tankstelle überfallen, weil er Hunger hatte und durch die Zigaretten den Hunger stillen wollte. Die Netto-Verkäuferin hatte aber erzählt, dass er am morgen um 6 Uhr schon vor dem Netto war. Thomas T.: "Ich habe Flaschenpfand eingelöst und mir was zu essen gekauft."

Richter Münzer: "Wie können sie dann sagen, dass sie Hunger hatten, als sie gegen 10 Uhr die Tankstelle überfallen haben?"

Der Angeklagte: "Ich war so angefressen." Münzer: "An Hunger können sie sich nicht erinnern?" Thomas T.: "Doch."

Beim nächsten Termin gibt’s Klarheit über Störung

Die Verhandlung wird am 13. Dezember fortgesetzt. Dann sagt Klaus Hoffmann, Ex-Leiter der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie im Zentrum für Psychiatrie (ZfP) Reichenau, wie und ob der Angeklagte wirklich psychisch krank ist. PS: In Reichenau wurde auch der Bahnhofspöbler von Horb behandelt.