Am Ende, im Ziel – der Moment der Erlösung Foto: dpa

An diesem Samstag findet der Triathlon in Hawaii statt. Triathlon boomt wie auch viele andere Ausdauersportarten. Immer mehr Menschen entdecken ihre Lust am Leiden. Aber warum eigentlich? Vier ganz persönliche Meinungen.

Stuttgart - Der Ironman auf Hawaii ist eines der legendärsten Sportereignisse. Das Rennen steht wie kaum ein anderes für die Leiden und den Kampf gegen die Grenzen. An diesem Samstagabend deutscher Zeit (die ARD überträgt ab 1.15 Uhr) kämpfen die Stars wie Jan Frodeno oder Sebastian Kienle um den Sieg beim wichtigsten Triathlon der Welt. 3,8 Kilometer Schwimmen. 180 Kilometer Radfahren. 42,195 Kilometer Laufen. Warum tut man sich das an? Was ist der Kick hinter der Schinderei? Macht Ausdauersport Spaß? Vier Kollegen beschreiben aus ganz persönlicher Sicht ihre Leidenschaft für ihren Ausdauersport.

Marko Schumacher – der Marathon-Läufer

Nein, das Runner’s High gibt es nicht, das kann mir keiner erzählen, völlig ausgeschlossen. In Laufzeitschriften, Marathonbüchern und Internetforen ist davon oft die Rede, auch in einem eigenen Wikipedia-Eintrag. Es heißt sinngemäß, der Körper schütte beim Dauerlauf irgendwann Glückshormone aus, die jeden Schmerz vergessen lassen und dafür sorgen, dass man in einer Art Schwebezustand über die Laufstrecke fliegt. Blödsinn, kann ich da nur sagen.

Jedenfalls warte ich bis heute vergeblich auf ein solches High. Ich kenne nur das Down. Für mich gilt leider eine so einfache wie unerbittliche Formel: Je weiter man läuft, desto mehr tut es weh.

Und so tauchen sie unweigerlich bei jedem Marathon auf, diese quälenden Fragen nach dem Sinn. Wenn man Glück hat, passiert es erst bei Kilometer 35, wenn es schlecht läuft, meldet sich der Schweinehund schon kurz nach der 20-Kilometer-Marke: „Warum tust du dir das bloß an?“ Beziehungsweise: „Gibt es Dämlicheres, als stumpfsinnig 42  Kilometer die Straße entlangzutraben und sich dabei die Gelenke zu ruinieren?“ Oder schlicht: „Was soll der ganze Scheiß?“

Weder die teuren Powergels, die man in immer kürzeren Abständen und mit immer größer werdender Verzweiflung einsaugt, noch die Blaskapellen, die aufmunternd am Wegesrand musizieren, können die Schmerzen auf den letzten Kilometern lindern. Es ist eine einzige Tortur – und es gibt in diesen Augenblicken nicht den geringsten Zweifel: Nie mehr Marathon!

Doch dann kommt sie endlich, die Ziellinie, und mit ihr die Erlösung von allen Höllenqualen und die Antwort auf alle Sinnfragen. Es gibt in einem Menschenleben nicht unendlich viele solcher Momente vollkommenen Glücks wie jene Minuten, in denen man völlig entkräftet im Zielraum liegt, sich nicht mehr bewegen kann und weiß, dass man es geschafft hat. Und schon bald darauf beginnt man darüber nachzudenken, ob man nicht auch einmal einen Ultra-Marathon in Angriff nehmen könnte.

Marko Schumacher: Joggen mag der Sportredakteur nicht, trotzdem läuft er Marathon. Seine Bestzeit: 2:59,33 Std.

Jürgen Löhle – der Schwimmer

Wasser ist zunächst einmal nass, was nicht jeder mag. Es ist aus Kostengründen in kommunalen Bädern oft auch ziemlich frisch und duftet zumindest in Hallen auch unangenehm chlorig. Trotzdem kann einen das Element glücklich machen, sogar am frühen Morgen und auch im Winter. Denn Wasser trägt, nimmt Schwere und Gewicht und somit auch ein wenig den Druck des Tages, der da ja noch kommt. Zugegeben, man sollte wissen, wie es richtig geht. Schwimmen ist bei mangelnder Technik eher hektisches Krabbeln und dann einfach nur Mist mit Muskelkrampf und Atemnot. Oder eben ein Gleiten, das sich anfühlt, als sei man leicht über dem Wasser, statt drin. Das kostet natürlich auch Energie, hat aber Suchtfaktor.

Das Gleiten gelingt nicht jeden Tag perfekt, und man sollte einmal im Leben anständig Schwimmen gelernt haben, also wissen, wie man die Schulter locker dreht, die Atmung rhythmisch hält und den Beinschlag so dosiert, dass man nicht nach fünf Minuten am Kollapspuls ist. Aber wer das kann, erlebt die Lust der gleichmäßigen Last. Puls 140, Dreierzug und Kacheln zählen. Spätestens nach 500 Metern sinkt der schwere Rest des Alltags auf den Grund, die Welt reduziert sich auf atmen, ziehen und das leichte Klatschen im Ohr, wenn der Arm sauber ins Wasser eintaucht. Natürlich strengt es an, aber schwerkraftreduziert und launesteigernd. Der Kopf wird frei, weil man nicht aufpassen muss, über eine Wurzel zu stolpern oder ein Anstieg einen in einen anderen Rhythmus zwingt. Auch wenn es komisch klingt – die Wende nach spätestens 50 Metern stört nicht, wenn man sie in die Bewegung einbaut.

Und dann ist da noch das Wettbewerbsglück. Schwimmer wissen nach den ersten 100 Metern, ob es ein guter Tag ist. Und wenn du dann nach 1000 Metern 30 Sekunden unter der angestrebten Zeit bist oder der Jungspund auf Bahn zwei einfach nicht wegkommt, läuft der zweite Kilometer wie von allein – denn es winkt eine Zeit fürs Erinnerungsbüchlein und ein Ego-Tätscheln obendrauf. Auch das hat Suchtfaktor.

Jürgen Löhle: Unser Autor ist sozusagen ein 2/3-Triathlet als begeisterter Schwimmer und Radfahrer.

Martin Gerstner – der Radfahrer

Alles fließt. Mensch und Maschine verschmelzen zur zirkulären Existenz zwischen Leichtigkeit und Schwerkraft. Blut strömt durch Arterien und gleichmäßig schuftende Muskeln. Es kreisen die Beine, es fließt der Asphalt unter den schmalen Rädern, das graue Band wird angesaugt und zurückgelassen. Radfahren ist Hingabe an die Bewegung und die Natur. Das gilt vor allem für die Radtouristik-Fahrten und Rad-Marathons. Dort treffen sich die Hobby-Rennradfahrer, folgen der Topografie, surren zu Tal und kurbeln bergauf, lassen die Kette wandern, sprechen anfangs viel, dann immer weniger, zwingen sich zum Essen, saugen sich in irgendeinen Windschatten und verlieren ihn wieder. Akademiker, Handwerker, Lebenskünstler – Statusunterschiede werden im Peloton verwischt. Alle teilen die Gewissheit, dass es mehr gibt, als Pendlerroutine, Kaffee am Morgen und eine überfüllte U-Bahn.

Der innere Schweinehund hat an solchen Tagen nichts zu melden. Er wird meist aktiv, wenn es um die routinierte Trainingsrunde an einem Morgen geht, dessen bleiches Licht weder wärmt noch glitzert. Wer trotzdem seine Körpermaschine anwirft, einfach losfährt und sich dem Gefühl der Verlassenheit, des Bedrohlich-Elementaren aussetzt, wird reich belohnt – und sei es nur durch ein paar unerwartete Sonnenstahlen, die schräg durch die Bäume flirren. Im Gedächtnis aber bleiben jene Rad-Momente, die die Seele massieren: der einsame Bauernhof an einer italienischen Landstraße. Der Panoramablick auf ein Mittelmeer-Blau, das die Sinne ertränkt. Die Pass-Abfahrt, die mit jeder Kurve wärmere Luft spendet und den Fahrer schließlich in einen verwunschenen Ort mit Spa-Hotel und Schweizer Flagge bringt.

Alles am Radfahren ist Physik und doch scheint sie in solchen Momenten außer Kraft gesetzt zu sein. Der Körper schöpft Kraft aus sich selbst, die Kreiselbewegung reicht hinüber in die Ewigkeit. Dem Radfahrer bleibt nur die Suche nach der perfekten Straße. Und diese Suche endet nie.

Martin Gerstner: Unser Redakteur legt die meisten Wege mit dem Rad zurück. Schwimmbäder meidet er.

Swantje Dake – die Triathletin

Kurz vorm Startschuss kommt meistens der Gedanke: „Boah, warum mach’ ich diesen Quatsch eigentlich?“ Ich schwimme gern, zumindest im Training. Im Wettkampf ist die erste Disziplin immer ein Überlebenskampf. Mal steht man mit 20, mal mit 200 oder gar mit 2000 Athleten am Ufer. Hinterher kann man das heldenhaft erzählen, mittendrin fühlt man sich wie eine Socke im Schleudergang. Das hat so gar nichts mit Bahnenziehen im Freibad zu tun. Aber genau deswegen ist der Sport so faszinierend. Es ist ein Kampf gegen die eigenen Grenzen, gegen den Gegner, gegen Wellen, gegen Wind und Berge und manchmal auch gegen die Tücken der Technik oder eine verrutschte Schwimmbrille.

Triathlon heißt nicht automatisch Langdistanz, heißt nicht automatisch Hawaii. Die Weltmeisterschaft der Langdistanz-Triathleten in Kailua-Kona ist für viele Dreikämpfer der Traum – und bleibt es auch. Aber mittlerweile gibt es unüberschaubar viele Rennen, Distanzen und Strecken auf allen Kontinenten. Allen gemein ist der Ablauf: Schwimmen – Radfahren – Laufen, in eben dieser Reihenfolge, immer Vollgas und jeder für sich allein.

Für mich gibt es nicht diesen einen Moment, in dem Triathlon am meisten Spaß macht. Die Wechsel sind die hektischen und prägenden Augenblicke. Nicht umsonst werden sie als vierte Disziplin bezeichnet: Im Wasser aufrappeln, Brille hoch, das Band am Rücken ertasten, das den Reißverschluss des Neoprenanzugs öffnet, Arme und Oberkörper aus der Gummipelle befreien, während man in die Wechselzone läuft. Helm auf, Startnummer um, Rad nehmen. Zeit zum Abtrocknen bleibt nicht. Die Radschuhe zieht man im Fahren an. Meistens gilt Windschattenverbot: Zehn Meter Abstand zum Vordermann müssen eingehalten werden. Wer sich auf dem Rad verzockt, bekommt die Quittung beim Laufen. Kein Runner’s High, nur Schweiß und Schmerzen – Zeit, um erneut die (Sinn-)frage zu stellen: „Wann mache ich diesen Quatsch wieder?“

Swantje Dake: Die Redaktionsleiterin der Digital Unit hat im zarten Alter von 28 Jahren Kraulen gelernt. Mittlerweile stehen zehn Jahre Triathlon in den Trainingsbüchern. Bis zu zwölf Stunden Training pro Woche reich, um sich bei Triathlon-Distanzen von Sprint bis zur halben Ironman-Distanz über Wasser zu halten, nicht als letzte aufs Rad zu steigen, um sich anschließend den sensationellen Rad-Split beim Laufen selbst zu vermasseln.