Der Handwerk im Land klagt über Nachwuchsprobleme. Foto: Handwerkskammer /David_Spaeth

In Ludwigsburg, Esslingen und Göppingen meldet die Handwerkskammer stark sinkende Azubizahlen. Was steckt hinter der geforderten Bildungswende?

In der Region Stuttgart suchen die Handwerksbetriebe geradezu händeringend Nachwuchs. Zum Start des neuen Ausbildungsjahres am 1. September haben bisher 3384 junge Menschen den Vertrag unterschrieben, das sind 8,6 Prozent weniger als 2021. „Der Rückgang an Auszubildenden in diesem Jahr trifft das Handwerk hart,“ sagt Peter Friedrich, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Region Stuttgart.

Am heftigsten war der Einbruch im Landkreis Ludwigsburg: Hier sank die Zahl der neuen Azubis um 15,2 Prozent. Auch in den Kreisen Göppingen und Esslingen waren die Rückgänge fast zweistellig. Am günstigsten war die Lage noch in der Region Rems-Murr (minus 3,8 Prozent). In der Landeshauptstadt ist die Zahl der angehenden Handwerker um 6,8 Prozent gesunken. In der Region Stuttgart ist es für Handwerker offensichtlich besonders schwer, Nachwuchs zu rekrutieren. Im gesamten Südwesten ist die Zahl der neuen Ausbildungsverträge um 4,2 Prozent gesunken.

Mehr als 9000 unbesetzte Azubistellen

Landesweit sind gut 9000 Azubistellen unbesetzt, heißt es beim baden-württembergischen Handwerkstag. Auch in der Lehrstellenbörse der Handwerkskammer Stuttgart sind noch weit mehr als 400 freie Ausbildungsstellen gelistet. „Und nicht jeder Betrieb meldet sein Angebot an offenen Lehrstellen. Die Zahl ist somit nur die Spitze des Eisbergs“, sagt Friedrich. Die Industrie- und Handelskammern (IHK) in Baden-Württemberg werden in diesem Jahr zum Start des Ausbildungsjahres wohl keine Zahlen veröffentlichen. Grund dafür ist der Hackerangriff, der Anfang August die Systeme der Kammern lahmlegte. Noch immer können die IHK im Südwesten nicht uneingeschränkt arbeiten.

Das Handwerk fordert die Politik zu einer echten Bildungswende auf: „Die Zahlen sind ein erneutes Alarmzeichen“, sagt Friedrich. „Wir verspielen die Zukunft, wenn wir nicht mehr Fachkräfte ausgebildet bekommen. Es braucht mehr Anerkennung und mehr Anstrengung für die berufliche Bildung.“ Es dürfe keine Zweiklassengesellschaft in der Bildungspolitik mehr geben, fügt er hinzu.

Wer montiert Wärmepumpen?

„Mit Sorge erfüllt uns bei den Prognosen zu Arbeits- und Ausbildungsmarkt, dass die Politik wieder einmal Mittelstand und Handwerk in ihren Überlegungen zur Bewältigung der Energiekrise vergessen hat“, sagt Landeshandwerkspräsident Rainer Reichhold. Er verwies dabei auf Fachkräfte, die Wärmepumpen, Ladestationen für die E-Mobilität und Photovoltaik-Anlagen montieren. „Wir brauchen jetzt konkrete Hilfsprogramme für unsere Betriebe“, fordert Reichhold.

Das Problem, das die Handwerkskammern ansprechen, wird von einer aktuellen Studie bestätigt. Demnach ziehen in Deutschland im internationalen Vergleich nur relativ wenige Menschen einen Handwerksberuf in Betracht. Als Grund werden schlechtere Gehaltschancen genannt, heißt es in einer repräsentativen Studie des US-Mischkonzerns 3M. Nur zehn Prozent der Befragten in Deutschland sind in einem Handwerksberuf tätig. Das ist der niedrigste Wert aller 17 untersuchten Länder. Fast drei Viertel der Befragten hierzulande gaben an, sie seien nicht im Handwerk tätig und hätten dort auch nie eine Laufbahn angestrebt.