Sylvia Scholz (von links), Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Rottweil-Villingen-Schwenningen, Birgit Hakenjos, Präsidentin der Industrie- und Handelskammer Schwarzwald-Baar-Heuberg, und Werner Rottler, Präsident der Handwerkskammer Konstanz, stehen vor dem Gebäude der Agentur für Arbeit. Foto: Kupferschmidt

Zum 14. Mal in Folge gibt es mehr Lehrstellen als Bewerber – und in Zeiten von Corona ist die Lage auf dem Ausbildungsmarkt nochmal eine andere. Die Experten ziehen Bilanz.

Villingen-Schwenningen - Demografie oder Strukturwandel, nicht nur auf Corona sind weniger Bewerber und weniger Ausbildungsplätze zurückzuführen. Die Agentur für Arbeit, die IHK und die Handwerkskammer ziehen eine Bilanz.

Ein Studium sei deutlich mehr wert, jeder könne eine Ausbildung machen oder man hätte deutlich schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt – dies sind alles Vorurteile gegenüber einer Ausbildung, die der eine oder andere haben könnte. Dies kann Sylvia Scholz, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Rottweil-Villingen-Schwenningen, so nicht bestätigen, wie sie auf einer Pressekonferenz zur Bilanz über den Ausbildungsmarkt zum Ausdruck bringt.

"Eine Berufsausbildung ist unverändert ein guter Einstieg ins Berufsleben", sagt Scholz. Gut ausgebildete junge Menschen würden "dringend gesucht" werden. Corona habe den Ausbildungsmarkt beeinflusst. Maßnahmen zur beruflichen Orientierung, wie Messen, persönliche Gespräche mit dem Berufsberater oder das Praktikum im Betrieb musste häufig abgesagt werden. Dies sei sehr bedauerlich und habe oft zu einer vertagten Berufswahlentscheidung geführt.

Mehr junge Menschen beginnen gleich zu arbeiten

Aber wie sieht die Bilanz zum Ausbildungsmarkt im Jahr 2020/21 aus? Scholz: "Wir verzeichnen sowohl bei der Zahl der gemeldeten betrieblichen Ausbildungsstellen als auch bei der Zahl der Bewerber Rückgänge." Das Angebot an Ausbildungsstellen habe aber trotzdem über der Zahl der Bewerber gelegen. Im Schwarzwald-Baar-Kreis, Rottweil und Tuttlingen kamen auf 100 gemeldete Stellen rechnerisch 67 Bewerber. Mit 4058 Berufsausbildungsstellen sei die Zahl um circa neun Prozent zurückgegangen davon blieben 522 unbesetzt. "Vor allem im Bereich aus dem verarbeitenden Gewerbe, Handel, Instandhaltung und Reparatur von Kfz, dem Baugewerbe und dem Gastgewerbe wurden weniger Ausbildungsplatzangebote gemeldet." Als Alternative zu einer Ausbildung steht auf Platz eins der gemeldeten Bewerber: Studium, Schule oder Praktikum. An zweiter Stelle steht die Aufnahme einer Arbeit, diese Zahl stieg von 58 auf 226 Personen.

Demografie und Digitalisierung als Herausforderung

Gründe sind allerdings nicht nur die Pandemie, wie Scholz erklärt. "Schon davor war der hohe Fachkräftebedarf die zentrale Herausforderung für die Wirtschaft." Angetrieben werde dieser Effekt durch die demografische Entwicklung, den Strukturwandel sowie Digitalisierung. Deshalb "befinden sich Unternehmen zunehmend im Wettbewerb um qualifizierten Nachwuchs". Die Agentur für Arbeit möchte junge Menschen dazu motivieren, sich gründlich über Ausbildungsgebote in ihrer Region zu informieren.

Birgit Hakenjos, Präsidentin der Industrie- und Handelskammer Schwarzwald-Baar-Heuberg (IHK) kann diese Entwicklung bestätigen. "Bundesweit haben wir zum 14. Mal in Folge mehr freie Stellen als Bewerber." Auch in diesem Jahr gibt es im technischen und kaufmännischen Bereich, im Handel, Hotel sowie in der Gastronomie noch freie Ausbildungsplätze.

Jede Ausbildung habe gesellschaftlichen Wert

Für die IHK habe die Ausbildungsförderung weiterhin "höchste Priorität". Denn: In Zukunft sieht sie als weitere Aufgaben die Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Energieeffizienz sowie Mobilität, die es zu bewältigen gebe. Ihr Appell geht daher an alle unentschlossenen Jugendlichen. "Wir brauchen euch in den Betrieben". Jede abgeschlossene Ausbildung sei für unsere Gesellschaft von großem Wert.

Aber was sieht sie als Vorteil einer Ausbildung? "Wer die Praxis liegt und spannende Herausforderungen sucht, liegt mit einer Ausbildung goldrichtig", sagt Hakenjos. Praktische Erfahrungen im Betrieb könnten helfen, eigene Talente zu erkennen. "Finanzielle Unabhängigkeit, gute Übernahmechancen und ein sicherer Einstieg ins Berufsleben – die duale Ausbildung sammelt viele Pluspunkte".

Energiewende Aufgabe des Handwerks

Und wie sieht die Bilanz zu Ausbildungen im Handwerk aus? Insgesamt hat sie nur einen leichten Rückgang von 2,7 Prozent, wie Werner Rottler, Präsident der Handwerkskammer Konstanz, sagt. Im Schwarzwald-Baar Kreis ist es sogar deutlich angestiegen: Über 13 Prozent mehr an Jugendlichen entschieden sich im Jahr 2020/21 für eine Ausbildung im Handwerksberuf. Das Ausbildungsengagement sei also im Handwerk "ungebremst hoch". Das Handwerk müsse in Zukunft viele Aufgaben meistern: "Es gibt noch viel zu tun, um die Energiewende zu meistern." Beispielsweise müssten Gebäude gedämmt oder Heizungen modernisiert werden. Auch durch die voranschreitende Digitalisierung spiele das Handwerk eine wichtige Rolle. "Ein Stichwort ist das Smart Home", sagt Rottler.

Im Friseurhandwerk weniger Auszubildende

Aufgrund der Energiewende boomen besonders die Gewerbe der Anlagemechaniker und Elektroniker. "Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge ist hier besonders hoch, gleichzeitig gibt es noch freie Ausbildungsstellen". Auch in diesen Bereichen boome es im Schwarzwald-Baar Kreis. Im Friseurhandwerk dagegen seien die Ausbildungszahlen zurückgegangen.

Rottler betont noch, dass oftmals Schulen, Eltern oder Bekannte Gegenwind bei der Berufswahl seien. Er fordert eine offenere Berufsorientierung. "Beispielsweise letztens hat mir ein junges Mädchen erzählt, dass ihr am Gymnasium davon abgeraten wurde, Konditorin zu werden." Jetzt sei sie Konditormeisterin und glücklich in ihrem Beruf. "Leidenschaft ist das beste Werkzeug", sagt Rottler.