Die Prinzessin der perfekten Schlagerinszenierung: Helene Fischer. Foto: dpa

An einem Strauß aus Luftballons schwebt sie auf die Bühne hinab, im weißen Kleid tanzt sie frisch, mädchenhaft, kühl – und singt ihren deutschen Schlager. Helene Fischer steht für das neue Selbstbewusstsein des deutschen Schlagers. Am Montag hat sie lächelnd in Stuttgart wieder bezaubert.

Den ersten Song des Abends leiht sich Helene Fischer von Robbie Williams: „Let Me Entertain You“, lasst mich euch unterhalten, singt sie und steckt zugleich ihr musikalisches Feld ab – vor der Popmusik fürchtet sie sich nicht, aber den Schlager will sie, unbedingt. Helene Fischers Horizont ist weit: Disco, Soul und Funk der 1970er Jahre liegen in ihm, ebenso wie Leonard Bernstein und das Musical. Der weitaus größte Anteil ihres Repertoires ist jedoch dem deutschen Schlager klassischen Zuschnitts verpflichtet – der einfachen Melodie, die sich im Ohr festsetzt, dem schlichten, deutlich betonten Viervierteltakt, den jeder mitklatschen, zu dem man auch gerne schunkeln kann, den Texten, die erzählen von Alltag, heißer Liebe, Fernweh.

Immer spielt die Melodie dabei die wichtigste Rolle, aber links und rechts der Bühne thronen Schlagzeug und Percussion, die den Liedern rhythmisches Volumen geben; weiter oben sieht man eine Bläsergruppe, deren Einsätze die Arrangements mit schnittiger Würze ausstatten. Und manchmal blitzt mitten im Schlager ein kurzes, gut platziertes Gitarrensolo auf, oder die Bildwände zeigen das Spiel auf den schweren Saiten einer elektrischen Bassgitarre. An der Seite von Helene Fischer spielen versierte Musiker, um sie herum gleiten Tänzer in roten Anzügen und Tänzerinnen in hautenger Mode; der Gitarrist liegt auf den Knien, und Helene Fischer wirft sich zurück, lässt ihr blondes Haar frei fallen. Durch die Hitparaden-Nostalgie nach Dieter Thomas Heck weht ein Hauch von Madonna. All das setzt Zeichen, sendet eine Botschaft – wir können alles, lautet sie, aber wir tun das, was wir wollen, was wir lieben: Wir spielen den deutschen Schlager.

Mehr als zwei Stunden lang erleben 10 000 Fans der Helene Fischer an Montagabend dieses neue Selbstverständnis des Schlagers auf großer Bühne, in perfekter Inszenierung. Rund um den Charme der Helene Fischer entfaltet sich in der Schleyerhalle eine Show, deren Perfektionismus sicher keinen kleinen Teil zum erstaunlichen Erfolg der Sängerin beiträgt. Hier will der deutsche Schlager tatsächlich in einer Liga spielen mit den ganz Großen im Popgeschäft.

Show als visueller Rausch

Zwei digitale Bildwände links und rechts der Bühne zeigen Helene Fischer in betörender Schärfe. Hinter ihnen zieht sich eine weitere Bildwand über die ganze Breite der Bühne und verleiht der Inszenierung verblüffende Tiefe. Das Meer, Wogen, die sich unendlich langsam hoch hinauf türmen, die Sterne, eine endlose Flucht schimmernder Glühbirnen, eine Iris, so groß und leuchtend rot wie ein Sonnenuntergang, geometrische Formen in sorgfältig komponierten Farbstufen – die Helene-Fischer-Show ist ein visueller Rausch, der aber niemals seine Hauptfigur vergisst. Inmitten der Breitwandpanoramen, der Laser, die weit hinausgreifen und die Schleyerhalle in ein funkelndes Sternenmeer verwandeln, ist Helene Fischer immer noch der Stern, der am hellsten leuchtet. Und vor allen Dingen versteht sie es auch, ihre Persönlichkeit zum Mittelpunkt dieses Spektakels zu machen und dort die Nähe zu ihren Fans glaubhaft zu behaupten. „Helene!“, ruft es mit Begeisterung aus der Menge heraus – „Ja!“, antwortet sie, „Ich bin’s! Ich bin hier!“ Und hüpft dabei ein bisschen, lächelt, unverwechselbar, glücklich.

Sie ist 28 Jahre alt und wurde als Tochter von Russlanddeutschen in Sibirien geboren, kam im Alter von vier Jahren nach Deutschland. Zum Star des neuen deutschen Schlagers wurde sie mit 20. Es gibt einen Augenblick an diesem heißen Juniabend in Stuttgart, in dem sie selbst erstaunt zurückblickt, auf jene acht Jahre, auf ihre unaufhaltsam geradlinige Karriere und die Erlebnisse und Emotionen, mit denen dieser Aufstieg für sie verbunden war.

Die Helene-Fischer-Show ist heute das Großereignis des deutschen Schlagers, der dabei fast über sich hinauswächst, zumindest aber jene Qualitäten, die er vor Jahrzehnten noch besaß, glaubwürdig in die Gegenwart transponiert. Mehr noch: Bei Helene Fischer ist der Schlager weder verschämt noch unverschämt – als Genre entdeckt er sein Selbstbewusstsein, kokettiert auf Augenhöhe mit anderen Formen populärer Musik, biedert sich aber niemals an und vermeidet vor allem die plumpe Frivolität, mit der die Volksmusik heute sonst nicht sehr spart. Knistern darf es bei der schönen Helene durchaus gehörig – etwa wenn sie im schwarzen, am Rücken sehr tief ausgeschnittenen Abendanzug auf die Bühne zurückkehrt. Die kühl-kokette russische Prinzessin und Lebenspartnerin des Volkssängers Florian Silbereisen scheint ihre eigene Erotik direkt vom schwedischen Popwunder der 1970er Jahre geborgt zu haben: So rein, so hell, so sexy waren sonst nur Abba.

Bunte Mischung aus eigenen Hits und großen Erfolgen anderer

In Stuttgart singt Helene Fischer 22 Songs für ihre Fans, drei weitere dann in einer Zugabe – eine bunte Mischung aus eigenen Hits und großen Erfolgen anderer. Ein Höhepunkt ist ihre Version des Stückes „Somewhere“ aus der „West Side Story“ – hier erlöschen die Bildwände, die Sängerin steht allein in einem türkis schimmernden Strahlenkranz und stellt ihre klare, kräftige Stimme auf die große musikalische Bühne. Verkleidet als Priester, feiert sie zuvor in einer Spielszene selbstironisch das Gospelbekenntnis zum deutschen Schlager, singt Udo Jürgens, Marianne Rosenberg, Reinhard Mey und Karel Gott und – wie könnte das an solch einem Abend anders sein – Rudi Carrells Hit „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer“, über den man nun, im Juni, endlich herzhaft lachen kann: „Hier wird man ja doch nur tiefgekühlt!“

Das wird man am Montagabend in der Hanns-Martin-Schleyer-Halle ganz gewiss nicht. An der Sängerin scheint die drückende Hitze lange abzuprallen, aber doch: Sie singt sich heiß, ihr Gesicht glüht, draußen auf einer Vorbühne, die mitten im Publikum emporwächst, beim großen Gang durch die Halle, vorbei an ihren Fans. „Ich war noch nie in so einer großen Sauna!“, ruft Helene Fischer ihnen zu – „Und es soll noch heißer werden! Ihr Lieben!“