Eltern müssen in Schwimmbädern ihre Kinder beaufsichtigen. Doch viele sind zu sorglos. Im Balinger Freibad hat das in der Vergangenheit sogar zu einem Rauswurf geführt. [Archiv]
Kleine Kinder flitzen über Schwimmbadwiesen, die Eltern sitzen meterweit entfernt, manchmal außer Sichtweite, Schwimmflügel sind nirgendwo zu sehen: Diese Situation beschreibt Rainer Schneider, Leiter der Balinger Bäderbetriebe. "Das kommt tatsächlich vor, immer häufiger sogar."
Freibad Balingen: Familie wird des Schwimmbads verwiesen
Im Juni 2021 führte das zu einem drastischen Schritt: "Wir haben eine Familie aus dem Balinger Freibad verwiesen. Das war das erste Mal, dass es so einen Fall gab. Ein Extremfall", sagt Schneider unserer Redaktion. Die Eltern hätten sich – trotz mehrfacher Aufforderung – geweigert, den Kindern Schwimmflügel anzuziehen, hätten ihre Verantwortung nicht ausreichend wahrgenommen.
"Wenn wir sehen, dass Kinder unbeaufsichtigt im Becken sind, schauen wir: Wo sind die Eltern?" Schneider mahnt, dass auch im Schwimmbad die Aufsichtspflicht durch die Eltern gelte. Selbst Schwimmflügel könnten ausgeliehen werden. Er betont aber auch: "Die meisten sind sehr einsichtig, der absolute Großteil hat ein vernünftiges Verhältnis zur Aufsicht."
Ähnliche Fälle auch in den Hechinger Schwimmbädern
Fälle wie diese gibt es auch in den Hechinger Bädern. "Eltern schlafen auf der Wiese ein, sitzen am Kiosk und trinken Kaffee", sagt Schwimmmeisterin Ute Muschkowitz. Die Kinder seien derweil unbeaufsichtigt unterwegs. "Eltern zu suchen, das haben wir an schönen Tagen mehrfach pro Tag. Die meisten entschuldigen sich, sind selbst schockiert." Muschkowitz weist sie auf ihre Aufsichtspflicht hin und warnt: "In dem Moment vernachlässigen wir den Schwimmbetrieb, das schadet also auch allen anderen."
Hinzu kommt das Problem, dass zahlreiche Kinder nicht mehr schwimmen können, da es während der Corona-Pandemie kaum Schwimmkurse gab – und es zudem an Fachkräften für das Bäderwesen mangelt. Das betonen sowohl Schneider als auch Muschkowitz.
DLRG mahnt: Kinder im Schwimmbad beaufsichtigen
Die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) warnt seit Jahren vor Badeunfällen. "Nichtschwimmer sollten immer in Armreichweite beaufsichtigt werden, auch beim Tragen von Auftriebshilfen wie Westen und Schwimmflügeln", heißt es bei der DLRG. Kinder könnten selbst in einer Pfütze ertrinken. "Erziehungspersonen haben immer, auch bei vorhandener Badeaufsicht, die Pflicht zur aktiven und konsequenten Aufsicht."
Die Fachkräfte fürs Bäderwesen, umgangssprachlich auch Bademeister genannt, sind jedenfalls nicht allein zuständig. "Jetzt wird wahrscheinlich wieder gefragt: Wieso hat der Bademeister nichts gesehen?", sagte auch eine Mutter, die mit ihrem Kind das Badkap besuchte. "Dabei können sie ja nicht alles sehen."
Mädchen verunglückt im Badkap in Albstadt
Im Sommer 2022 war dort eine Fünfjährige auf tragische Weise verunglückt. Das Mädchen hatte laut Polizeiangaben leblos am Boden des Schwimmbeckens getrieben, war später in einer Tübinger Klinik verstorben. Einen ähnlichen Fall meldete die Polizei damals aus dem Geislinger Freibad. Ein vierjähriger Junge wurde per Rettungshubschrauber in eine Klinik geflogen; Badegäste hatten ihn auf dem Boden eines Schwimmerbeckens gefunden und nach oben geholt.
Schneider appelliert an die Eltern. "Als Badeaufsicht kann man niemals alles überblicken." Zwar gebe es bestimmte Anforderungen an die Wasseraufsicht. Unter anderem müsse ständig der Beckenboden beobachtet werden, doch seien die Fachkräfte eben auch zuständig für die Verkehrssicherheit, müssten etwa Kontrollgänge in den Duschen übernehmen. "Man muss definitiv den Standort wechseln, damit man regelmäßig überall ist." Im Regelwerk steht allerdings auch: Ein leblos im Wasser treibender Körper muss innerhalb von fünf Minuten geborgen werden – und eben nicht binnen Sekunden, wie es häufig von Badegästen angenommen wird.
In den Schwimmbädern fehlt es an Personal
Wenn es doch zum Unfall kommt, "wenn reanimiert werden muss, das geht unter die Haut", sagt Muschkowitz. "Und dann heißt es noch: Der hat nicht richtig aufgepasst. Mancher Kollege kann nicht weiterarbeiten. Da geht es ums moralische Gefühl."
Dazu kommt: Auch in den Schwimmbädern fehlt es an Personal. "Es ist schwierig, allem gerecht zu werden", sagt Muschkowitz. "Die Kollegen sind nervlich angespannt, es ist höchste Konzentration gefordert, an manchen Tagen bei einem Lärmpegel wie in einem Maschinenhaus."
Mehrere Badeunfälle im Balinger Schwimmbädern pro Jahr
Notfälle kommen glücklicherweise selten vor. Von zwei bis drei Rettungsaktionen pro Jahr und vier Todesfällen in den Balinger Bädern in den vergangenen 40 Jahren spricht Schneider. Und dennoch ist jeder einzelne einer zu viel. Muschkowitz. "Das sind Bilder, die nicht mehr aus dem Kopf gehen."
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien erstmals am 29. Juni 2022 und wurde aufgrund der aktuellen Relevanz aktualisiert.