Marco Reus (vorne) und Mesut Özil freuen sich über den 4:2-Sieg gegen Griechenland. Foto: dpa

Mit seinem kessen Auftritt im rechten Mittelfeld hat sich Marco Reus für weitere EM-Einsätze aufgedrängt.

Danzig - Mit seinem zweiten Tor im siebten Länderspiel und einem kessen Auftritt im rechten Mittelfeld hat sich Marco Reus für weitere EM-Einsätze aufgedrängt. Nicht schlecht, Herr Specht!

Joachim Löw hat viele gute Seiten, eine seiner Stärken ist Gelassenheit. Vor dem Spiel gegen Griechenland hat er einem Journalisten gesagt: „Sie werden nicht sehen, dass ich unruhig bin.“ Und dann das, in eben jenem Spiel gegen die Griechen.

Plötzlich war Löw verschwunden. Der Bundestrainer hatte sich nach 25 Minuten Richtung Kabinengang verkrümelt, dorthin, wo ihn keine Kamera einfing. Dort schimpfte, fluchte und trat er imaginäre Löcher in die Luft. Weil Marco Reus gerade seine dritte Großchance vergeben hatte. Das treibt auch den Stoiker in ihm zur Weißglut: „Ich war sauer, die Emotionen kamen raus“, sagte er.

Nein, für einen seiner geliebten Espressi habe die kurze Auszeit nicht gereicht, „weil schon die nächste Chance vergeben wurde“. Da eilte Löw wieder ans Spielfeld und schimpfte vor Publikum weiter. Reus (23) gab sich reumütig: „Ich habe später im Fernsehen gesehen, dass der Bundestrainer sich geärgert hat. Ich habe mich auch geärgert, ich muss konzentrierter arbeiten“, sagte er.

„Der Bundestrainer hat gesagt, ich soll so frech wie in Gladbach spielen“

Umso erstaunlicher war das Kontrastprogramm, das Löw nach dem 4:2-Sieg lieferte. „Marco Reus hat sehr gut gespielt“, sagte er, und das war nun wirklich kein Widerspruch. Nicht nur weil Reus mit einem Gewaltschuss noch das Tor zum 4:1 erzielt hatte, das nicht nur seine Eltern Thomas und Manuela auf der Tribüne von den Sitzen riss. „Ich habe aus dem Augenwinkel gemeint, ein Grieche stehe auf der Torlinie“, sagte er, „da blieb mir nichts anderes übrig, als draufzuhauen.“ Das Talent aus Mönchengladbach kombinierte und dribbelte durchs rechte Mittelfeld und rochierte mit dem zentralen Kollegen Mesut Özil auch so lange, bis ihn ein Wadenkrampf schüttelte. „Der Bundestrainer hat gesagt, ich soll so frech wie in Gladbach spielen“, sagte er. Gesagt, getan.

Der Schub kam diesmal von der Bank. Von Reus, von seinem Kumpel André Schürrle und von Routinier Miroslav Klose. „André hat ein gutes Spiel gemacht. Miro macht ein Tor wie Reus. Das war irgendwie auch der Schlüssel zum Sieg“, lobte Löw seine Spieler und ein wenig sich selbst – für seine mutigen Umstellungen. Klose (34) hat schon viele Spieler kommen und gehen sehen, sein Urteil hat Gewicht: „Unsere Bank ist sehr, sehr stark, das zeichnet uns aus. Wer da alles reinkommen kann, das ist schon sagenhaft.“

„Das war einer der größten Tage für mich“

Marco Reus kann zur nächsten Überraschung in der deutschen Mannschaft werden – nach dem treffsicheren Mario Gomez (drei EM-Tore), nach dem souveränen Abwehrchef Mats Hummels und dem auffälligen Rechtsverteidiger Lars Bender. Der Gladbacher nennt sich wegen seiner Frisur, die an den Comic-Specht Woody Woodpecker erinnert, „Woodyinho“. Zur EM ist er mit großen Vorschusslorbeeren angereist, aber dann drohte er auf der Ersatzbank zu versauern. Bis zum Spiel gegen Griechenland, in dem „Rolls-Reus“, wie er auch scherzhaft genannt wird, auf die Überholspur bog. „Das war einer der größten Tage für mich“, sagte er und strahlte.

Dabei verdrängte Reus in Thomas Müller immerhin den Torschützenkönig der WM 2010. Er entpuppte sich als Bereicherung – Reus ist zurzeit der bessere Müller, der nicht recht in die Gänge kommt. Der bessere Cacau ist er auch. Den Stürmer des VfB Stuttgart hatte er in letzter Minute aus dem Kader gedrängt. Löw schätzt seine Vielseitigkeit mehr als die von Cacau.

Die Bundesligakollegen haben Reus gerade erst zum Spieler des Jahres gewählt, zur neuen Saison wechselt er für 17 Millionen Euro nach Dortmund, in seine Heimatstadt. In der Nationalmannschaft aber war er lange in der Bringschuld. Bis zu seinem Debüt im vergangenen Oktober gegen die Türkei musste er fünfmal wegen Verletzungen absagen, seither sucht er nach seiner Rolle. Jetzt ist er ihr nähergekommen. „Der Weg zum Titel führt nur über uns“, sagte er kess. Damit meinte er auch den Mittelfeldspieler Marco Reus – und nicht den gleichnamigen Bankdrücker der vorangegangenen Spiele.