Polizei durchsucht in mehreren Bundesländern Räume der Hilfsorganisation für Gefangene.

Leinfelden-Echterdingen/Berlin - Razzia im Morgengrauen: Kistenweise tragen die Beamten am Dienstag Beweismaterial aus dem Haus in Leinfelden-Echterdingen. Dort wohnt ein Funktionär der neonazistischen Hilfsorganisation für Gefangene (HNG). In der Öffentlichkeit ist der bundesweit agierende und 1979 gegründete Verein kaum bekannt. Die Sicherheitsbehörden haben ihn aber schon länger im Blick. Nun ist das Bundesinnenministerium zuversichtlich, ein Verbot durchsetzen zu können. Beamte beschlagnahmten dazu belastendes Material in Baden-Württemberg und acht weiteren Bundesländern.

"Rechtsextremistische Gruppierungen wie die HNG stehen nicht auf dem Boden unserer Verfassung und bedrohen den gesellschaftlichen Zusammenhalt", sagte Innenstaatssekretär Klaus-Dieter Fritsche.

Die Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V. wurde 1979 gegründet. Sie ist mit rund 600 Mitgliedern die größte neonazistische Organisation in Deutschland. Der Verein hat seinen Sitz in Frankfurt, wird aber seit Jahren aus Mainz geleitet. Durchsucht wurden rund 30 Wohnungen von Funktionären, Mitgliedern und Anhängern.

Erklärtes Ziel der HNG ist laut Innenministerium die Betreuung und Unterstützung sogenannter nationaler Gefangener. Dabei gehe es der Organisation nicht um eine Resozialisierung von Straftätern und deren Wiedereingliederung in die Gesellschaft, sondern darum, die nationalsozialistische Gesinnung zu verfestigen. Das begangene Unrecht werde systematisch relativiert - so sollten Gefangene in ihrer rechtsextremistischen Überzeugung bestärkt und zu weiteren Straftaten motiviert werden.

Auf die Frage, warum es die Razzia ausgerechnet jetzt gab, obwohl der Verein schon seit 1979 besteht, sagte Fritsche: "Jetzt liegen den Sicherheitsbehörden genügend Materialien vor, die es uns gestatten, in eine Verbotsprüfung gegenüber der HNG einzutreten." Nach seinen Worten wurden Dokumente, Mitgliedsausweise, Computer und Festplatten beschlagnahmt. "Wir sind guter Hoffnung, dass das dann zu einem Verbot führen kann", sagte er. Nach Angaben des Verfassungsschutzes gehören Neonazis und gewaltbereite Rechtsextremisten zur HNG.

Die Neonazi-Szene umfasst insgesamt rund 5000 Menschen. Die Szene befindet sich nach Einschätzung des Verfassungsschutzes im Umbruch: Die Zahl der rechtsradikalen Kameradschaften nimmt ab. Dagegen nehmen die Zusammenschlüsse zu, die kaum greifbare Organisationsstrukturen haben. Dazu zählen die Autonomen Nationalisten, denen etwa 15 Prozent der Neonazis angehören und die deutlich jünger sind als andere Neonazis.

Fritsche erklärte, die HNG wirke über die Grabenkämpfe hinweg, die es in der Szene gebe. "Sie verstärkt die neonazistische Szene, weil sie als Einzige in der Lage ist, mit allen aus der neonazistischen Szene zu kommunizieren", sagte der Staatssekretär.