Das Castortransportschiff ist – zunächst ohne radioaktive Fracht – auf dem Neckar unterwegs. Es muss insgesamt sechs Schleusen passieren. Foto: dpa

Ausgediente Brennelemente sollen eigentlich auf dem Gelände der bisherigen Kernkraftwerke gelagert werden. So will es die Politik. Aber in Obrigheim ist es einfacher, den Müll nach Neckarwestheim zu bringen – und zwar auf dem Neckar.

Stuttgart - Zwei Begleitfahrzeuge mit gelbem Warnlicht und ein überbreiter Lastwagen mit einem großen Behälter darauf sind in flottem Tempo auf der gut ausgebauten Landstraße unterwegs: So sah bereits vor Jahren ein Castortransport in Frankreich aus, während in Deutschland jede Fuhre mit radioaktivem Müll heftig umstritten war und damit stets zum Politikum wurde. So soll der Transport von sechs Castorbehältern nach Gorleben im März 1997, bei dem etwa 30 000 Polizisten im Einsatz waren, rund 56 Millionen Euro gekostet haben – nach anderen Quellen sogar knapp 80 Millionen Euro. Heftige Proteste gegen die Verfrachtung von Atommüll gibt es immer noch, wie der für diese Woche anberaumte Transport von drei Castorbehältern auf dem Neckar zeigt: Sie sollen per Schiff vom ausgedienten Kernkraftwerk Obrigheim ins Zwischenlager nach Neckarwestheim reisen. Warum gibt es Zwischenlager? Bevor ausgebrannte Brennelemente aus Atomkraftwerken in einem noch zu bauenden Endlager endgültig entsorgt werden können, müssen sie in einem Zwischenlager über 20 bis 40 Jahre hinweg abkühlen. Früher dienten hierzu die drei zentralen Zwischenlager in Deutschland: Gorleben in Niedersachsen, Ahaus in Westfalen und Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern. Die Einlagerung verlief nicht zuletzt wegen der massiven Widerstände sowie aus politischen Gründen nur sehr schleppend.

Ein neues Atomgesetz verpflichtete im Zuge des sogenannten Atomkonsenses die Kernkraftwerkbetreiber im Jahr 2002, an den jeweiligen Atomkraftwerken standortnahe Zwischenlager zu bauen. Das sollte die damaligen Zwischenlager in Gorleben, Ahaus und Lubmin entlasten. Zugleich sollten auf diese Weise die meisten Transporte von Atommüll auf Schiene und Straße überflüssig werden – und damit auch den Protesten dagegen der Boden entzogen werden. Heute sind zwölf Zwischenlager an den AKW-Standorten in Betrieb, darunter Phillipsburg und Neckarwestheim, das derzeit eine Genehmigung bis zum Jahr 2046 hat. Warum können die Brennelemente nicht in Obrigheim bleiben? In Obrigheim befinden sich derzeit 342 ausgediente, aber immer noch stark radioaktive Brennelemente in einem Nasslager. Dort können sie nicht auf Dauer bleiben. Die EnBW als Betreiberfirma hatte, wie es das Gesetz vorsieht, für diesen Atommüll bereits ein Zwischenlager am Standort beantragt. Weil sich die Anforderungen aber geändert haben, hätte der Antrag nachgebessert werden müssen. Da mittlerweile die Zwischenlagerung in Neckarwestheim favorisiert wurde, ruht nun das Genehmigungsverfahren. Für die EnBW hat dies den Vorteil, dass sie sich die Kosten für das Obrigheimer Zwischenlager sparen kann – für dessen Bau, Betrieb und Kontrolle kommen auf die Dauer von mehreren Jahrzehnten leicht zweistellige Millionenbeträge zusammen. Und für den Standort Obrigheim hat es den Vorteil, dass er schneller frei von radioaktivem Material ist und anderweitig genutzt werden kann. Allerdings rechnet die EnBW für den Transport auch mit einem zweistelligen Millionenbetrag. Warum gibt es in Neckarwestheim Platz? Im Zwischenlager in Neckarwestheim stehen insgesamt 151 Plätze für Castorbehälter mit ausgedienten Brennelementen zur Verfügung. Davon werden nach den derzeitigen Planungen aber nur rund 125 für die Neckarwestheimer Brennelemente gebraucht. Damit steht noch ausreichend Platz für die 15 Behälter mit Obrigheimer Brennelementen zur Verfügung.

Der Grund für die großzügige Planung: Das Neckarwestheimer Zwischenlager wurde zu einem Zeitpunkt geplant und gebaut, als der Betreiber EnBW noch von einer längeren Laufzeit des Kernkraftwerks ausging. Nach der Fukushima-Katastrophe wurde jedoch 2011 im Zuge des vorzeitigen Atomausstiegs das Laufzeitende für Neckarwestheim auf 2022 festgelegt. Bereits im August 2016 hat die EnBW vom Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit die Genehmigung erhalten, die Obrigheimer Brennelemente im Neckarwestheimer Zwischenlager aufzubewahren. Die EnBW betont in diesem Zusammenhang, dass sich durch den Obrigheimer Atommüll die radioaktive Belastung in Neckarwestheim nicht über die genehmigten Werte hinaus erhöht. Wozu dienen Castorbehälter? Ausgediente Brennelemente sowie in Glas eingeschlossene stark radioaktive Stoffe werden in einem „Behälter zur Lagerung und zum Transport radioaktiven Materials“ befördert (englisch cask for storage and transport of radioactive material, kurz Castor). Für die Schifffahrt auf dem Neckar und die anschließende Lagerung in Neckarwestheim dient der Typ Castor 440/84 mvK. Nach Angaben der deutschen Herstellerfirma GNS ist dieser Transport- und Lagerbehälter rund vier Meter lang und hat einen Durchmesser von etwa 2,5 Metern. Unbeladen wiegt er rund 96 Tonnen, mit Brennelementen sind es 107 Tonnen. Die behördliche Genehmigung für diesen noch jungen Castortyp wurde 2013 erteilt. Laut GNS ist sein Tragkorb speziell für die Aufnahme von je 24 Brennelementen aus dem AKW Obrigheim ausgelegt.

Die Castoren sind einer Vielzahl von Prüfungen unterzogen worden. So müssen sie Abstürze aus mehreren Meter Höhe sowie Brände unbeschädigt überstehen. Weltweit sind diese Behälter bereits auf der Schiene wie auf der Straße transportiert worden, nach England auch auf dem Wasserweg. Auf Binnengewässern gab es bisher allerdings noch keine Transporte.

Der Bau von Zwischenlagern und das Verbot von Transporten in die Wiederaufarbeitung ab dem Jahr 2005 führten zu dem politisch gewollten drastischen Rückgang von Atomtransporten. Für den Transport auf dem Neckar war nun eine eigene Genehmigung erforderlich: Sie wurde im Mai 2017 vom Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit erteilt.