Die Qualifikation für die Sommerspiele in Paris hat Karla Borger verpasst. Foto: imago/Wolf Gebhardt

Karla Borger, die Präsidentin des Vereins Athleten Deutschland, fordert vor Olympia, nicht nur auf die Zahl der Podestplätze zu schauen. Die Beachvolleyballerin aus Stuttgart hofft auf „richtig geile Spiele“ – auch wenn sie selbst in Paris nur als Zuschauerin dabei sein wird.

Karla Borger weiß aus eigener Erfahrung, was es bedeutet, bei Olympischen Spielen am Start zu stehen: 2016 und 2021 schlug die Beachvolleyballerin aus Stuttgart im Sand von Rio und Tokio auf. Die Qualifikation für Paris 2024 hat sie zwar verpasst, was ein harter Schlag für sie war. Was an der Seine passiert, interessiert sie dennoch sehr – schließlich ist Karla Borger (35) als Präsidentin des Vereins Athleten Deutschland eine wichtige Simme des deutschen Sports.

 

Frau Borger, vor knapp acht Wochen haben Sie und Sandra Ittlinger die letzte Chance auf das Ticket nach Paris verspielt. Seither haben Sie kein einziges Interview gegeben. Warum?

Ich wollte Ruhe haben. Zur Ablenkung habe ich die eine oder andere Veranstaltung besucht, zu der ich eingeladen war. Ansonsten habe ich versucht, zu Hause in Stuttgart abzuschalten – und wieder frei zu sein.

Frei von Verpflichtungen?

Auch. Nach dem frühen Aus beim entscheidenden Turnier in Ostrava habe ich mich gefühlt wie die deutschen Fußball-Fans nach der Niederlage im EM-Viertelfinale gegen Spanien – nur noch schlimmer. Der Stecker war komplett gezogen.

Weil die Enttäuschung so groß war?

Ja. Aber es sind auch noch andere Empfindungen im Spiel gewesen. Der Druck, sich unbedingt für Olympia qualifizieren zu müssen, war plötzlich weg. Ich bin fast froh gewesen, dass nach der krassen Tortur in den Wochen zuvor endlich Klarheit herrschte. Gleichzeitig war ich körperlich topfit und wusste nicht, wohin mit meiner Energie. Und dann stellte sich auch noch die Sinnfrage – ich hatte keinen Plan B.

Wie geht es sportlich bei Ihnen weiter?

Sandra Ittlinger und ich gehen getrennte Wege, die EM Mitte August in den Niederlanden werde ich mit Marie Schieder bestreiten.

Und danach?

Kann ich mich frei entscheiden, es gibt kein Muss mehr. Ich bin völlig selbstbestimmt. Mal sehen, was kommt.

Eventuell Olympia 2028 in Los Angeles?

Dafür bin ich zu alt.

Wo werden Sie am Freitag sein, wenn in Paris die Sommerspiele beginnen?

Marie Schieder und ich spielen ein Turnier in München.

Werden Sie sich die TV-Übertragung der Eröffnungsfeier anschauen?

Wenn es der Spielplan zulässt, schaue ich sicher mal rein. Ich möchte ja wissen, wie die Outfits des Team D wirken.

Reisen Sie anschließend nach Paris?

Ich werde ein paar Tage dort sein, möchte auf jeden Fall zum Volleyball und Beachvolleyball. Und auch im deutschen Haus werde ich sicher vorbeischauen.

Was erwarten Sie als Präsidentin von Athleten Deutschland von Paris 2024?

Ich bin sehr gespannt, wie die Spiele an- und wahrgenommen werden. Die Fußball-EM hat in Deutschland für eine positive Sportstimmung gesorgt, außerdem kenne ich sehr viele Leute, die sich Tickets besorgt haben und vor Ort sein werden. Die Nähe, die passende Zeitzone, eine tolle Stadt – das könnten richtig geile Sommerspiele werden.

Bei denen der deutsche Sport den Nachweis seiner Leistungsfähigkeit erbringt?

Keine Athletin und kein Athlet fährt ohne einen extrem hohen Anspruch an sich selbst nach Paris. Alle möchten dort ihre beste Leistung abliefern. Trotzdem halte ich nichts davon, wenn der Deutsche Olympische Sportbund einen Platz unter den besten zehn Nationen im Medaillenspiegel als Ziel ausruft. Spitzensport ist und kann mehr, als nur Medaillen zusammenzuzählen.

Können Sie das näher erläutern?

Es gibt herausragende Leistungen, die nicht für eine Medaille reichen – bei der Leichtathletik-WM 2023 belegte Geher Christopher Linke zweimal in deutscher Rekordzeit Platz fünf. Zudem stellt sich beim Blick auf den einen oder anderen deutschen Fachverband die Frage, ob die Athletinnen und Athleten dort die bestmöglichen Bedingungen und die bestmögliche Betreuung vorfinden. Und nicht zuletzt hat der weltweite Sport, was das Anti-Doping-System angeht, zumindest in Teilen ein Glaubwürdigkeitsproblem, wie die jüngste Enthüllung um chinesische Schwimmer und die ausbleibende Reaktion der Welt-Antidoping-Agentur erneut gezeigt hat.

Dennoch entscheiden auch gewonnene Medaillen darüber, welche Sportart in Deutschland künftig wie gefördert wird.

Als Kind habe ich auch immer auf den Medaillenspiegel geschaut und extrem mitgefiebert. Doch wenn nur diese Rangfolge zählt, wird dies der Leistung Einzelner oft nicht gerecht. Ich bin froh, dass wir als Athleten Deutschland mit dem DOSB derzeit gemeinsam daran arbeiten, die nun jahrzehntelang überfällige Debatte zu Zielen und dem gesellschaftlichen Mehrwert von staatlicher Spitzensportförderung zu initiieren.

Was ist Ihre Haltung?

Natürlich braucht der Spitzensport den Leistungsgedanken, er braucht aber noch mehr: Ein olympischer Wert ist für mich auch, wenn mit Athletinnen und Athleten mitgefiebert und mitgefühlt, gelitten und gefeiert wird. Es wäre schön, wenn es uns oft überkritischen Deutschen gelänge, den Sport auch mal mit anderen Augen zu sehen. Wenn jemand alles gezeigt hat und mehr nicht möglich war, ist das ein vorbildlicher Auftritt.

Ohne dass Medaillen zählen?

Auch ich freue mich über jede Medaille, die das Team D gewinnt, aber vor allem hoffe ich, dass die Athletinnen und Athleten tolle Spiele erleben – für sich. Olympia ist viel mehr als nur Sport.

Wie meinen Sie das?

Es geht auch darum, Athletinnen und Athleten aus anderen Ländern kennenzulernen, andere Sportarten zu erleben, als Team zusammenzuwachsen.

Was müsste in Paris passieren, damit Sie am Ende sagen, dass dies herausragende Sommerspiele waren?

Dafür müsste alles sicher abgelaufen sein, ohne Skandale, fair, in heiterer und friedlicher Atmosphäre.

Und aus deutscher Sicht?

Wenn unsere Sportlerinnen und Sportler mit ihren Leistungen zufrieden sein können, mit einem guten Teamgefühl und glücklichen Gesichtern abreisen, ist es bestens gelaufen.

Und dann . . .

. . . wird auch die Bilanz im Medaillenspiegel stimmen.

Pessimisten sagen voraus, dass nicht mal die 37 Podestplätze, die es 2021 in Tokio gab, zu erreichen sein werden.

Ich würde dahingehend zustimmen, dass es alles andere als einfach wird, besser zu sein.

Kommt es so, wird anschließend wieder über die Sportförderung in Deutschland diskutiert. Gibt es einen Punkt, den Sie verändern würden, wenn Sie könnten?

Viele Funktionäre und Verbände nehmen sich selbst zu wichtig. Aus meiner Sicht müssen die Athletinnen und Athleten in den Mittelpunkt allen Handelns gestellt werden. Es muss allein um ihre Bedürfnisse gehen, alles muss getan werden, um ihnen die beste Entwicklung zu ermöglichen. Unerlässlich dafür ist, die Anliegen der Athletinnen und Athleten ernster zu nehmen und ihnen viel mehr Mitbestimmungsrechte einzuräumen.

Noch eine Debatte wird es nach Paris geben: ob Olympische Spiele in Deutschland erstrebenswert wären. Wie stehen Sie zu einer Bewerbung?

Prinzipiell wäre es ein lohnendes Ziel, die Spiele – zum Beispiel mit einem Konzept der Nachhaltigkeit – nach Deutschland zu holen. Das würde den Sportlerinnen und Sportlern sehr viel geben und ziemlich sicher eine neue Lust auf Spitzensport wecken. Eine Bewerbung dürfte aber nicht von den vielen Hausaufgaben im deutschen Spitzensport ablenken.

Letzte Frage an die Beachvolleyballerin Karla Borger: Wer holt in Ihrer Sportart unterm Eiffelturm Olympia-Gold?

In den vergangenen Jahren gab es kaum mal eine große Überraschung. Die Brasilianerinnen Ana Patricia/Duda liegen in der Weltrangliste vorne, haben in dieser Saison auf konstant hohem Niveau gespielt. Sie sind meine Favoritinnen – und zugleich würde ich mich riesig freuen, wenn es eine große Überraschung durch eines der beiden deutschen Teams geben würde.