Links im Bild das Haus im Leonhardsviertel, in das Flüchtlinge einziehen sollen. Direkt gegenüber ist der Straßenstrich Foto: Leif Piechowski

2014 werden 59 Flüchtlinge ins Leonhardsviertel einziehen. Falls es Probleme gibt, soll der Straßenstrich vor dem Haus weichen.

Stuttgart - Bei der Suche nach geeigneten Standorten für neue Flüchtlingsunterkünfte ist die Stadt auch in der Katharinenstraße 18 im Leonhardsviertel fündig geworden. Dort sollen von Sommer 2014 an in zwei weitgehend leerstehenden Büro- und Wohnhäusern 59 Flüchtlinge unterkommen. Die direkte Nachbarschaft zum Rotlichtviertel könnte sich allerdings zur sozialen Herausforderung entwickeln.

„Die Nähe zum Strich ist problematisch“, sagt Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle (Grüne). Doch Zurückweichen werde man nicht. Im Gegenteil. „Der Standort bleibt. Die soziale Nutzung für humanitäre Zwecke muss den Vorrang haben vor der größtenteils illegalen Nutzung der Prostitutionsobjekte im Viertel“, betont Kienzle.

Dass das Sex-Gewerbe nicht das beste soziale Umfeld für die Integration der Flüchtlinge bietet, ist Kienzle klar. Sie setzt in erster Linie darauf, dass der Straßenstrich – der gemäß Sperrbezirksverordnung in der ganzen Innenstadt verboten ist – zumindest in der Katharinenstraße gestoppt wird. Das Verbot gilt für Prostituierte und Freier; kontrolliert wird es von der Polizei. Eine Sperrung der Katharinenstraße für den nächtlichen Autoverkehr, die nach Informationen unserer Zeitung verwaltungsintern diskutiert wird, könnte zusätzlich helfen, den dortigen Strich auszutrocknen.

Sie werde sich nicht scheuen, im Zweifelsfall direkt gegen Inhaber und Betreiber eines Prostitutionsbetriebs vis-à-vis der Flüchtlingsunterkunft vorzugehen, sagt Kienzle. Viele Prostituierte, die an der Katharinenstraße anschaffen, nutzen mit ihren Freiern offenkundig Zimmer in dem Prostitutionsbetrieb. Darum könnten Inhaber und Betreiber Einfluss nehmen auf das Verhalten der Frauen, argumentiert Kienzle. „Die erste Flüchtlingsfrau, die auf offener Straße von einem Freier bedrängt wird, wird zum Politikum“, warnt die Bezirksvorsteherin.

„Angesichts von über 1300 neuen Flüchtlingen im kommenden Jahr haben wir keine Alternative, auch der Standort Katharinenstraße 18 muss machbar sein“, sagt Stefan Spatz, stellvertretender Leiter des Sozialamts. Falls es Probleme gebe zwischen dem Sex-Gewerbe und den Flüchtlingen, müsse man gegen den Straßenstrich vorgehen. „Wir werden uns ebenfalls bemühen, das Konfliktpotenzial gering zu halten“, betont Spatz. Die Bewohner der Unterkunft, die maximal eineinhalb Jahre in der Katharinenstraße bleiben sollen, würden „handverlesen“, sichert er zu. Soll heißen: Junge Männer und Frauen kommen eher nicht infrage, jedoch ältere Flüchtlinge und Familien.

„Prostitution gibt es weltweit, auch in den Heimatländern der Flüchtlinge“, berichtet Spatz. Die Gefahr eines kulturellen Schocks durch die Nähe zum Rotlichtbezirk schließt das Sozialamt deshalb aus. Bezirksvorsteherin Kienzle erinnert daran, dass es eine bewährte Strategie der Stadt ist, Flüchtlinge dezentral und mitten in den Stadtvierteln unterzubringen. Dazu wolle auch der Bezirk Mitte „einen Beitrag leisten“, sagt sie.

Das Hinterhaus der Katharinenstraße 18 sowie zwei Stockwerke im Vorderhaus waren bis Herbst 2013 von einer Schule für Erwachsene des Kolping Bildungswerks genutzt worden. Seit dem Umzug der Einrichtung in die Neckarrealschule stehen Büros und Klassenzimmer leer. Der Eigentümer will sie der Stadt als Flüchtlingsunterkunft vermieten. Wer die dafür nötigen, recht aufwendigen Umbauten zahlt, sei noch „Verhandlungssache“, sagt der Eigentümer.

Die Besitzer einer großen Eigentumswohnung im Vorderhaus und zwei Mieter haben von den Umbauplänen des Haupteigentümers bisher nichts gewusst. „Wir haben sehr viel Geld in unsere Wohnung investiert – was ist die jetzt wert?“, fragt die Eigentümerin. Sie hat große Sorgen wegen des Brandschutzes im Hinterhaus. Außerdem befürchtet sie, dass die Flüchtlinge alsbald in Bedrängnis geraten, auch wegen der vielen Drogenkranken, die in dem Revier unterwegs sind.

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