In der Milchstraße gibt es zahlreiche Schwarze Löcher. Astronomen haben nun Hinweise auf ein bisher selten beobachtetes Exemplar gefunden: ein intermediäres Schwarzes Loch, das nahe des Schwerkraftgiganten Sagittarius A* liegt. Doch wie kommt es dorthin?
Schwarze Löcher sind Objekte mit einer so starken Schwerkraft, dass nicht einmal Licht aus ihnen entkommen kann. Sie entstehen, wenn große Sterne mit der vielfachen Masse unserer Sonne am Ende ihrer Existenz als Supernova explodieren und der übrig gebliebene Sternenrest kollabiert.
Sagittarius A* – Masse-Monster im Herzen der Milchstraße
Neben stellaren Schwarzen Löchern gibt es supermassereiche Exemplare, die in den Zentren der meisten Galaxien vermutet werden. Diese Schwarzen Löcher können die milliardenfache Masse unserer Sonne besitzen. Das massereichste ist Sagittarius A* im Zentrum der Milchstraße, das etwa vier Millionen Mal so viel Masse hat wie die Sonne und 27 000 Lichtjahre von der Erde entfernt ist.
Ereignishorizont von Sagittarius A*
Sagittarius A* ist jedoch nur über die um seine Ereignishorizont kreisenden Gase und seine Wirkung auf nahe Sterne nachweisbar. Seine enorme Gravitation beschleunigt die Sterne auf Rekordgeschwindigkeit und verzerrt ihr Licht. Auch neue Sterne dürften unter diesen Extrembedingungen eigentlich nicht entstehen, weil die dafür nötigen Gaswolken sofort zerrissen werden.
Als Ereignishorizont (auf Englisch: Event horizon) bezeichnen Wissenschaftler die Grenze um ein Schwarzes Loch, hinter die sich nicht blicken lässt, weil aus dem Bereich dahinter nichts, nicht einmal Licht, entkommen kann. Die Daten der Teleskope werden mit speziellen Supercomputern kombiniert, so dass sich ein gigantisches virtuelles Teleskop vom Durchmesser der Erde ergibt.
Wie können Protosterne nahe eines Schwarzen Lochs entstehen?
Umso rätselhafter ist die Entdeckung gleich mehrerer Protosterne, die in unmittelbarer Nachbarschaft von Sagittarius A* liegen. Protosterne sind junge Sterne, die sich noch in der Frühphase ihrer Entwicklung befinden. Sie entstehen aus kollabierenden Wolken aus Gas und Staub im interstellaren Raum und haben noch nicht die Phase erreicht, in der sie durch Kernfusion in ihrem Inneren Energie freisetzen.
Obwohl diese noch jungen Sterne nur 0,1 bis 0, 3 Lichtjahre von Sagittarius A* entfernt liegen, konnten sie und ihre Geburtswolken offenbar bisher allen Schwerkraftturbulenzen trotzen. Doch wie ist das angesichts der unvorstellbaren Gravation des Schwarzen Lochs möglich?
Dieser ungeklärten Frage sind Astronomen um Florian Peißker von der Universität zu Köln jetzt nachgegangen. Dafür werteten sie die Bewegungsdaten der Sterne aus, die im Sternenhaufen (englisch: Star cluster) IRS 13 liegen - also der Gruppe, die auch die quasi unmöglichen Protosterne beherbergt. Im Herzen von IRS 13 befindet sich ebenfalls ein Schwarzes Loch, das drei Lichtjahre von Sagittarius A* entfernt liegt.
Ihre Studie ist im Fachmagazin „The Astrophysical Journal“ veröffentlicht worden.
Sternenhaufen IRS 13 in der Nachbarschaft von Sagittarius A*
Sternenhaufen IRS 13 ist die dichteste und größte zusammenhängende Struktur in unmittelbarer Nachbarschaft von Sagittarius A*. „Dieser faszinierende Sternenhaufen überrascht die wissenschaftliche Community immer wieder, seitdem er vor rund 20 Jahren entdeckt wurde“, erklärt Peißker.
„Die Analyse von rund 50 stellaren Orbits enthüllt eine neue Struktur, die keinem in der Literatur bekannten Trend folgt“, schreiben die Astronomen. „Basierend auf diesen Orbits identifizieren wir eine Substruktur im tief eingebetteten Cluster, die IRS 13 als scheibenartiges System kategorisiert.“
Demnach folgen die Sterne in diesem Haufen geordneten Bahnen, die nicht allein durch den Einfluss des nahen Schwarzen Lochs Sagittarius A* zu erklären sind. Zudem erweist sich der Sternenhaufen als deutlich größer als zuvor gedacht.
Welche Kraftquelle hält den Sternencluster zusammen?
Daraus schließen die Astronomen: Irgendwo in diesem Sternencluster muss es etwas geben, dass den Haufen zusammenhält und die Bahnen seiner Sterne beeinflusst.
Ergänzende Hinweise darauf lieferten den Astronomen Daten des Nasa-Röntgenteleskops Chandra und der Radioteleskope des Alma-Observatoriums in Chile. Aus diesen Daten geht hervor, dass es im Sternenhaufen IRS 13 eine Zone gibt, in der ionisierte Gase mit hoher Geschwindigkeit um ein unsichtbares Zentrum kreisen.
Hinweis auf intermediäres Schwarzes Loch
Nach Ansicht der Kölner Forscher sprechen die Ergebnisse dafür, dass sich im Sternenhaufen IRS 13 ein außergewöhliches Schwarzes Loch von rund 30.000 Sonnenmassen verbirgt: ein sogenanntes intermediäres Schwarzes Loch. Dabei handelt es sich um ein Bindeglied zwischen stellaren, also aus Sternen entstehenden Schwarzen Löchern und den supermassereichen Schwerkraftgiganten im Herzen von Galaxien.
Dessen Gravitationswirkung hält die Sterne im Cluster IRS 13 zusammen und wirkt so wie ein Stabilisator gegen die konkurrierende Anziehungskraft des sehr viel massereicheren Schwarzen Lochs Sagittarius A*.
Tatsächlich ist es nicht das erste Mal, dass Astronomen auf die Existenz eines solchen zweiten Schwarzen Lochs im Zentrum der Milchstraße gestoßen sind. Schon im Jahr 2019 vermutete ein Forscherteam aufgrund von Auffälligkeiten einiger Sternenbahnen, dass Sagittarius A* von einem kleineren „Artgenossen“ umkreist wird.
Spektakuläre astronomische Entdeckung
Sollte sich der Fund eines zweiten Schwarzen Lochs im Galaxienzentrum bestätigen, wäre das für die Astronomie eine spektakuläre Entdeckung:
- Zum einen sind solche mittelschweren Schwarze Löcher extrem selten. Bisher sind nur rund eine Handvoll Kandidaten von ihnen bekannt. Das bisher am besten belegte Exemplar wurde erst vor kurzem im Kugelsternhaufen Omega Centauri, einem Kugelsternhaufen im Sternbild Zentaur, entdeckt.
- Zum andern gelten die Art von Schwarzen Löchern als mögliche Zwischenform zwischen stellaren Schwarzen Löcher aus Supernovae und den supermassereichen Schwarzen Löchern im Herzen von Galaxien. Astronomen vermuten, dass letztere durch Verschmelzungen solcher Zwischenformen herangewachsen sein könnten.
Nicht verschmolzener Baustein von Sagittarius A*?
Das nun in Star cluster IRS 13 entdeckte Schwarze Loch könnte ein noch nicht verschmolzenes Überbleibsel solcher Vorformen sein. „Es scheint sich bei IRS 13 möglicherweise um einen essentiellen Baustein für das Wachstum unseres zentralen Schwarzen Lochs Sagittarius A* zu handeln“, resümiert Peißker.
Die Astronomen planen nun, den Sternenhaufen IRS 13 samt des in ihm verborgenen Objekts mit dem James-Webb-Weltraumteleskop und später mit dem gerade in Chile im Bau befindlichen Extremely Large Telescope (ELT) näher in Augenschein zu nehmen. „Mit diesen Beobachtungen werden wir unsere Hypothese eines intermediären Schwarzen Lochs in diesem Cluster überprüfen“, sagt Peißker.