Gemeinsames Bild aller Teilnehmer am Herbstfrühstück im Jahr 2019. Foto: ASM

Corona hat auch das Vereinsleben weitestgehend lahmgelegt. Hauptversammlungen als Präsenzsitzungen sind derzeit kaum denkbar. Aber wie steht es um die Vereine? In unserer Serie "Mein Verein" ziehen Vorsitzende in einem Interview Bilanz eines außergewöhnlichen Jahres 2020 und blicken auf die Zeit nach Corona. 

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Nagold - Heute mit uns im Gespräch: Kurt Brei (60), seit 32 Jahren Vorsitzender der ASM.

Wie hat sich Corona auf Ihr Vereinsleben ausgewirkt?

Als es im März 2020 zu den ersten Einschränkungen kam, haben wir alle Präsenz-Veranstaltungen gestoppt. Es gab keine Kaffeekontaktrunde mehr. Die Yogagruppe konnte sich nicht mehr treffen. Die Gesprächsrunde fand nicht mehr statt. Gerade unsere älteren Mitglieder und auch die Bewohner von Alten- oder Pflegeheimen waren mit einem Mal ihrer Kontakte beraubt. Kommunikation war nur noch telefonisch oder über die sozialen Medien möglich. Anfänglich hofften wir noch auf eine schnelle Lösung, doch dann mussten wir das Osterfrühstück absagen, alle Monatsausflüge und den Jahresausflug stornieren. Am schlimmsten war die Entscheidung den Tag der Begegnung zu verlegen.

Gibt es schon eine neuen Termin?

Ja, wir planen den 9. Tag der Begegnung für Behinderte und Nichtbehinderte nun für den 3. Juli 2022.

Gab es zusätzliche Belastungen in der Pandemie?

Unser Fahrdienst bekam mehr Aufträge. Es durften ja nicht mehr viele Personen zusammen befördert werden – es gab mehr Einzelfahrten. Auch unser Einkaufsdienst wurde vermehrt in Anspruch genommen. Unsere freiwilligen Helfer hatten bei allem natürlich auf ihre Gesundheit zu achten und die notwendigen Vorkehrungen und Vorschriften zu beachten. Ihnen allen ein herzliches "Danke" dafür.

Wie hat sich die Mitgliederzahl entwickelt?

Dank unseres Fahr- und Einkaufsdienstes ist die Mitgliederzahl der ASM gering, aber stetig wachsend. Leider haben wir keine öffentlichen Auftritte, zum Beispiel die Blindenführhundevorführung mehr, aber es ist weiterhin großes Interesse für unsere Arbeit in der Öffentlichkeit vorhanden.

Was wollen Sie als Vorsitzender als erstes nach der Krise anpacken?

Als erstes werde ich das Thema "Corona und Behinderte" in den Mittelpunkt stellen. Ich will Ihnen auch die Gründe dafür erklären. Die ASM bietet ihren Mitgliedern ein Sorgentelefon an. Manche Nacht habe ich damit verbracht, mir die Sorgen und Nöte der Hilfesuchenden anzuhören, Trost zu Spenden und Mut zu machen. Es gab Berichte über rücksichtsloses Verhalten anderer, welche mich sogar wütend machten. Ein Beispiel: Überall soll Abstand gehalten werden, es gibt Linien auf der Erde zum Distanzhalten. Als Blinder sehen sie diese Linien nicht. Sie kommen jemanden zu Nahe und werden angepöbelt: "Sehen Sie die Linie nicht?" Freundlich weisen Sie darauf hin, dass sie blind sind, und bekommen zur Antwort: "Das interessiert mich nicht. Achten sie gefälligst auf die Linien. Halten Sie Abstand." Oder auch Rollstuhlfahrer, die nicht immer auf dem Gehweg ausweichen können und deshalb angegangen werden. Dieses rüde und rücksichtslose Verhalten haben viele, auch ich, auf die eine oder andere Art zu spüren bekommen. Hinzu kommt, dass etliche unserer Mitglieder zur Risikogruppe gehören und große Angst haben, sich anzustecken. Sie trauen sich nicht mehr aus dem Haus und fühlen sich verletzt und allein gelassen. Ich frage mich: Wo bleibt die Menschlichkeit, was ist mit der Würde des Menschen, auch des behinderten Menschen? Alles scheint vergessen.

Welche Lehren ziehen Sie aus diesen Erfahrungen?

Diese Erfahrungen und Traumata zu verarbeiten, das braucht Zeit und viele Gespräche. Ich will darum verstärkt Gesprächsabende anbieten und das Thema "Corona und Behinderte" bei öffentlichen Veranstaltungen zur Sprache bringen. Nur im Dialog ist es möglich, Probleme aufzuzeigen und zu lösen. Nur wenn wir uns jetzt darum kümmern, können wir für die Zukunft Besserungen erreichen.

Was waren die Höhepunkte ihres Vereinslebens in 2020?

Zuallererst: Keiner unserer Helfer und Mitarbeiter hat sich mit Corona infiziert. Auch sind unsere Mitglieder weitestgehend verschont geblieben. Ein ganz besonderes Erlebnis war die erste Kaffeekontaktrunde nach dem ersten Lockdown. Wir dachten ein Licht am Ende des Tunnels zu sehen; wie haben sich die Menschen über die Begegnungen gefreut. Leider musste nach kurzer Zeit wieder alles beendet werden.

Was sind die wichtigsten Projekte 2021?

Wenn wieder alles geöffnet werden kann, haben wir viel vor. Da Corona bei vielen Behinderten zu Einsamkeit und Abschottung geführt hat, ist es umso wichtiger, wieder aktiv zu werden. Wir wollen deshalb eine A.S.M.-Fahrradgruppe ins Leben rufen, die es auch Behinderten ermöglicht, Spaß und Bewegung miteinander zu verbinden. Wir haben schon einige Fahrräder gespendet bekommen, benötigen aber noch Tandemfahrräder. Wenn es die Lage dann erlaubt, werden wir mit unseren Radtouren starten. Die vergangene Zeit hat auch uns finanzielle Einbußen beschert, genauso wie unseren Spendern. Wir versuchen deshalb mehr Spender für die ASM finden. Dazu würden wir gerne wieder Aktionen in der Stadt Nagold durchführen. Auch plane ich ein Dankeschön-Grillfest für all die Helfer und Freunde der ASM zu veranstalten. Am wichtigsten wird es jedoch sein, Menschen wieder in die Arme nehmen zu dürfen. Der Mensch ist nicht für die Einsamkeit geschaffen.

Und was wird die größte Herausforderung für Ihren Verein in diesen Zeiten sein?

Wie ich vorher schon ausführte, haben viele von uns mit Isolierung und Ausgrenzung zu kämpfen. Deshalb ist es sehr wichtig, Inklusion und Integration wieder in den Mittelpunkt zu rücken. Es sollte nicht sein das in einer Wohlstandsgesellschaft wie der unsrigen die Schwachen, Armen und Kranken vergessen werden. Wir bei der ASM helfen den Menschen ihre Ängste abzubauen und ihr Leben ein Stück besser zu gestalten. Bei uns ist jeder willkommen – ob behindert oder nichtbehindert, ob arm oder reich, ob grün oder blau, ob rund oder eckig. Um unsere Aufgaben zu bewältigen sind wir auf Spenden angewiesen. Eine große Herausforderung besteht darin, Spender zu motivieren uns zu unterstützen damit sich unsere Finanzlage verbessert.

Werden Sie bei der nächsten Hauptversammlung wieder als Vorsitzender kandidieren?

Mir liegt die ASM sehr am Herzen, deshalb werde ich wieder kandidieren.