Auch auf dem kleinsten Markt in China bezahlt man heute elektronisch. Foto: dpa/Xiao Yijiu

IT-Spezialisten wie GFT aus Stuttgart spielen für die sich rasant modernisierende Bankenbranche in Asien inzwischen eine ähnliche Rolle wie die Maschinenbauer in der Industrie: Innovation funktioniert dort oft mit europäischem Know-how.

Stuttgart - Manchmal ist Rückständigkeit ein Vorteil: Denn sie erlaubt auf einmal einen riesigen Sprung nach vorn. An diesem Punkt stehen zurzeit die meisten asiatischen Länder – und dies gilt gerade in einem wichtigen Bereich des Alltags, dem Bezahlen und der Finanzgeschäfte. DerStuttgarter IT-Dienstleister GFT, der mit Produkten für diesen Bereich groß geworden ist, will verstärkt davon profitieren und setzt zunehmend auf den sich rasant modernisierenden Markt. „Siebzig Prozent der Menschen haben dort noch keine Bankversorgung nach unseren Maßstäben – und oft nicht einmal ein Konto“, sagt Chris Ortiz (49). Der Amerikaner ist seit 20 Jahren bei GFT und leitet seit drei Jahren den Bereich Asien-Pazifik.

 

Gleichzeitig werden auf Märkten wie China Smartphone-Apps wie die Alibabas – die chinesische Antwort auf Amazon – zum Allzweckwerkzeug. „Ich habe selber gar kein Bargeld mehr in der Tasche“, sagt der seit drei Jahren in Schanghai stationierte Florian Becker. Der 35-Jährige ist der Leiter Geschäftsentwicklung und Vertrieb für die Region Asien-Pazifik bei GFT. In China beispielsweise wird die technologische Phase von Bank- und Kreditkarten einfach übersprungen – auch wenn am Ende zum Abbuchen noch ein Bankkonto notwendig ist.

Die Welt des Bezahlens ist unglaublich in Bewegung

Es gibt nur eine Konstante: Die Welt des Bezahlens ist in Asien so sehr in Bewegung wie kaum sonst auf der Welt. Neben Allzweck-Apps nach chinesischem Vorbild entstehen ganz neue Bezahl- und Finanzanbieter quasi aus dem Nichts oder modernisieren sich traditionelle Banken mit neuen Digitalablegern in rasantem Tempo. „In Hongkong haben wir vor Kurzem geholfen, einen völlig neuen Bezahlanbieter ins Leben zu rufen“, sagt Becker. Gerade europäische Anbieter von Bankensoftware sind für den wachsenden Markt gut gewappnet. Viele technologische Bausteine für das digitale Bankwesen der Zukunft sind dort entwickelt worden. Es ist fast ein wenig wie die Rolle des Maschinenbaus für die industrielle Produktion in Asien. Sozusagen unter der Motorhaube der der innovativen Banken in Asien läuft oft europäische IT.

„Die große Innovationsdynamik, die wir derzeit bei asiatischen Banken beobachten, macht die Region als Markt für uns besonders attraktiv“, sagt GFT-Chefin Marika Lulay. Die Erfahrungen, die man hier mache, könne man für Kunden in der ganzen Welt zunutze machen.

Dadurch dass die Region bei der Regulierung des Finanzsektors noch stark zersplittert ist, gibt es auch keinen natürlichen Startvorteil für Spieler aus der Region. Denn zwischen einem Markt wie China, wo man inzwischen weitgehend mit Smartphone-Apps großer Online-Plattformen bezahlt, oder Ländern wie Vietnam oder Indonesien liegen Welten. „Europäische Unternehmen wie GFT haben schon immer international agiert und können sich deshalb leichter auf die Gegebenheiten auf den unterschiedlichsten Märkten einstellen“, sagt Ortiz. Weder er noch Becker sieht in absehbarer Zeit ein Vorpreschen von asiatischen Finanzinstituten auf dem europäischen Markt. „Der Ehrgeiz ist da, aber die Regulierung ist eine hohe Hürde.“ Und bei Bezahlsystemen haben in Europa bereits große US-Konzerne wie Google und Apple oder der koreanische Anbieter Samsung den Fuß in der Tür.

Die Inspiration ist so wichtig wie der Umsatz

Bisher macht GFT mit zehn Millionen Euro Umsatz im Jahr 2020 in Asien noch einen relativ kleinen Teil seiner Geschäfte, doch man wolle das jedes Jahr verdoppeln, sagt Becker: „Aber fast noch wichtiger ist der Funke der Inspiration, der von dort kommt.“ Die Nutzer in Asien seien neugierig und offen für Neues: „Was hier funktioniert, kann dann zum Muster für Europa werden.“

Er sieht drei Felder, auf denen Asien gerade den Takt angibt: beim Aufbau ganz neuer, virtueller Finanzinstitute, bei der Nutzung der im Zahlungsverkehr besonders sicheren Blockchain-Technologie im Internet und vor allem bei den von den dortigen Zentralbanken vorangetriebenen digitalen Währungen.

Die Geschwindigkeit in Asien sei enorm, sagt Becker. So sei es gelungen, eine virtuelle Bank binnen drei Monaten aufzubauen. Bisher konzentriert sich GFT bei seinen Standorten in der Region noch auf die traditionellen Finanzmetropolen wie Hongkong und Singapur. Dort sind auch viele virtuelle und digitale Ausgründungen traditioneller Banken zu Hause. Mit einem neuen Servicestandort in Vietnam macht man einen weiteren Schritt und zapft die wachsende IT-Kompetenz in der Region an.