Auch der Rabbiner Andrew Steiman aus Frankfurt/Main erzählt Witze. Foto: Arte/Florianfilm

Bedienen Witze über Juden auch Antisemiten? Lebt Asterix in einem Schtetl? Die Doku „Jüdisches Leben, jüdischer Humor“ bei Arte reißt viele Fragen an.

Stuttgart - Ist die Schoah auch Israels jüngsten Bürgern noch präsent? Eine israelische Gesprächspartnerin will daran in der zweiteiligen Arte-Dokumentation „Jüdisches Leben, jüdischer Humor“ keinen Zweifel aufkommen lassen. Jeder Zweitklässler könne schon Schoah-Witze erzählen, versichert sie, und zitiert gleich einen. Warum, so die Frage, hat Hitler sich umgebracht? Antwort: Wegen der Gasrechnung.

Es kommt darauf an, wer erzählt

Das ist keiner der Schmunzelwitze über menschliche Unzulänglichkeiten im Rahmen des Schtetl-Lebens, die man als Kulturgut schätzen und auch als Nichtjude fröhlich weitererzählen kann. Dies wäre aus vielen Mündern eine ungeheuerliche Entgleisung. Der Witz führt mitten hinein in eine der vielen Problematiken und Fragestellungen, die der 1990 in Köln geborene Regisseur Jascha Hannover eher anreißen als zu Ende analysieren kann: Gibt es eine klare Trennung zwischen dem jüdischen Witz, der letztlich solidarisch ist mit seinen Protagonisten, und dem Judenwitz, der sich gegen diese Protagonisten wendet und Antisemitismus bedient? Der Gasrechnungskalauer belegt wohl klar, dass es eine Schnittmenge gibt, dass es manchmal alleine darauf ankommt, wer da wie erzählt – und wer da wie lacht.

Der extrem morbide Humor, der angeblich schon Israels Zweitklässlern vertraut ist, beleuchtet auch ein anderes Phänomen. Der klassische jüdische Witz, so eine Sichtweise, sei ein Werkzeug der Minderheiten, mit Leid, Verfolgung und Ohnmachtserfahrung umzugehen. Darum sei er in Israel eigentlich historisch an sein Ende gekommen, weil Juden in diesem Staate nicht mehr die Ausgegrenzten, Verhöhnten und Machtlosen seien. Dem widersprechen aber einige. Noch immer lebe der klassische jüdische Humor auch in Israel weiter, weil man sich bewusst sei, in der Welt insgesamt eine kleine Minderheit zu sein, und zwar eine, die noch immer viele gerne auslöschen würden.

Jüdische Witze und deutsche Schuldgefühle

Besonders interessant ist der Streit über die eigentliche Funktion jüdischen Humors in der deutschen Gesellschaft. Interessieren sich deutsche Nichtjuden für jüdische Witze, weil sie sich lachend von Schuldgefühlen frei machen können? Die Autorin Sasha Marianna Salzmann misstraut dem „deutschen Begehren nach den Juden“, und der Rabbiner Andrew Steiman aus Frankfurt am Main kann berichten, was man in seiner Familie von dem großen Erfolg von Salcia Landmanns Sammlung „Jüdische Witze“ hielt, die 1962 erstmals erschien: „Erst haben sie uns umgebracht. Nun wollen sie wissen, wen sie da umgebracht haben.“

Manches wird angesprochen, was eine eigene Dokumentation gut vertragen könnte, etwa die Frage, wie stark jüdischer Humor große Comic-Klassiker prägt: Das Dorf von Asterix, deutet der Comic-Autor Jul, sei eigentlich ein belagertes jüdisches Schtetl, viele Figuren entstammten dem Personal der Schtetl-Witze. Auch der Asterix-Erfinder René Goscinny war nämlich Jude.

Große Debatten auf den Punkt gebracht

Was auf jeden Fall klar wird, ist die große Gabe jüdischen Humors, historische Erfahrungen und philosophische Debatten auf den Punkt zu bringen. Die französische Rabbinerin Delphine Horvilleur etwa erzählt den Witz von den beiden in Auschwitz Ermordeten, die im Jenseits auf einer Wolke sitzen und einander Witze über ihr Leben im Lager erzählen. Da kommt Gott vorbei, hört das und stellt sie zur Rede, wie sie denn Witze über Auschwitz machen könnten. Sagt der eine der beiden: „Gott, das kannst du nicht verstehen. Du warst ja nicht dabei.“

Jüdisches Leben, jüdischer Humor. Arte, Mittwoch, 22 Uhr.