Das Alten- und Pflegeheim Ringelbach in Reutlingen von dem renommierten Architekten Günter Behnisch & Partner aus Stuttgart. Dieses hat 1977 den deutschen Architekturpreis gewonnen und 1978 den Hugo-Häring-Preis- und steht seit Jahren leer. Weitere Beispiele von Gebäuden, die umgenutzt werden könnten, finden sich in der Bildergalerie. Foto: BDA/Rudolph Stricker

Der Erhalt von Gebäuden ist zu Zeiten der Klimakrise längst zu einem populären Thema geworden. Wenn es nach den Machern einer Stuttgarter Architektur-Ausstellung geht, soll nicht die Frage nach der Schönheit über Abriss oder Erhalt entscheiden.

Monströs, grau, kantig: Schön geht anders. Die staatliche Verwaltungsschule Stuttgart macht dem Name ihres Baustils alle Ehre, mag man denken, auch wenn der Begriff Brutalismus nicht auf das deutsche Wort Brutalität zurückgeht, sondern sich vom französischen Begriff béton brut, also roher Beton oder Sichtbeton ableitet. Aber das passt freilich auch.

„Laien sagen oft, das ist oll, das kann weg“, sagt Bernita Le Gerrette, Geschäftsführerin des Bundes Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA) Baden-Württemberg. Zusammen mit ihren Kolleginnen und Kollegen Juliane Otterbach, Tobias Bochmann und Jan Theissen setzt sie sich dafür ein, dass solch undifferenzierte Kriterien wie schön und hässlich eine höchstens untergeordnete Rolle spielen, wenn es um Erhalt oder Abriss eines Gebäudes geht.

Eine rote Liste für Gebäude

Erhalt von Gebäuden beziehungsweise das Bauen im Bestand ist zu Zeiten der Klimakrise durch das Schonen von Ressourcen längst zu einem relevanten Thema geworden. Was vielen aber dabei nicht bewusst ist, ist, dass mit dem Abriss eines Gebäudes auch die baukulturelle Vielfalt auf dem Spiel steht“, sagt Bochmann. „Wenn wir nicht aufpassen, müssen wir bald eine rote Liste für Gebäude erstellen.“

„Es gibt kaum Architekten, die gegen das Bauen im Bestand sind. Aber die Realität sieht leider anders aus“, fügt Le Gerrette hinzu. Ein großes Problem, so Theissen, sei, dass die Entsorgungskosten für Bauschutt so günstig seien: „Zudem wird er irgendwo deponiert – das Problem wird in die Zukunft geschoben.“

Dass Abriss generell günstiger sei als Neubau, sei nicht richtig. Und auch mit dem Vorurteil, alte Gebäude stünden energetisch immer schlechter da als neue, wollen die Architektinnen und Architekten aufräumen: „Ein großer Teil des Energieverbrauchs geht in die Herstellung, nicht in den Betrieb“, sagt Theissen.

Um das Phänomen aufzuzeigen, haben die Architektinnen und Architekten acht Beispiele aus Baden-Württemberg ausgewählt und in verschiedene Gefährdungsgrade eingeteilt: Von nicht gefährdet bis zu akut gefährdet. Eins davon ist eben jene gefährdete Staatliche Verwaltungsschule in Stuttgart: Der Bau leidet an Sanierungsrückstand, die Duale Hochschule zieht dort in diesem Jahr aus.

Oft geht es um Geschmacksfragen

Das Gebäude überzeugt aber mit hellen Räumen, einem weitläufigem Treppenhaus und Terrassen – und mit seiner Großzügigkeit: „In Zeiten des Brutalismus hatte man Visionen, man glaubte an eine Zukunft“, so Bochmann. Deshalb baute man Gebäude mit Qualitäten, die man heute nicht mehr herstellen kann. „Das Baugrundstück würde heute um ein Vielfaches dichter bebaut“, sagt Theissen.

Das kann man vom Baugrund des Rathauses in Lörrach nicht behaupten. Das Hochhaus bietet Platz für die gesamte Verwaltung der Stadt. In erster Linie geht es dort um eine Geschmacksfrage: Das Hochhaus ist nicht beliebt in der Bürgerschaft, zum Abriss gibt es konkrete Diskussionen im Gemeinderat.

Im Herbst 2023 sollte eine Entscheidung fallen – jetzt wurde diese vorgezogen auf den Sommer. „Das muss die nächste Station unserer Ausstellung sein“, sagt Le Gerrette. Denn die Ausstellung ist als Wanderausstellung konzipiert – eine, die sogar Einfluss nehmen möchte auf politische Entscheidungen.

So wollen die vier Architektinnen und Architekten die Bürger über die Vorteile des ersten Rathauses im Hochhaustyp in Süddeutschland aufklären: „Das Haus mit seinen tollen Räumlichkeiten kann gut in dem historischen Stadtkern stehen, denn eine Stadt braucht Reibung, sonst wird sie langweilig“, sagt Bochmann.

Eine neu genutzte alte Art

Die nicht (mehr) gefährdete Trinitatis-Kirche in Mannheim mit ihren in Betonstruktur eingegossenen Glasbausteinen ist ein positives Beispiel und ein Vorzeigeprojekt. Statt der Abrissbirne zum Opfer zu fallen ist der Kirchenraum jetzt Tanzhaus – und belebt den Stadtraum. „Die Kirche ist nicht nur konserviert und als Denkmal gerettet worden, sondern wurde einer neuen Nutzung zugeführt“, sagt Otterbach. Sie ist sozusagen eine neu genutzte alte Art. Nur der Kirchturm steht noch auf der roten Liste.

Gefährdete Arten – Erhalt vs. Abriss in Baden-Württemberg: bis zum 31. März im BDA-Wechselraum, Friedrichstraße 5; dienstags bis freitags von 15 bis 18 Uhr und nach Absprache unter 0711- 640 40 39, weitere Infos: https://www.wechselraum.de/