Shirin Frangoul-Brückner: „Gestaltung ist eine große Teamarbeit.“ Die beiden Visualisierungen zeigen, wie Atelier Brückner die Herausforderung, Exponate in flugzeughangargroßen Hallen zu inszenieren, umsetzt. Foto: Reiner Pfisterer

Das Atelier Brückner inszeniert Ausstellungen in der ganzen Welt. Mit dem Grand Egyptian Museum in Gizeh nahe Kairo habe man erstmals ein Haus in der Klasse eines Louvre gestaltet, sagt Shirin Frangoul-Brückner. Wir haben sie in ihrem Büro in Stuttgart besucht.

Stuttgart - Am Grand Egyptian Museum (GEM) ist alles groß. 90 000 Quadratmeter Gesamtfläche, 40 000 Quadratmeter Ausstellungsfläche, 50 000 Exponate. Der Grabschatz des Tutanchamun steuert 5600 Objekte bei, erstmals wird der epochale Fund durch Howard Carter im Jahr 1922 komplett zu sehen sein. Das Herzstück des größten archäologischen Museums der Welt: die Totenmaske des Pharao, eines der wertvollsten Exponate der Menschheit. Gigantisch das Projekt – zierlich, ganz in Schwarz gekleidet, sitzt die Frau an ihrem Schreibtisch, die die Gestaltungshoheit darüber hat: Shirin Frangoul-Brückner, Geschäftsführerin von Atelier Brückner aus Stuttgart. Die Architektin und Szenografin sagt, das GEM bringe Atelier Brückner „an eine andere Stelle“: „Ein Weltmuseum, ein Haus in der Klasse eines Louvre oder eines British Museum, haben wir bisher noch nicht gemacht.“

 

Das GEM katapultiert das Büro auf ein anderes Niveau

Wenn irgendwo auf der Welt Kultur, Technik, Wissenschaft und Markenwelten in Ausstellungen inszeniert werden sollen, haben ziemlich sicher die Stuttgarter Szenografie-Champions ihre Finger im Spiel. Zuletzt gestalteten sie etwa das Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung in Berlin, das Lindt Home of Chocolate bei Zürich und die Städtebauausstellung der Shenzhen Planning Exhibition in China.

Parallel dreißig Projekte in Arbeit

Wer sich durch die Büroetage in einem ehemaligen Industriebau in Cannstatt führen lässt, vorbei an Wänden voller Pläne und Skizzen und an Tischen voller Modelle und Materialproben, der absolviert eine Art Weltreise zu künftigen Ausstellungshotspots. Grafik-, Produkt- und Mediendesigner, Szenografen, Kulturwissenschaftler, Regisseure, Mediengestalter, Architekten und Innenarchitekten: 120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus 27 Nationen konzipieren und gestalten aktuell etwa das Museum of Future in Dubai, das Forum Wissen in Göttingen und das Museum of London.

„Nichts war hier so geplant“

In einem Seitenflügel hat Shirin Brückner ihr Büro. 1967 in Bagdad geboren, in Deutschland aufgewachsen, Architekturstudium in Kaiserslautern und Stuttgart, Abschluss mit Auszeichnung. 1997 gründete sie Atelier Büro mit Uwe Brückner, der inzwischen aus der Riege der Partner ausgestiegen ist. Zum Erfolg ihres Büros sagt sie: „Nichts hier war so geplant. Wir haben die Chancen ergriffen, wie sie kamen und versucht, das Beste zu geben.“ Wie dirigiert die 54-Jährige dieses Kreativ-Orchester? Sie sei für Organisatorisches, Verträge, die Zusammensetzung der Teams zuständig und die Ansprechpartnerin für die Kunden. Und: „Gestaltung ist eine große Teamarbeit.“ Auch nach 25 Jahren mache sie vieles selbst. „Unseren Kunden kann ich so die Sicherheit geben, dass ich über die Projekte genau Bescheid weiß.“

Gestaltung ist Teamarbeit

Lesen Sie aus unserem Angebot: Die TV-Doku über das Grand Egyptian Museum

Beim GEM hat Atelier Brückner 2016 Konkurrenten aus aller Welt mit seiner Bewerbung ausgestochen. Die Herausforderung: vorwiegend kleinformatige Exponate in flugzeughangargroßen Hallen inszenieren und die täglich erwarteten 15000 Besucher effektiv lenken. Die Arbeit des Büros ist so gut wie abgeschlossen, nun wartet man auf die Bekanntgabe des Eröffnungstermins, der öfters verschoben wurde.

Die Geschichte des Pharao aus zwei Perspektiven

Leben, Tod und das Jenseits als eigentliches Lebensziel: Aus diesem Dreiklang des altägyptischen Weltbilds haben die Szenografen die „Tutankhamun Gallery“ entwickelt, einen von mehreren Ausstellungsbereichen. Die Grundidee: zwei parallele Galeriestränge, 180 Meter lang. Der Weg durch sie hindurch funktioniert, das ist der Clou, in beide Richtungen und erzählt die Geschichte des Pharao jeweils aus einer anderen Perspektive: Die Grabkammer und das Tal der Könige bilden den Endpunkt eines chronologischen Parcours – und den Auftakt eines zweiten Durchgangs, der das Wissenschaftsabenteuer fokussiert. „Auf diese Weise erzählen wir zwei verschiedene Geschichten“. Geschichten – ein Begriff, der immer wieder fällt, wenn Shirin Frangoul-Brückner über ihre Arbeit spricht. „Form follows content“ lautet die Bürophilosophie, die Gestaltung nie als Selbstzweck begreift, sondern aus Inhalten entwickelt. Exponate werden dabei nicht zu Kunstobjekten stilisiert, sondern zum Nukleus von Erzählungen.

Das Militär als Bauherr – das Team ist weiblich

Zu Beginn des Projekts flogen die Bürochefin und ein Teil des Teams jeden Monat für eine Woche nach Kairo, um ihre Konzepte mit Kuratoren und Generälen – Bauherr ist das ägyptische Militär – abzustimmen. Für die Gesprächspartner sei es ein Lernprozess gewesen, dass die Delegation aus Stuttgart vorwiegend, manchmal auch komplett weiblich war. Der Punkt sei jedoch schnell erreicht gewesen, wo nur die Kompetenz zählte und nicht das Geschlecht. Seitdem denke sie nicht mehr darüber nach, „ob wir Männer oder Frauen in den Projekten haben“, sagt die Mutter von zwei Töchtern. „Ich treffe Entscheidungen und diese werden umgesetzt. Das bedeutet auch, dass ich die Konsequenzen trage, positive wie negative. Das ist maximale Freiheit“, lautet ihre Antwort auf die Frage, was ihr an ihrer Arbeit Spaß mache. Den Ausgleich für ihren Job praktiziert sie täglich: eineinhalb Stunden Yoga.

In Stuttgart und der ganzen Welt

Museumskomplex
Neben der Tut-Galerie gestalten Atelier Brückner beim GEM etwa auch das Atrium, ein Kindermuseum, die Dynasty Galleries und die Grand Stairs. Diese 180 Meter lange Treppe präsentiert 90 Großskulpturen der altägyptischen Herrscher. Oben angekommen, eröffnet sich ein grandioser Blick auf die Pyramiden. Der Entwurf für den Museumsbau stammt von dem irischen Büro Heneghan Peng Architects.

TV-Doku
Die Dokumentation „Das Grand Egyptian Museum – Ein neuer Palast für Tutanchamun“, abrufbar in der ARD-Mediathek, hat den Stuttgarter Ausstellungsmachern bei ihrer Arbeit am GEM über die Schulter geschaut, Zu sehen ist, wie Shirin Frangoul-Brückner mit ihrem Team a vor der Herausforderung steht, alle Gegenstände dem Besucher zu präsentieren und gleichzeitig anhand der Exponate die ägyptische Geschichte zu erzählen.

Projekte
Zu den aktuellen Projekten von Atelier Brückner gehören etwa das Museum of Ethnography in Budapest sowie das Natural History Museum in Oslo. Der Architekturzweig des Büros konzentriert sich auf Museums- und Kulturbauten und das Bauen im historischen Bestand. In Stuttgart hat das Büro die Wagenhallen saniert; derzeit ist es mit der Sanierung und Erweiterung der Villa Berg betraut.