Am Rande des Ganjia-Beckens befindet sich die Karsthöhle Baishiya. Die Region bot neben Gebirge und Graslandschaften wohl auch teils Wald. Foto: Dongju Zhang's group/Lanzhou University/dpa

Denisova-Menschen sind eng mit den Neandertalern und dem modernen Menschen verwandt. Einst waren sie auch im Hochland von Tibet heimisch, das damals wohl noch nicht ganz so unwirtlich war wie heute.

Eine Gruppe von Frühmenschen hat womöglich mehr als 100 000 Jahre lang im Hochland von Tibet gelebt. Zu Zeiten der Denisova-Menschen habe vermutlich Graslandschaft mit kleineren Waldflächen die Gegend geprägt, berichtet ein Forscherteam im Fachjournal „Nature“.

Unterkiefer- und Rippenknochen des Denisova-Menschen

Das Team um Frido Welker von der Universität Kopenhagen sowie Dongju Zhang und Fahu Chen von der Universität Lanzhou in China stützt seine Erkenntnisse auf die Analyse von Knochen: Ein Unterkiefer-Knochen aus der Baishiya-Höhle im Osten Tibets ist einer 2019 vorgestellten Datierung zufolge etwa 160 000 Jahre alt.

Die Baishiya-Höhle liegt etwa 40 Meter oberhalb des heutigen Jiangla-Flussbettes. Sie ist in der Region als buddhistische Höhle und beliebte Touristenattraktion bekannt. Foto: © Dongju Zhang, Lanzhou University/MPG

Nun erbrachte die Analyse eines Rippenknochens aus derselben Höhle ein Alter von 48 000 bis 32 000 Jahren. Analysiert wurden von den Forschern zudem zahlreiche Tierknochen aus der Baishiya-Höhle.

Zur Info:Die Baishiya-Höhle befindet sich auf 3280 Meter Höhe an der Südseite des Dalijia-Gebirges (Dalijia Shan), am Rande des Ganjia-Beckens, in der Nähe der Mündung des Flusses Jiangla in den Yangqu. Über ihr ragt eine hohe, weiße Felswand aus Kalkstein empor.

So sieht der jüngst aufgefundene menschliche Rippenknochen aus. Foto: Forschungsgruppe Dongju Zhang/Universität Lanzhou

Verwandter des Neandertalers

Beim Denisova-Menschen handelt es sich um eine weitentfernte verwandschaftliche Gruppe des Neandertalers. Während der Homo neanderthalensis vor allem in Europa und Westasien lebte, zogen Denisova-Menschen durch Ostasien. Sie lebten womöglich noch vor etwa 40 000 Jahren im zentralasiatischen Altai-Gebirge im südlichen Sibirien.

Porträt eines jugendlichen weiblichen Denisova-Menschen, das auf der Basis von einem Skelett-Profil und DNA-Merkmalen gemalt wurde. Foto: Maayan Harel/dpa
Der Xiahe-Unterkiefer, von dem nur die rechte Hälfte erhalten ist, wurde 1980 in der Baishiya-Karsthöhle gefunden. Foto: © Dongju Zhang, Lanzhou University/MPG
Ein Team um Dongju Zhang (oben rechts im Graben) führte 2018/20019 Ausgrabungsarbeiten in einem von zwei jeweils zwei Quadratmeter großen Gräben in der Baishiya Karst-Höhle durch. Foto: © Dongju Zhang, Lanzhou University/MPG

Der Denisova-Urmensch ist erst seit dem Jahr 2000 bekannt. Damals entdeckten Forscher einen Zahn in der Denisova-Höhle im Altai-Gebirge. 2008 stießen russische Forscher ebendort auf einen sieben Millimeter langen Knochensplitter eines Fingerknochens.

Vermutlich hatten die Denisova-Urmenschen genau wie die Neandertaler ein hervorstehendes Gesicht und ein breites Becken. Speziell für die Denisovas war aber ein verlängerter Zahnbogen und das breitere Gesicht charakteristisch.

An sauerstoffarme Umgebung perfekt angepasst

Der neue Rippenknochen, der auf ein Alter von 48 000 bis 32 000 Jahren datiert wird, zeigt, das der Denisova-Mensch noch im Jungpaläolithikum auf dem tibetanischen Hochplateau gelebt haben könnte, wie die Forscher vermuten.

Schon aus früheren Erbgutproben schlossen Wissenschaftler, dass die Menschengruppe auf dem Hochplateau speziell an die sauerstoffarme Umgebung angepasst war. Trotz der Höhe dürften sie dort gut durch mindestens zwei Kaltzeiten gekommen sein, wozu relativ stabile Bedingungen in der Region beigetragen haben müssen.

In der Baishiya-Höhle fanden die Denisova-Menschen Schutz vor Witterung. Foto: © Forschungsgruppe Dongju Zhang/Lanzhou University

2500 Tierknochen in der Höhle gefunden

Wie die mehr als 2500 Tierknochen in der Höhle beweisen, nutzten der Denisova-Mensch mehrere Tierarten für Nahrung und Kleidung. Die meisten Knochen stammen vom Blauschaf oder Bharal. Diese eher wie eine Ziege aussehende Spezies ist noch heute in der Himalayaregion verbreitet. Seinem teils bläulich schimmernden grauen Fell vedankt es seinen Namen.

Unter der Vielzahl an Knochen wurden außerdem Wölfe, Tüpfelhyänen und Schneeleoparden, Steinadler und Fasane sowie Yaks, Pferde, das ausgestorbene Wollnashorn, Rothirsche und sogar Flughörnchen nachgewiesen. Letztere sprechen dafür, dass es zumindest kleine Wälder in der Region gab.

Fleisch zum Essen, Knochen für Werkzeuge

Schnittspuren an den Knochen sind zudem Anzeichen dafür, dass die Denisova-Menschen die Tiere töteten und verarbeiteten, um an ihr Fleisch, Knochenmark und ihre Häute zu kommen sowie um die Knochen selbst zur Herstellung von Werkzeugen zu nutzen. Abgeschlagene Splitter deuten darauf hin, dass Werkzeuge etwa aus Pferdezähnen und den Knochen von Ziegen, Hirschen oder Gazellen produziert wurden.

„Diese Artenvielfalt beantwortet zum Teil die Frage, warum die Denisovaner in der Baishiya-Karsthöhle und im umliegenden Ganjia-Becken lebten und wie sie dort Hunderttausende von Jahren überlebten“, erklärt die Archäologin Dongju Zhang von der Universität Lanzhou.

Dieser braunschwarze Wirbelknochen einer Hyäne mit vergrößertem Ausschnitt (re.) zeigt eine mehrere Millimeter lange Schnittspur. Offenbar versuchten die Jäger, an das Fleisch und Fell der Tiere zu kommen. Foto: © Forschungsgruppe Dongju Zhang/Lanzhou Universit/y

Begegnung von Denisova-Mensch und Neandertaler

Wie neuere Studien zeigten, dürfte sich das Ausbreitungsgebiet des Denisova-Menschen und Neandertalers im Laufe der letzten 400 000 Jahre mehrmals überschnitten haben. Bei Begegnungen kam es auch zu gemeinsamem Nachwuchs. Denisova-DNA findet sich heute aber in größtem Ausmaß bei Personen, die aus Melanesien, den Inseln nordöstlich von Australien, stammen. Neandertaler-DNA besitzen alle Menschen, deren Herkunft nicht auf den afrikanischen Kontinent beschränkt ist.

„Da wir die Denisovaner nur von einigen wenigen Fossilien weltweit kennen, sind sie immer noch ein kleines Rätsel“, sagt Zandra Fagernäs von der Universität Kopenhagen. „Jedes neue Individuum, das wir entdecken, liefert daher ein wichtiges Teil des Puzzles, wer die Denisovaner waren, wo sie lebten und wann.“