Burn-out-Patienten müssen lange auf Therapieplatz warten Foto: Fotolia

Milliardenkosten für Wirtschaft durch Burn-out: Stressprävention und Therapieplätze fehlen.

Stuttgart - Kranke Mitarbeiter sind teuer: Jedes Jahr entstehen der deutschen Wirtschaft 43 Milliarden Euro durch Ausfallzeiten. Allein der stressbedingte Arbeitsausfall kostet die deutschen Unternehmen laut der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA) 20 Milliarden Euro. Wenn das Stressgefühl bei den Mitarbeitern nicht mehr weggeht, sprechen Experten von chronischer Erschöpfung oder auch von Burn-out.

Doch obwohl die Zahl der chronisch erschöpften Mitarbeiter von Jahr zu Jahr höher wird, rüsten sich die deutsche Wirtschaft und Politik nur langsam für den Angriff auf die Leistungsgesellschaft: In einer Studie der EU-OSHA äußern zwar vier von fünf europäischen Managern Besorgnis über den Stress im Job. Aber nur weniger als ein Drittel der Firmen tut etwas dagegen. Europaweit werden im Schnitt 26 Prozent der Firmen aktiv, in Deutschland sind es nur 15 Prozent.

„Hohe Kosten entstehen außerdem, weil Patienten zu spät oder nicht richtig behandelt werden“, sagt Rüdiger Nübling, Sprecher der Landespsychotherapeutenkammer Baden-Württemberg. Die Wartezeiten auf ein Erstgespräch liegen nach einer Untersuchung der Bundespsychotherapeutenkammer bei durchschnittlich 12,5 Wochen. Auf den Beginn einer Psychotherapie müssten Patienten durchschnittlich 23,3 Wochen warten – das wären also gut fünf Monate. Das will Katrin Altpeter (SPD), Sozialministerin in Baden-Württemberg, ändern. Im kommenden Jahr tritt das neue sogenannte Versorgungsstrukturgesetz in Kraft.

Psychotherapeuten ärgern sich, weil Staat mit alten Zahlen rechnet

„Dabei müssen aus meiner Sicht die heute vorherrschenden und zum Teil sehr langen Wartezeiten Berücksichtigung finden“, sagt Katrin Altpeter. Sie wolle keinen Ergebnissen vorgreifen, „gleichwohl wird man das Problem von zu langen Wartezeiten vermutlich nur durch ein höheres Leistungsangebot lösen können“. Klingt eigentlich logisch, ist aber gar nicht so selbstverständlich. Die Psychotherapeuten regen sich seit Monaten über das neue Gesetz auf. Der Grund: Der Entwurf basiert auf Zahlen aus dem Jahr 1999. Damals aber trat das Psychotherapeutengesetz erst in Kraft. Das heißt: Es gab noch nicht so viele Psychotherapeuten. „Trotzdem haben die Verantwortlichen damals gezählt, wie viel Praxen es gibt – und dann wurde befunden, dass diese Zahl den Bedarf an Psychotherapeuten deckt“, sagt Nübling. Regionen, in denen danach weitere Praxen dazukamen, gelten demnach heute als überversorgt – selbst wenn die Schlange der Patienten in einzelnen Praxen oft bis auf die Straße reicht.

Die Folge ist, dass es in Kernstädten als ausreichend angesehen wird, wenn auf 2577 Einwohner ein Psychotherapeut kommt. Auf dem Land dagegen ist das Verhältnis ein Therapeut zu 23 100 Einwohnern. „Dabei leiden Menschen, die auf dem Land leben, nicht weniger häufig an psychischen Erkrankungen als Städter.“ Die Psychotherapeuten wollen, dass sich die Zahl der Kollegen, die pro Region über die Kasse abrechnen dürfen, an der Häufigkeit der Erkrankungen bemisst – und nicht an der Einwohnerzahl.

Bundesministerium schlägt Korrekturen vor

Inzwischen hat Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) eingelenkt. Er will zwar für die Psychotherapeuten keinen neuen Bedarf ermitteln lassen, hat aber zugesichert, dass die Praxen, die nach der alten Rechnung zu viel sind, von 2012 an nicht nach und nach wegfallen sollen. Betroffen sind rund ein Drittel der bestehenden Kassenarztsitze – nämlich 900 von 2700.

Das Ministerium teile die Auffassung, dass die Vorgaben der geltenden Bedarfsplanungsrichtlinie für den Bereich der psychotherapeutischen Versorgung überarbeitungsbedürftig seien, heißt es in einer Stellungnahme gegenüber unserer Zeitung. Darum soll der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die alten Zahlen überprüfen. Der G-BA ist ein Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten, Krankenkassen und Krankenhäusern. Seine Aufgabe ist zu konkretisieren, welche medizinischen Leistungen ausreichend und wirtschaftlich sind und zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehören.

Rainer Richter, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer, kritisiert: „Ein Aussetzen des Praxisaufkaufs bis 2013 reicht nicht aus, wenn die grundsätzlich falschen Vorgaben von Einwohner je Psychotherapeut nicht korrigiert werden.“ Katrin Altpeter möchte zur Not einen Sonderweg einschlagen, falls das Gesetz ihre Ansprüche verfehlt: „Auf der Landesebene werden wir, wenn das Gesetz wie geplant in Kraft tritt, regional von bundesweiten Vorgaben abweichen können“, sagt sie.

Arbeitsschutzexperten sehen bei deutschen Firmen Nachholbedarf

Die Stuttgarter Prüfgesellschaft Dekra fordert unterdessen, dass mehr Betriebe aktiv werden sollen, bevor es überhaupt zu psychischen Erkrankungen bei den Mitarbeitern kommt. „In den Unternehmen gehen von der Technik immer weniger Gefahren aus“, sagt ein Sprecher. „An die Stelle des klassischen Unfalls bei der Arbeit treten innere Kündigung und Burn-out.“ Das Management erkenne nicht den wirtschaftlichen Nutzen einer gesunden Belegschaft.

Die Betriebe würden im Arbeitsschutz nur aktiv, weil sie gesetzliche Vorschriften befolgen müssten (84 Prozent) und nicht, weil sie den wirtschaftlichen Nutzen sehen (31 Prozent) oder aus ethischen Gründen (38 Prozent), heißt es im Dekra-Arbeitssicherungsbarometer.