An dieser Maschine produzierten Arbeiterinnen Uhrenbügel, demonstriert Silvia Ginosa (links) vom Uhrenindustriemuseum im Rahmen der Führung. Die Erläuterungen dazu gibt es von Stadtführerin Barbara Bouyer (Zweite von links). Foto: Cornelia Hellweg

Gute Resonanz auf die Angebote im Uhrenindustriemuseum zum internationalen Frauentag. Stadtführerin Barbara Bouyer erzählt über Leben und Alltag von „Arbeiterinnen in Schwenningen“.

Silvia Ginosa ist sehr zufrieden. Am vergangen Wochenende standen die Angebote im Uhrenindustriemuseum Schwenningen im Zeichen des internationalen Frauentages.

 

Am Samstag kamen mehr als 50 Besucherinnen und Besucher – bei freiem Eintritt für Frauen –, darunter auch eine Gruppe von Personen, die aus der Ukraine stammen. „Ich habe vier Maschinenführungen gemacht“, berichtete sie. Außerdem gab es „einen kleine Kaffeegruß“. Ausgebucht war darüber hinaus die Führung „Arbeiterinnen in Schwenningen“ unter der Leitung von Barbara Bouyer.

„Ich bin überwältigt, dass angesichts des schönes Wetters so viele dabei sein möchten“, freute sich die Stadtführerin. Dann hieß es erst einmal: Stempeln. Denn nach Einführung der Zeiterfassung ließen die Fabrikanten die Arbeitszeit durch Ein- und Ausstempeln erfassen. Maßgeblich war die Zeit, die die Uhr in der Fabrik anzeigte. Wer zu spät kam, dem wurde Geld vom Lohn abgezogen. Und eine solche Stempelmaschine steht für den Gebrauch durch Besucher im Uhrenindustriemuseum zu Verfügung.

Pünktlich zur Arbeit

Aus Aufzeichnungen aus den 1880er-Jahren geht hervor, dass rund neun Prozent der Arbeiter in den Schwenninger Fabriken Frauen waren. Sie verdienten bei gleicher Arbeit etwa ein Drittel weniger. „Vorher gab es nur die Möglichkeit, beispielsweise in der Landwirtschaft als Magd zu arbeiten“, erläuterte Bouyer. Mit Fabrikarbeit war die Hoffnung verbunden, ein „freieres“ Leben führen zu können. Das war dann allerdings auch in weiten Teilen von der Arbeit geprägt. Für Frauen hinzu kam die Verantwortung für Haushalt und Kinder. Denn lange Arbeitszeiten waren in diese Phase in den Fabriken – nicht nur in Schwenningen – die Regel: sprich Sechs-Tage-Woche und Zehn-Stunden-Arbeitstag.

Die Statue „Die eilende Zeit“ am Schwenninger Rathaus setzt den sogenannten Elfe-Wiebern ein Denkmal. Denn Frauen in den Fabriken „durften“ um elf Uhr in die Pause, um das Mittagessen zu kochen für ihre Familien. Das war ungleich aufwendiger als heutzutage, weil der Herd erstmal befeuert werden musste. Da es noch keine Kühlschränke gab, war der Einkauf von Lebensmitteln fast täglich nötig. Dann Essen machen und hinterher aufräumen und zurück in die Fabrik. Männer und Frauen nahmen häufig als Zuverdienst noch so genannte „Sackarbeit“ nach Hause mit. Nach der Arbeit ging es also zuhause weiter. Es wurden beispielsweise Spindeln für die Uhrenherstellung angefertigt. „Jeder bekam nur so viel Material mit, wie er bis zum nächsten Tage verarbeiten konnte.“

„Ein Höllenlärm“

Themen wie Arbeitsschutz entwickelten sich erst später für Fabrikarbeit. „Die Arbeitsbedingungen in der Fabrik kann man sich fast nicht härter vorstellen“, sagte Barbara Bouyer. „Es herrschte ein Höllenlärm, die Arbeit war monoton, die Luft war verdreckt.“ Schwangere Frauen arbeiteten bis zur Geburt des Kindes – die sich ab und zu direkt am Arbeitsplatz abspielte. Silvia Ginosa führte Maschinen vor, die in der Regel von Arbeiterinnen bedient wurden. Das veranschaulichte das so eben Gehörte. Und den Lärm einer Maschine muss man mit der noch vieler anderer im Saal multiplizieren. Gefürchtet unter Frauen war der Einsatz an der Maschine, deren Bedienung viel Kraft erforderte. Das hatte offenbar bei manch schwangeren Arbeiterin eine Fehlgeburt ausgelöst.

Achtung hieß es, wenn bei Maschinen der Transmissionsriemen gewechselt wurde. Arbeiterinnen trugen breite Stirnbänder, die die Haare bedeckten. Denn bei so einem Wechsel liefen sie bei unbedeckten Haaren Gefahr, buchstäblich skalpiert zu werden. Beim Bemalen der Zifferblätter kamen Arbeiterinnen mit Radium in Kontakt, was zu gesundheitlichen Schäden führte. „Beim ersten großen Streik in den Fabriken ging es um die Einführung der 60-Stunden-Woche und darum, dass die Arbeitgeber die Kosten für Werkzeug und Arbeitsmittel übernehmen. Die mussten die Arbeitern nämlich bis dato selber zahlen und mitbringen.“ Der Streik wurde nach sechs Wochen ergebnislos abgebrochen.

Hohe Kindersterblichkeit

Die Kindersterblichkeit war hoch. Barbara Bouyer zeigte einen Auszug aus dem Sterberegister Schwenningens vom Oktober des Jahres 1900. Bei den 68 registrierten Todesfällen handelte es sich um sieben Erwachsen und 61 Kinder. Ursache der hohen Kindersterblichkeit waren neben Krankheiten wie beispielsweise Tuberkulose, Masern und anderes schlechte Wohnverhältnisse und Vernachlässigung.

1851 wurde als erster Kindergarten Schwenningens die Wilhelmspflege in Betrieb genommen, 1864 das erste Krankenhaus. Die Häuser für Arbeiter waren zu der Zeit in schlechtem Zustand und oft total überfüllt, weil man als Mieter noch untervermietete, um das eigene Budget aufzubessern. Wegen der Missstände begannen später die Stadt Schwenningen und auch Fabrikanten Wohnungen für die Arbeiter zu bauen.

Barbara Bouyer schilderte zum Abschluss der Führung die Biografie bemerkenswerter Frauenpersönlichkeiten aus Schwenningen an den Beispielen der Prokuristin Gertrud Stähle, von Paula Acker und der ersten Schwenninger Gemeinderätin Mathilde Müller sowie Margarete Kaiser und Anna Jäckle.

Lesetipp: „Einfach geschickter. Frauen und Industrie“ von Ingeborg Kottmann (Hrg.), ist im Uhrenindustriemuseum kostenpflichtig erhältlich.