Wenig Platz: Flüchtlinge müssen teilweise in Zelten untergebracht werden Foto: dpa-Zentralbild

In Deutschland werden insgesamt bis zu 800.000 Asylanträge für 2015 erwartet. Auch Baden-Württemberg muss mit deutlich mehr neuen Asylbewerbern rechnen. Die Kommunen sehen die Grenzen ihrer Kapazitäten erreicht und fordern endlich einen parteiübergreifenden Konsens.

Stuttgart - Landkreistagspräsident Joachim Walter (CDU) appellierte am Mittwoch in Stuttgart an die Politik in Land und Bund: „Es muss einen parteiübergreifenden Konsens geben.“ Ansonsten kämen „Riesenprobleme“ auf das Land zu - nicht nur bei der Unterbringung von Asylbewerbern, sondern auch bei der Integration von Flüchtlingen, die längerfristig in Deutschland bleiben dürfen.

CDU und Grüne machten sich am Mittwoch gegenseitig für die prekäre Lage verantwortlich. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Landtagsfraktion, Uli Sckerl, appellierte an CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf, mehr Druck auf die Union in Berlin für „echte und schnelle Lösungen“ auszuüben. CDU-Integrationsexperte Bernhard Lasotta warf Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und den Grünen wiederum vor, die Lage eskalieren zu lassen. Er forderte Kretschmann auf, etwa der Einstufung aller Balkanstaaten als sichere Herkunftsländer zuzustimmen und die Umstellung von Geld- auf Sachleistungen für Balkanflüchtlinge voranzutreiben.

Grünen wollen vorerst keine Ausweitung der sicheren Herkunftsländer

Am Dienstag war eine gemeinsame Erklärung Kretschmanns und der Vize-Regierungschefs aller anderen acht grün-mitregierten Länder bekanntgeworden. Darin lehnen sie die Ausweitung der sicheren Herkunftsländer vorerst ab. Es gebe derzeit keine Erkenntnisse, dass diese Maßnahme im Falle von Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien eine signifikante Wirkung auf die Zahl der Asylanträge oder die Verfahrensdauer gehabt habe. Abgelehnte Asylbewerber aus sicheren Herkunftsländern können leichter abgeschoben werden.

Ein Regierungssprecher bekräftigte am Mittwoch, für Kretschmann sei die Tür für Gespräche über eine Ausweitung der sicheren Herkunftsländer weiter offen – allerdings unter der Bedingung, der Bund belege die Wirksamkeit dieser Maßnahme. Bislang habe der Bund die versprochene Evaluation nicht vorgelegt.

Nach Ansicht von Landtagspräsident Walter muss sich die Politik nun aber auf die wirklich schutzbedürftigen Flüchtlinge konzentrieren. Dazu zählten die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien und Irak. Ähnlich äußerte sich der für das Thema zuständige Beigeordnete beim Gemeindetag Baden-Württemberg, Steffen Jäger. „Es ist nicht mehr drei vor zwölf, sondern eins vor zwölf.“ Die Politik müsse dringend das seit langem eingeforderte Gesamtkonzept vorlegen. „Es hilft nicht, wenn Bund und Länder die Verantwortung hin- und herschieben.“

Baden-Württemberg rechnet mit rund 100 000 Asylbewerbern für 2015

Ministerpräsident Kretschmann hatte am Dienstag erklärt, dass Baden-Württemberg in diesem Jahr mit rund 100 000 Asylbewerbern rechnen muss - das wären doppelt so viele wie ursprünglich prognostiziert worden waren. Im vergangenen Jahr waren 25 673 neu ankommende Asylbewerber im Südwesten registriert worden. Der Bund veröffentlichte am Mittwochnachmittag eine neue offizielle Prognose von rund 800 000 Asylanträgen für das ganze Jahr in Deutschland. Darin sind allerdings auch Wiederholungsanträge enthalten.

Walter sagte, die neuen Zahlen bedeuten, dass die Kommunen wesentlich mehr Asylbewerber aufnehmen müssten. Er plädierte dafür, das monatliche Taschengeld von Asylbewerbern zu kürzen. „Das Taschengeld hat eine hohe Anziehungskraft“, sagte Walter insbesondere mit Blick auf Wirtschaftsflüchtlinge vom Balkan. Die rund 150 Euro Taschengeld im Monat, die derzeit gezahlt würden, entsprächen dem Monatslohn von Arbeitnehmern in Balkanländern wie zum Beispiel Serbien.

Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) bekräftigte ihre Forderung nach einer gerechten Verteilung der Flüchtlinge auf EU-Länder. Es könne nicht sein, dass nur zwei Länder die Mehrheit der Asylbewerber aufnähmen - Deutschland und Schweden.

Thomas Strobl fordert mehr sozialen Wohnungsbau

Die Länder müssen nach Ansicht von CDU-Bundesvize Thomas Strobl größere Anstrengungen unternehmen, um mehr preiswerten Wohnraum zu schaffen. Langfristig würden Hunderttausende Flüchtlinge dauerhaft in Deutschland bleiben. „Wir werden sie nicht für immer in Turnhallen und Zelten unterbringen können“, sagte er der Stuttgarter Zeitung. Konkret fordert der baden-württembergische CDU-Landeschef ein vereinfachtes Baurecht und eine stärkere öffentliche Förderung. Während Bayern 200 Millionen Euro dafür investiere, seien es in Baden-Württemberg nur 75 Millionen Euro. Die Länder müssten auch Investitionshemmnisse beseitigen. Im Südwesten gebe es so viele Auflagen, dass die Schaffung preiswerten Wohnraums für Investoren völlig uninteressant geworden sei.