Wer sich in Baden-Württemberg mindestens 20 Wochenstunden um einen Angehörigen ab Pflegestufe 3 kümmert, soll nach Ansicht der Landes-SPD entlohnt werden. Foto: imago/Westend61/Uwe Umstätter

Pflegende Angehörige verzichten auf vieles, oft auch auf finanzielle Absicherung. Das will die SPD im Land mit der Einführung eines Gehalts ändern. Die erheblichen Kosten dafür hält die Partei für angemessen. Vom Landesgesundheitsminister kommt Kritik.

Hunderttausende Menschen in Baden-Württemberg, meist Frauen, pflegen ihre Angehörigen zuhause. Oft ist das ein Vollzeitjob, für den es jedoch keinen angemessenen finanziellen Ausgleich gibt. Die SPD im Land will gegen diesen Missstand nun vorgehen: „Wir fordern ein Gehalt für pflegende Angehörige im erwerbsfähigen Alter“, sagte Florian Wahl, SPD-Landtagsabgeordneter und Vorsitzender des Ausschusses für Soziales, Gesundheit und Integration des Landtags unserer Zeitung.

 

Pflege dürfe nicht zum Armutsrisiko werden. Daher sollten Betroffene künftig in der Zuständigkeit des Landes sozialversicherungspflichtig angestellt werden, heißt es in einem am Mittwoch verabschiedeten Positionspapier, das unserer Zeitung vorliegt. „Dieses Angebot kommt einer Revolution gleich und könnte Vorreiter für ganz Deutschland sein“, so Wahl weiter.

Kosten fürs Pflegegehalt: 100 Millionen Euro

In ihrem Papier veranschlagt die Partei im Landeshaushalt jährlich etwa 100 Millionen Euro für das Anstellungsmodell. „Das ist finanzierbar“, ist sich Wahl sicher. Keine der zukünftigen Landesregierungen werde umhinkommen, der Pflege mehr Bedeutung zuzumessen. Die Leistung soll sich laut der Initiative am Mindestlohn orientieren und nach investierter Zeit sowie Pflegegrad des Bedürftigen berechnen: Bei 40 Stunden und Pflegegrad 5 ergibt sich maximal ein monatliches Brutto-Gehalt von 2250 Euro.

Landesgesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) kritisiert die Initiative auf Anfrage unserer Zeitung unter anderem als zu bürokratisch. Das Positionspapier erschöpfe sich zudem darin, „von der Verantwortung des Bundes“ abzulenken – und damit vom SPD-geführten Bundesgesundheitsministerium, „das eine umfassende Finanz- und Strukturreform der Langzeitpflege bislang schuldig geblieben ist“.

Von Verbänden und Selbsthilfegruppen wird der Vorstoß hingegen grundsätzlich begrüßt. „Ein Gehalt wäre eine gute Sache“, sagt Gabriele Hönes, Leiterin der Abteilung Gesundheit, Alter und Pflege im Diakonischen Werk Württemberg. Die Zahl der Pflegebedürftigen steige stetig: „Professionelle Kräfte reichen schon jetzt kaum aus.“ Wobei die SPD-Landtagsfraktion betont, dass Angehörige keine Pflege durch Fachkräfte ersetzen, sondern diese lediglich ergänzen und auch entlasten sollen. „In Baden-Württemberg herrscht im Bundesvergleich der höchste Mangel an Pflegefachkräften“, ergänzt Wahl.

Häusliche Pflege ist herausfordernd

Laut Lucha bleibt die SPD „eine Antwort zur Gegenfinanzierung der Pflegegehälter von 100 Millionen Euro pro Jahr genauso schuldig wie zu den Kosten für die zu errichtende Agentur“. Das Land setze seine Schwerpunkte anders und investiere in nachhaltige Strukturen, etwa den Ausbau der Kurzzeitpflege und Unterstützungsstrukturen, die einen Verbleib in der eigenen Häuslichkeit ermöglichen.

Bärbel Kehl-Maurer, Vorsitzende der Landesarbeitsgruppe Selbsthilfe, hingegen sieht im Pflegegehalt eine Anerkennung der Leistung von Angehörigen: „Wer daheim pflegt, reduziert oft im Beruf oder gibt diesen ganz auf – mit Folgen.“ Trotz enormer körperlicher, psychischer und letztlich auch finanzieller Herausforderungen werde der Einsatz „von vielen als Selbstverständlichkeit abgetan“.

Allerdings könne auch ein Gehalt nicht die Wende im Pflegenotstand bringen, schränkt Gabriele Hönes ein. Dafür seien grundlegendere Veränderungen im System nötig. Doch alles, was Pflege in die Diskussion bringe, begrüße sie: „Denn bisher wurden Reformen und Neuausrichtungen durch Politik, Verbände, Kirchen, ja die ganze Gesellschaft nicht priorisiert. Ein Weiter-so darf es nicht geben.“