Die gemeindeeigenen Unterkünfte an der Brezelstraße: Neben den Baracken aus den 1990er-Jahren (rechte Seite) steht seit 2016 zusätzlich ein zweigeschossiges Gebäude, das in Modulbauweise errichtet wurde und bis zu 32 Personen Platz bietet. Die Unterkünfte dienen auch zur Unterbringung von obdachlosen Menschen. Foto: Claudia Bötsch

Da die Gemeinschaftsunterkunft des Landkreises doch nicht gebaut wird, steht die Gemeinde unter Druck. Die Verwaltung will private Eigentümer direkt ansprechen.

Gesucht werden Wohnungen aller Größen, ein entsprechender Aufruf ist im Schliengener Amtsblatt erschienen. Bislang habe sich auf die Anzeige ein potenzieller Vermieter bei der Gemeinde gemeldet, berichtet Bürgermeister Christian Renkert auf Nachfrage unserer Zeitung. Die Besichtigung stehe allerdings noch aus. Dabei werde geschaut, ob eine Wohnung infrage komme und ob die Räume sich eher für die Unterbringung mehrerer Alleinstehender oder einer Familie eignen.

 

Durch die Absage der Gemeinschaftsunterkunft (GU) des Landkreises ist die Gemeinde unter Zugzwang geraten, was die sogenannte Anschlussunterbringung angeht. Denn: Die 180 Menschen, die in der GU unterkommen sollten, hätten darauf angerechnet werden sollen – und zwar zu 40 Prozent. Damit wäre Schliengen den Druck, Wohnraum für zugewiesene Flüchtlinge bereitstellen zu müssen, auf einen Schlag losgeworden. Vor diesem Hintergrund hatte die Gemeinde in den vergangenen Monaten keine aktive Akquise mehr verfolgt, um Wohnraum für Flüchtlinge aufzutun. Und das ist jetzt ein Problem: „Wir haben gewisse Rückstände, welche die Verwaltung nun abarbeiten muss. Uns fehlen Wohnungen“, machte Renkert im Gespräch mit unserer Zeitung die „große Herausforderung“ deutlich.

Gemeinde überweist Miete

Um zum Ziel zu kommen, wolle die Gemeinde auch pro-aktiv potenzielle Vermieter ansprechen. „Wenn wir Leerstände in der Gemeinde entdecken, werden wir versuchen, Kontakt zu den Besitzern zu bekommen“, sagte Renkert. Dabei betont er die „Vorteile“, die ein solches Mietverhältnis mit sich bringe: „Die Gemeinde ist Zwischenmieter und unterschreibt auch den Vertrag.“ Gleichzeitig sei die monatliche Miete gesichert, die von der Gemeinde direkt an den Vermieter fließe, betont der Schliengener Rathauschef. „Wir machen die ganze Arbeit, servieren das Ganze quasi auf dem Silbertablett“, unterstreicht er.

Die Zahlen verdoppelt

Aktuell leben in der Gemeinde knapp 100 Geflüchtete. Neben den gemeindeeigenen Unterkünften an der Brezelstraße sind sie vor allem in angemieteten Wohnungen dezentral im Kernort und in den Ortsteilen untergebracht. Es waren allerdings schon deutlich mehr: In Folge des Ukraine-Kriegs zählte Schliengen im Herbst 2023 fast 140 geflüchtete Menschen, die im Rahmen der sogenannten Anschlussunterbringung untergebracht werden mussten. Zum Vergleich: Im Februar 2022, kurz vor dem russischen Überfall auf die Ukraine, waren es mit rund 60 Personen weniger als die Hälfte. Ins Jahr 2022 reichen auch die ersten Überlegungen und Pläne für eine Gemeinschaftsunterkunft in Schliengen zurück.

Bürgermeister Renkert hatte sich damals einiges an Kritik anhören müssen, weil er das Grundstück von sich aus dem Landkreis angeboten hatte. Als Argument führte er an, dass die Gemeinde auf dem Wohnungsmarkt nicht mehr ausreichend Wohnraum für die vom Landkreis zugewiesenen Flüchtlinge finde und nur durch die GU ihren Anteil leisten könne.

In der Folge hatten die Pläne für kontroverse, teils hitzige Diskussionen im Gemeinderat und in der Bürgerschaft gesorgt, unter anderem was die Größe der Einrichtung anging. Vor allem der zunächst anvisierte Standort in der Nähe des Baugebiets „Wasengärtle I“ hatte für einen Aufschrei gesorgt, bei einer Infoveranstaltung im Herbst 2023 wurden massive Gegenstimmen und teils aggressive Töne laut. Deshalb ist Renkert sicher, „dass einige froh sein werden, dass die GU nicht kommt“. Bis auf einen Brief zu dem Thema habe ihn indes keine persönliche Reaktion erreicht. Die Absage der GU hatte der Landkreis mit den seit Monaten deutlich zurückgegangenen Zugangszahlen an Geflüchteten begründet.

Einiges an Vorleistung

Die Nachricht Ende Mai, dass in Schliengen doch keine Gemeinschaftsunterkunft gebaut wird, sei für Renkert überraschend gewesen, „auch wenn man gemerkt hat, dass die Brisanz plötzlich nicht mehr so da war“. Allerdings hätte die Schliengener Verwaltung lediglich mit einer zeitlichen Verzögerung gerechnet, „aber nicht damit, dass das Projekt komplett abgeblasen wird“. Schließlich seien die Pläne weit gediehen gewesen und einiges an Vorleistung erbracht worden. Das dafür vorgesehene Grundstück im neuen Gewerbegebiet „Neumattäcker“ sei mehrfach optimiert worden. Zudem habe die Verwaltung bereits die Strom- und Wasserversorgung geplant, darüber hinaus die fußläufige Erschließung. Unter anderem war eine Fertigbrücke über dem Hohlebach geplant, über welche die Bewohner sicher zum Bahnhof gelangen sollten, gibt Renkert einen Einblick. Zudem wurde das Gebiet nach Kampfmitteln untersucht, auch die Trafostation für die Stromversorgung sei bereits reserviert worden.

Anschlussunterbringung

97 Personen
sind aktuell in der Gemeinde Schliengen in der Anschlussunterbringung untergebracht. Ein Teil von ihnen lebt in den gemeindeeigenen Flüchtlings- und Obdachlosenunterkünften an der Brezelstraße. Der Großteil ist jedoch in angemieteten Wohnungen im Kernort und in den Ortsteilen untergebracht.

Die Ukrainer
sind mit 37 Personen die größte Gruppe, gefolgt von syrischen Staatsangehörigen (22) und Personen aus Nigeria (7) und Afghanistan (7). Des Weiteren leben sechs türkische Staatsangehörige, fünf Kameruner, drei Palästinenser, drei Tunesier und zwei Flüchtlinge aus Eritrea in Schliengen. Jeweils ein Geflüchteter stammt aus Gambia, Pakistan, dem Iran, Algerien und aus Indien.

Rückblick:
Im Februar 2022 zählte die Gemeinde 56 Geflüchtete in der Anschlussunterbringung, durch den Ukraine-Krieg schoss die Zahl nach oben: im Herbst 2023 waren es 136 Personen. Bis Mitte 2024 sank die Zahl wieder auf 93. Bürgermeister Renkert: „Da gibt es immer eine gewisse Bewegung – Leute, die Angehörigen hinterziehen oder dorthin, wo sie eine feste Arbeit gefunden haben.“