Bisher benachteiligte Bewerbergruppen könnten durch anonymisierte Verfahren auf dem Arbeitsmarkt künftig leichter Fuß fassen. Foto: dpa-Zentralbild

Bewerber mit Migrationshintergrund werden auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt diskriminiert. Um dem entgegenzuwirken, fordern Experten anonymisierte Bewerbungsverfahren.

Stuttgart - Eigentlich ist Juliane F. das Gegenteil einer schwer vermittelbaren Kandidatin auf dem Arbeitsmarkt. Sie schloss ihr Rechtswissenschaftsstudium vor rund zwei Jahren an der Universität Saarbrücken mit einer sehr guten Note ab, sammelte Auslandserfahrung in Paris und sieht attraktiv aus. Trotzdem bewarb sie sich im Sommer 2013 über eine Online-Maske komplett anonym auf eine Stelle im Referat für Grundsatzfragen des baden-württembergischen Integrationsministeriums – also ohne Angaben von Namen, Geschlecht und Alter. Und ohne Foto. „Das war ungewohnt“, sagt sie. Ihre Qualifikationen aber überzeugten die Personalverantwortlichen. Juliane F. wurde zum Vorstellungsgespräch eingeladen – und bekam letztlich den Zuschlag für den Job.

Inwieweit ihr das anonymisierte Verfahren geholfen hat, sich gegen andere Bewerber durchzusetzen, ist nicht messbar. „Ich finde aber, das anonymisierte Verfahren ist fairer als das herkömmliche“, sagt Juliane F., „der Fokus beim ersten Auswahlschritt liegt allein auf der Qualifikation.“ Und genau das ist eine große Chance für Gruppen, die mehreren Studien zufolge auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert werden: Menschen mit Migrationshintergrund, Männer über 50 Jahre und Frauen im gebärfreudigen Alter. Sie erhalten bei entsprechender Qualifikation dadurch zumindest die Möglichkeit, sich in einem Vorstellungsgespräch zu beweisen.

Migranten werden auf dem Ausbildungsmarkt benachteiligt

Erst vor kurzem zeigte eine Untersuchung des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR), dass Bewerber mit türkischem Namen bei der Vergabe von Lehrstellen zum Kfz-Mechatroniker und Bürokaufmann benachteiligt werden. Die SVR-Forscher hatten je zwei Bewerbungen an rund 1800 Unternehmen verschickt – eine mit einem deutschen Namen und eine mit einem türkischen Namen. Die fiktiven Kandidaten hatten beide die deutsche Staatsangehörigkeit, die gleichen Noten und die gleichen Qualifikationen, sie unterschieden sich nur im Namen. Das Resultat: Der Bewerber mit türkischen Wurzeln musste für die Ausbildung zum Bürokaufmann durchschnittlich sieben Bewerbungen schreiben, um zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden, der mit deutschem Namen nur sechs.

Beim Beruf des Mechatronikers war die Diskriminierung noch eklatanter. Hier verschickte der Bewerber türkischer Herkunft sieben Bewerbungen, bis er zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde, der Deutsche vier. „Die Ergebnisse belegen klar: Es gibt eine Ungleichbehandlung auf dem Ausbildungsmarkt“, sagt Jan Schneider, der Leiter des SVR-Forschungsbereichs. Allerdings geschehe diese häufig unbewusst, weil ausländisch klingende Namen gewisse Assoziationen auslösen und Stereotype bedienen würden. „Der Mensch hat eine Präferenz für die Eigengruppe. Das bedeutet, er lädt lieber den Kandidaten, der ihm selbst ähnlich ist, zu einem Vorstellungsgespräch ein als einen anderen.“ Schneider empfiehlt deshalb anonymisierte Verfahren.

Wertvolle Talente gehen verloren

Für Christine Lüders ist die SVR-Studie erschreckend. „Die Ergebnisse sind fatal. Das ist für die Menschen frustrierend und entmutigend, wenn sie aufgrund ihrer Herkunft keine Chance bekommen“, sagt die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS), „durch die Diskriminierung gehen wertvolle Talente verloren, die die Ausbildungsbetriebe brauchen.“ Dass Menschen mit Migrationshintergrund frühzeitig aus dem Bewerbungsstapel aussortiert werden, geschehe in den meisten Fällen aber nicht vorsätzlich, sagt Lüders: „Fast jeder hat Vorurteile, das ist menschlich. In einem Bewerbungsverfahren, das objektiv erfolgen sollte, sind Vorurteile aber schädlich. Der Fokus sollte sich allein auf die Qualifikation des Bewerbers richten.“

Christine Lüders fordert deshalb anonymisierte Verfahren, bei denen Namen, Alter, Geschlecht, Herkunft, Religionszugehörigkeit und Aussehen keine Rolle spielen. Bewerber reichen dabei ihre Unterlagen geschwärzt ein oder füllen einen standardisierten Bogen auf Papier oder auf der Website der Unternehmen aus. Teilweise arbeiten Firmen auch mit neutralen Drittstellen zusammen, die Bewerbungen entgegennehmen und diese anonymisieren. Die persönlichen Unterlagen samt Zeugnissen werden in der Regel dann erst beim Vorstellungsgespräch mitgebracht.

Lüders ist überzeugt, dass dieses Verfahren die Chancen von Migranten auf ein Vorstellungsgespräch erhöht – und damit auch auf einen Job. Denn in den weiteren Auswahlschritten werde kaum diskriminiert, meint die ADS-Leiterin: „Die erste Hürde ist die größte. Wenn der Bewerber dem Personaler erst mal in einem Gespräch gegenübersitzt, verlieren die Vorurteile schnell an Kraft.“ Das habe ein Pilotprojekt der ADS vor drei Jahren gezeigt. Zahlen kann die ADS zwar nicht nennen, aber das Interesse von Firmen an dem anonymisierten Verfahren werde „immer größer“, sagt Lüders.

Konzerne ziehen ernüchterndes Fazit

Das Fazit mehrerer Projektteilnehmer ist jedoch ernüchternd. „Es hat uns nicht geschadet, aber auch keinen positiven Effekt gebracht“, sagt ein Sprecher der Deutschen Telekom. Der Telekommunikationskonzern kehrte zu seinem ursprünglichen Verfahren zurück – auch, weil durch die anonymisierte Bewerbung interessante Personen nicht mehr auffielen: „Und die suchen wir je nach Position gezielt.“ Die Deutsche Post und L’Oréal Deutschland haben das anonymisierte Verfahren ebenfalls eingestellt. Einer der Gründe: Es sei deutlich aufwendiger.

Die Stuttgarter Firma Bürkle + Schöck Transformatoren GmbH hat das Verfahren im Rahmen eines Projekts des baden-württembergischen Integrationsministeriums ausprobiert. „Wir haben es für positiv befunden“, sagt Geschäftsführer Stefan Bürkle, „wir mussten zwar eine Stelle zwischenschalten, die die Anonymisierung garantiert, aber uns Entscheidern erleichtert es die Arbeit.“ Deshalb ist für ihn klar: „Wir werden das anonymisierte Verfahren bei der Lehrstellenvergabe auch künftig verwenden.“ Ob sich anonymisierte Bewerbungsverfahren auch flächendeckend durchsetzen, bleibt abzuwarten.