Anna Vinnitskaya Foto: Promo

Im Beethovensaal hat die 30-jährige Anna Vinnitskaya Prokofjew, Debussy, Schubert und Brahms gespielt

Stuttgart - Der Anfang ist noch freundlich und verhalten. Anna Vinnitskayahat am Freitag bei ihrem ersten Solo-Auftritt im Stuttgarter Beethovensaal Schuberts a-Moll-Sonate op. 143 an den Anfang gestellt, aber was sie den nach fast schüchtern genommenen ersten Takten spielt, klingt vor allem nach aufgerautem Beethoven. Das stürmt, das drängt, die Kontraste sind hart, und die für Schubert typischen Momente schlichten Singens werden vor lauter gestalterischem Überschwang der jungen Russin ganz klein und unbedeutend.

Anna Vinnitskaya gestaltet mit Kante und Eigensinn. Oft schießt sie über das Ziel hinaus – bei Schubert ebenso wie anschließend bei Brahms’ erster Rhapsodie, die schon im ersten Takt völlig außer Atem ist. Kein Tempo, das die 30-Jährige wählt, bleibt lange stabil, und auch die Lautstärkegrade ändern sich oft im Sekundentakt.

Dass man dies hinnimmt, liegt an der ausgereiften Spieltechnik der Pianistin, die es zum Beispiel möglich macht, das Miteinander von rechter und linker Hand in jeder Phrase neu zu definieren und selbst gegenläufige Rhythmen ganz klar zu artikulieren. Und es liegt an der Spannung, die trotz aller gestalterischen Eigenwilligkeiten stets erhalten bleibt. Außerdem entdeckt, wer in die Welt der Anna Vinnitskaya eintaucht, immer wieder wunderschöne, eigenartige Details.

Prokofjews wirkungsvoll zwischen Spätromantik und Moderne zerrissene zweite Sonate kommt der Pianistin am weitesten entgegen, aber überraschenderweise verleiht sie auch Debussy („Suite bergamasque“, „L’Isle joyeuse“) oft genau die Klarheit und feine Abtönung, die diese hochsensible Farbklang-Musik braucht. Tief brennen sich die Momente ein, in denen man die Liebe spürt, mit der Anna Vinnitskaya der Musik begegnet. Das Ende des „Clair de lune“ und auch das zugegebene erste von Brahms’ Intermezzi op. 117 sind zum Niederknien schön.