Erst fehlen Zehntausende Schuss Munition, dann darf diese straffrei abgegeben werden – auf Anordnung des ehemaligen Kommandeurs des in Calw ansässigen Kommando Spezialkräfte. Der könnte deswegen bald vor Gericht stehen.
Calw/Tübingen - Das Kommando Spezialkräfte (KSK), die Eliteeinheit der Bundeswehr mit Sitz in Calw, hat schwere Zeiten hinter sich. Nach einer Reihe von Skandalen um rechtsextreme Vorfälle und verschwundene Munition hatte die damalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) im Sommer 2020 angekündigt, mit "eisernem Besen" durchzukehren. Zeitweise stand gar der Fortbestand der Eliteeinheit auf dem Spiel.
Im Sommer 2021, nach Monaten der Reform, gab Kramp-Karrenbauer schließlich bekannt, dass das KSK erhalten bleibe. Fehlentwicklungen und Missstände seien aufgearbeitet worden, hieß es in einem Abschlussbericht.
"Wesentlicher Anteil" am Fortbestand
Allerdings musste der damalige Kommandeur, Brigadegeneral Markus Kreitmayr, seinen Posten räumen. Ein Mann, dem Generalmajor Andreas Hannemann bei der Kommandoübergabe im September 2021 einen "wesentlichen Anteil" daran bescheinigt hatte, dass das KSK fortbestehen darf.
Kreitmayr, der im Juni 2018 das Kommando übernommen hatte, war jedoch bereits Monate zuvor in den Fokus von Untersuchungen geraten – wegen einer Sammelaktion für unrechtmäßig oder sorglos gehortete Munition im Frühjahr 2020, die er angeordnet und für die er Straffreiheit versprochen haben soll.
Bereits der Verdacht reicht aus
An diesem Freitag gab nun die Staatsanwaltschaft Tübingen bekannt, wegen genau dieser Aktion Anklage gegen den Ex-Kommandeur zu erheben. Der Vorwurf: unterlassene Mitwirkung bei Strafverfahren gemäß Paragraf 40 Wehrstrafgesetz – ein Straftatbestand, der im Wesentlichen jenem der Strafvereitelung entspricht, bei dem jedoch bereits der Verdacht auf eine Straftat ausreicht, "um die Mitwirkungspflichten eines Vorgesetzten auszulösen", erklärte der Erste Staatsanwalt Nicolaus Wegele.
Kreitmayr wird zur Last gelegt, er solle "von Beginn an aufgrund konkreter Anhaltspunkte davon ausgegangen sein", dass die Munition "jedenfalls zum Teil" aufgrund von Straftaten fehlen könnte – also möglicherweise gestohlen worden war.
Aus Sicht der Verteidigung "tatsächlich und rechtlich unbegründet"
Aufgefallen war das erhebliche Minus bei der Munitionsinventur für das Jahr 2019. Der Wert der fehlenden Munition habe rund 28 000 Euro betragen. Statt das Ganze zu melden, soll Kreitmayr "entschieden haben, dass die dem Verband angehörigen Soldaten ohne negative Konsequenzen anonym Munition abgeben können".
Im Frühjahr 2021 waren im Zuge der Ermittlungen auch Kommunikationsgeräte des Ex-KSK-Kommandeurs sichergestellt worden. Feldjäger hatten damals nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur ein Amtshilfeersuchen der Staatsanwaltschaft Tübingen umgesetzt.
Aus Sicht der Verteidigung sind die Vorwürfe gegen Kreitmayr indes "tatsächlich und rechtlich unbegründet". Daher gehe man davon aus, "dass die Anklage vor dem Gericht keinen Bestand haben wird", heißt es in einer Stellungnahme, die unserer Redaktion vorliegt.
Es sei nie um Vertuschung von Straftaten gegangen
Die Sammlung sei "der Priorisierung unter Notstandsgesichtspunkten" gefolgt; "ein berichteter Fehlbestand" hätte geklärt und zudem verhindert werden müssen, "dass Munition möglicherweise in falsche Hände geriet". Kreitmayr hätte keine Hinweise auf Straftaten gehabt; insofern sei es nie um eine Vertuschung von Straftaten gegangen. Stattdessen habe es "nur Hinweise auf im Verband seit geraumer Zeit angehäufte Buchungs-, Dokumentations- und gegebenenfalls auch Lagerungsfehler" gegeben, "die aufgeklärt und abgestellt werden mussten". Nach der Klärung hätte das Ganze "umfassend gemeldet werden" sollen.
Vonseiten der Bundeswehr gab es keinen Kommentar. Wie ein Sprecher des Presse- und Informationszentrums des Heeres auf Anfrage erklärte, gebe man zu laufenden Verfahren keine Auskunft.
Die Staatsanwaltschaft betont, "dass das Urteil über die Strafbarkeit nur den Gerichten zusteht". Kreitmayr gelte bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens als unschuldig.
Weitere Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen den Ex-Kommandeur waren indes im Sommer 2021 eingestellt worden. Die Vorwürfe, Kreitmayr habe Feldärztinnen angewiesen, rechtsextremistische Tätowierungen zu melden, hätten sich nicht bestätigt.