Verbrecher oder Opfer? Die Rolle von Ex-Wirecard-Chef Markus Braun ist noch ungeklärt. Foto: imago/Sven Simon

Fast zwei Jahre lang wurde ermittelt, die Anklageschrift ist äußerst umfangreich. Nun klagen die Staatsanwälte den früheren Wirecard-Chef Markus Braun und zwei mutmaßliche Komplizen an. Der Manager bestreitet alles.

Die Vorwürfe sind atemberaubend. Der Mann, der in Deutschland einst als Digitalguru und Chef einer Vorzeigefirma gefeiert wurde, soll in Wahrheit führender Kopf einer Verbrecherbande gewesen sein, die unter anderem rund 225 Millionen Euro veruntreut haben soll: Markus Braun, früherer Chef des untergegangenen Dax-Konzerns Wirecard. Gegen ihn und zwei mutmaßliche Komplizen hat die Münchner Staatsanwaltschaft nun Anklage erhoben. Das Trio wird des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs, schwerer Untreue sowie der Marktmanipulation beschuldigt. Dadurch sollen auch Schuldverschreibungen und Kredite über 3,1 Milliarden Euro erschlichen worden sein, die zum Großteil verloren sind.

Marsalek noch auf der Flucht

Es handle sich um eine erste, 474 Seiten lange Anklageerhebung, erklären die Ermittler. Beendet ist die Fahndung damit nicht. Mit Jan Marsalek ist ein mutmaßlicher Haupttäter und Ex-Vorstand von Wirecard auf der Flucht. Ermittelt wird zudem gegen eine zweistellige Zahl weiterer Verdächtiger.

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Braun streitet indessen nicht nur jede Schuld ab. Seine Verteidiger blasen sogar zum Gegenangriff auf die Staatsanwälte. Sie bestreiten zwar nicht die Existenz einer kriminellen Bande, die Wirecard ausgeraubt hat. Ihr Mandant sei aber nicht deren Mitglied, sondern unwissendes Opfer gewesen. Die Anklage gehe von einem falschen Tatbild aus. Von der Existenz krimineller Schattenstrukturen will der heute 53-Jährige erst aus Ermittlungsakten erfahren haben.

„Kein einziger Hinweis auf eine Mitwirkung Brauns“

Entgegengesetzt sind die Darstellungen von Anklage und Verteidigung vor allem in einem zentralen Punkt. Während Ermittler davon ausgehen, dass die Täter angebliche Wirecard-Geschäfte im großen Stil nur erfunden haben, beteuern Brauns Anwälte, dass es die Geschäfte gegeben hat. Nach ihrer Version wäre dann eine Milliardensumme hinter Brauns Rücken in dunkle Kanäle abgezweigt und ins Ausland verschoben worden. Die Ermittler hätten es versäumt, nach diesen Geldern zu suchen. „In rund 450 Zeugenvernehmungen und über einer Million E-Mails taucht kein einziger Hinweis auf eine Mitwirkung von Markus Braun auf“, erklärt ein Sprecher seiner Verteidigung.

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Die Klageschrift zeichnet in Person des Hauptbeschuldigten Braun ein anderes Bild. Wirecard war Zahlungsdienstleister für bargeldlosen Zahlungsverkehr. Als solcher hat es elektronisch Bezahlvorgänge abgewickelt und dabei transferierte Summen dem Empfänger gegen Gebühr garantiert. Wirecard hatte aber nicht auf allen Märkten weltweit eine eigene Lizenz für solche Geschäfte und kooperierte deshalb mit Partnern.

Lügen in den Konzernabschlüssen?

Um diese Drittpartnergeschäfte speziell in Asien geht es in einem zentralen Teil der Anklage. Denn allein auf drei solcher Partner in Dubai, auf den Philippinen und in Singapur entfielen über Jahre hinweg große Teile der bilanziell ausgewiesenen Wirecard-Umsätze sowie zeitweise der gesamte Jahresgewinn des Konzerns. Die Ermittler gehen im Gegensatz zu Brauns Verteidigern davon aus, dass diese Geschäfte nie existiert haben und frei erfunden wurden. Die Wirecard-Konzernabschlüsse der Jahre 2015 bis 2018 seien deshalb falsch. Doch statt wie in den Bilanzen behauptet, hoch profitabel gewesen zu sein, habe der Konzern real tiefrote Zahlen geschrieben, was den drei Beschuldigten mindestens seit dem Jahr 2015 auch bekannt gewesen sei.

Das Landgericht München muss entscheiden

Sehr große Summen seien per Darlehen an dubiose Firmen aus dem Konzern geschleust worden, sagen die Ermittler. Erfolgt sei das oft ohne Sicherheiten, Zweckbindung oder Rückführungszeitpunkt ins Blaue hinein und gegen Widerstände von Untergebenen. Wer derart verschobene rund 225 Millionen Euro abgegriffen hat, ist immer noch nicht bekannt. Jedenfalls wollen die Ermittler beweisen, dass Braun von allen Scheingeschäften wusste und sie auch mit Hilfe seiner Mitangeklagten erfunden hat: des ehemaligen Statthalters von Wirecard in Dubai – nun Kronzeuge –, und des ehemaligen Chefbuchhalters des Konzerns.

Es ist nun am Landgericht München, zu entscheiden, welcher Version des Tathergangs es Glauben schenkt. Ist es die der Staatsanwaltschaft, wofür vieles spricht, kommt es voraussichtlich noch dieses Jahr zum Prozess. Es wird dann dabei nicht nur um ein komplexes Geschehen und viel Geld gehen, sondern im Falle einer Verurteilung auch um bis zu zehn Jahre Haft.