Ein 59-Jähriger soll sich über Jahre an drei seiner Neffen im Alter zwischen sechs und 13 Jahren vergangen haben. Jetzt hat der Prozess vor dem Landgericht Konstanz begonnen. Aber es sind noch viele Fragen offen.
Insgesamt 788 Fälle von schwerem sexuellem Missbrauch an Kindern listete die Vertreterin der Staatsanwaltschaft Konstanz bei der Verlesung der Anklageschrift gegen einen Rentner aus der Raumschaft Triberg vor der vierten Strafkammer am Landgericht Konstanz auf. Der Prozessauftakt endete aber vorzeitig und unvorhergesehen nach der Befragung des 59-jährigen Angeklagten.
Manche Fälle sind verjährt
Mehr als 20 Jahre soll sich der Angeklagte an seinen Neffen vergangen haben. Manche Fälle vor dem Jahr 1995 unterliegen bereits der Verjährung und konnten deswegen nicht mehr angeklagt werden. Mit diesem unglaublichen Ausmaß von sexuellem Missbrauch – von aber immer noch 788 Fällen im Zeitraum zwischen den Jahren 1989 bis 2009 – hatte sich die Strafkammer am Donnerstag in einer ersten Sitzung auseinanderzusetzen. Sollten sich die schwerwiegenden Vorwürfe bewahrheiten, kann dem Angeklagten eine Verurteilung mit mehrjährigem Freiheitsentzug drohen.
Im familiären Umfeld
Die Opfer des heute 59-Jährigen waren drei seiner Neffen im damaligen Alter zwischen sechs und 13 Jahren. Alle Straftaten soll der Mann in der eigenen Wohnung, im Wald oder in einem Schrebergarten verübt haben. Häufig auch zweimal in der Woche sollen seine Neffen seinen sexuellen Handlungen ausgesetzt gewesen sein.
Die damals sechs und 13 Jahre alten Kinder sollen vom Angeklagten oft Zuwendungen in Form von Spielsachen, Zigaretten oder anderen Geschenken erhalten haben. Mit zunehmendem Alter der Kinder soll sich der Angeklagte zudem bei seinen sexuellen Handlungen an den Kindern noch gesteigert haben.
Ausführliche Befragung
Über eine Stunde erzählte der 59-Jährige von seinem bisherigen Leben. Er tat sich schwer in der Erinnerung an Jahreszahlen oder an bestimmte Ereignisse. Während er sich bei der sorgsamen Befragung durch den Vorsitzenden Richter äußerte, saß der gebrechlich wirkende Mann nach vorne gebeugt an der Anklagebank und war ab und an nur schwer zu verstehen.
Blick auf bewegtes Leben
Mit fünf Geschwistern war er mit seiner alleinerziehenden Mutter in der Raumschaft Triberg aufgewachsen und hatte nach der Grundschule bis kurz vor seinem 18. Geburtstag eine Förderschule besucht. Danach arbeitete er bei verschiedenen Firmen im Raum Triberg. Aus einer Beziehung hat er zwei Kinder, zu denen aber seit deren Kindheit kein Kontakt mehr besteht. Allerdings muss er heute noch für Unterhaltsvorschüsse monatliche Raten abstottern.
Die Strafkammer nahm sich ausführlich Zeit, detailliert die persönlichen Verhältnisse sowie die Lebensabläufe des 59-Jährigen zu ergründen. Dabei kam auch zur Sprache, dass er wohl als Kleinkind einen landwirtschaftlichen Schopf angezündet hatte. Wegen Alkohols am Steuer hatte er zweimal seinen Führerschein verloren.
Vorsitzender Richter unterbricht
Bevor sich die Strafkammer mit den einzelnen Tatvorwürfen oder der Vernehmung von Zeugen und den Opfern befassen konnte, wurde die Hauptverhandlung durch den Vorsitzenden Richter Arno Hornstein für etwa eine Stunde unterbrochen, um mit dem Pflichtverteidiger Daniel Zimmet, dem Vertreter der Nebenklage Rudolf Hirt sowie der Vertreterin der Staatsanwaltschaft unter Ausschluss der Öffentlichkeit ein Rechtsgespräch führen zu können. Nach dieser Prozessunterbrechung führte Arno Hornstein aus, dass die Hauptverhandlung bis auf Weiteres ausgesetzt wird.
Psychiatrisches Gutachten
„Die Kammer hat Zweifel, ob der Angeklagte die Tragweite der angeklagten Taten versteht, und somit wäre ein mögliches Geständnis nur schwer entgegenzunehmen“, so die Begründung des Vorsitzenden Richters. Deshalb ist es für die Strafkammer unerlässlich, dass der 59-jährige Angeklagte von einem psychiatrischen Gutachter untersucht wird, bevor der auf drei Verhandlungstage ausgelegte Prozess fortgeführt werden kann. „Für die Kammer ist von Bedeutung, wie die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten und die Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln, ausgeprägt ist.“
Mit dieser Erklärung endete der erste Prozesstag. Ein Fortsetzungstermin wurde noch nicht festgelegt. Bis zu einem endgültigen Urteil gilt für den 59-Jährigen weiter die Unschuldsvermutung.
Viele offene Fragen
Bei einer Fortführung des Prozesses können dann möglicherweise auch noch die vielen offenen Fragen – wie es unter anderem zur Offenbarung der Taten gekommen ist oder warum der lange Zeitraum des Missbrauchs überhaupt möglich wurde, ohne dass sich irgendwelche Indizien oder Verdachtsmomente bei den betroffenen Kindern gezeigt hatten – aufgeklärt werden.