Das Rentenpaket sei „kein ungedeckter Scheck auf die Zukunft“, sagt Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD). Foto: dpa

Andrea Nahles ist am Ziel. Am Freitag wird im Bundestag das Rentenpaket der großen Koalition beschlossen. Die Ministerin hat mit ihren Themen den Start der Regierung maßgeblich bestimmt.

Andrea Nahles ist am Ziel. Am Freitag wird im Bundestag das Rentenpaket der großen Koalition beschlossen. Die Ministerin hat mit ihren Themen den Start der Regierung maßgeblich bestimmt.

 

Berlin - Die Inszenierung des Selbstlobs ist eine hohe politische Kunst. Aber die großkoalitionären Volksvertreter haben wirklich keine Probleme damit. An diesem Freitag wird der Plenarsaal des Bundestags widerhallen von all den Beschwörungen der Leistungskraft, Einigkeit und Handlungsstärke der Regierung und der sie tragenden Parteien. Schließlich geht es um das Rentenpaket, und da können sowohl Union wie SPD prachtvolle Trophäen vorweisen – Mütterrente die einen, Rente mit 63 die anderen.

Man muss Andrea Nahles zugute halten, dass sie sich durchaus zurückgehalten hat. Die 43-Jährige hat nicht triumphiert. Aber jeder in ihrer Umgebung, weiß zu berichten, wie zufrieden sie gerade ist. Mit dem Rentenpaket. Mit sich. Das muss man ihr lassen: Wenn es jemanden aus der Ministerriege gibt, der die ersten Monate der neuen Regierung geprägt hat, dann ist es die Tochter eines Maurermeisters aus Rheinland-Pfalz. Rente und Mindestlohn sind ihre Themen, und sie haben die politische Debatte beherrscht und tun es noch. So hat Andrea Nahles sich das vorgestellt. Genau so.

Sie war die Erste aus dem dritten Kabinett Merkel, die fertige Gesetzentwürfe zu Kernvorhaben der großen Koalition präsentieren konnte. Schon im Januar preschte sie mit den Rentenplänen vor. Dass das alles nicht mehr als ein erster Rahmen war, der in der parlamentarischen Arbeit gefüllt werden musste, hat sie nicht gestört. Dass sie zum Zeitpunkt der öffentlichen Vorstellung noch überhaupt kein plausibles Konzept darlegen konnte, wie bei der Rente mit 63 eine drohende Frühverrentungswelle zu verhindern wäre – auch das war kein Problem. Das Thema war gesetzt. Der Punkt gewonnen. Nicht in erster Linie für sie selbst. Aber für ihre Partei, die SPD.

In diesem Ehrgeiz wirkte noch die Rolle der Generalsekretärin nach – der Job, den sie inne hatte bis Bundeskanzlerin Angela Merkel sie zur Chefin des Ressorts machte, das über rund 40 Prozent der Ausgaben des Bundes entscheidet. Anders als einst der frühere SPD-Chef und Arbeitsminister Franz Müntefering hält sie es nicht für unfair, wenn Politiker an ihren Wahlversprechen gemessen werden. Die SPD sollte von Beginn an das Heft des Handelns in der neuen Koalition an sich reißen. Das war der Plan. Er hat funktioniert. Noch zahlt sich das nicht aus für die Sozialdemokraten, aber das ist ein anderes Thema.

Ach ja, Müntefering. Da war doch was. 2005 kandidierte Nahles, euphorisch über das Ende des Schröderismus in der SPD, für das Amt der Generalsekretärin – gegen den Willen des Parteichefs Müntefering. Sie gewann, „Münte“ trat zurück. Damit hatte sie nicht gerechnet. Aber sie reagierte. Als Königsmörderin wollte sie keine Parteikarriere machen. Sie verzichtete auf das Amt.

Vielleicht muss man das nicht überinterpretieren. Aber diese Mischung ist ein Erkennungsmerkmal: Provokation und Flexibilität. Die hatte sie schon gezeigt, als Gerhard Schröder sie – als Zugeständnis an die rebellierenden Linken – 2003 ins Parteipräsidium holte. Nahles hat das akzeptiert. Sie ist nicht dogmatisch. Das nötigt auch vielen Pragmatikern in der SPD Respekt ab.

Diese gewisse Geschmeidigkeit hat ihr auch in den herbstlichen Koalitionsverhandlungen genutzt. „Sie macht das fair und konstruktiv“ lobten die Unionsunterhändler damals ihr Auftreten – nicht ohne Verwunderung. Da war Nahles längst auf den Posten der Arbeitsministerin fixiert. Sie stammt aus einer Handwerkerfamilie: Der Vater ist Maurer, der Großvater Schmied. Als sie von 2002 bis 2005 nicht mehr im Bundestag war, arbeitete sie im Hauptstadtbüro der IG Metall. Da wirkt der Ministerjob als logische Fortsetzung eines Weges. Provokation und Geschmeidigkeit – vermutlich nicht ganz zufällig auch zwei Attribute, die man ihrer Amtsvorgängerin Ursula von der Leyen (CDU) zuschreiben kann – kennzeichneten auch den Weg zum fertig geschnürten Rentenpaket.

Dass sie zunächst keine Antwort auf die Problem der Frühverrentung hatte, sollte nicht zum Schwachpunkt werden. Sie überspielte ihre objektiv schwierige Lage mit einer forschen Attacke. Sollten doch Unternehmer, die ihre Mitarbeiter mit 61 entließen, die Sozialbeiträge weiter abführen. Das war ihr Vorschlag. Er war natürlich inakzeptabel für die Union, aber er überspielte die ministerielle Ratlosigkeit. Unter dem Schutz der so entstandenen medialen Geräuschkulisse ließ sich weiterverhandeln.

Dass am Ende das Kanzleramt maßgeblich am letztlich erzielten Kompromiss mitarbeitete, fiel da gar nicht ins Gewicht. Genau so wenig wie der vorsichtige Einstieg in die Flexi-Rente, die ein Zugeständnis an den Wirtschaftsflügel der Union ist. Im Gegenteil. Nahles steht bei der Kanzlerin als Teamspielerin hoch im Kurs.

Das zählt. Und es ist nicht so schlimm, dass nicht alle überzeugt sind. Nicht die ganz Linken in der SPD, die mit ihren – wenigen – Ausnahmen beim Mindestlohn hadern. Und nicht die wenigen störrischen Mittelständler in der Union, die heute gegen das Rentenpaket der eigenen Regierung stimmen werden. Dazu zählt der Unionsabgeordnete Christian von Stetten (Schwäbisch Hall/Hohenlohe).

„Ich habe schon während den Koalitionsverhandlungen deutlich gemacht, dass ich die Pläne von Ministerin Nahles nicht akzeptieren werde. Deshalb ist jetzt auch keiner überrascht, dass ich konsequent bei der Bundestagsabstimmung bin“, sagte von Stetten unserer Zeitung. Die Expertenanhörung im Deutschen Bundestag habe ihm eines gezeigt: „Bei der Rente mit 63 können wir entweder den Koalitionsvertrag eins zu eins umsetzten oder den Generationenvertrag zukunftsfest machen. Mir ist der Generationenvertrag wichtiger.“

Nahles kann das übergehen. Ihr ist strategisch wichtiger, dass sie die Bande zu den Sozialpolitikern der Union enger geknüpft hat. Die sehen zwar den Sinn der Rente mit 63 auch nicht flächendeckend ein, loben aber die Gesprächsfähigkeit der Ministerin. Das ist doch was. Und neunzig Prozent der Bürger sind mit der Rentenpolitik der Regierung, also der Ministerin, ohnehin einverstanden. Außerdem wird am Sonntag gewählt. Kein schlechter Augenblick für die Verabschiedung des Projekts. Wenn das kein Grund zum Selbstlob ist. . .