Verleger Sebastian Guggolz (links) und Übersetzer Berthold Forssmann haben den lettischen Schriftsteller Anšlavs Eglītis und sein Werk „Schwäbisches Capriccio“ vorgestellt. Foto: Katja Weiger-Schick

Bekanntschaft mit einem speziellen Stück Zeitgeschichte, dargeboten aus einer nicht weniger speziellen Perspektive, machten in der „Nacht der Bibliotheken“ die Gäste der Stadtbücherei: Ein lettischer Exilant beschrieb das Tailfingen der Nachkriegszeit.

Dass der Autor nicht selbst las, versteht sich: Anšlavs Eglītis, 1906 in Riga geboren, konnte sein „Schwäbisches Capriccio“ schlecht persönlich in der Stadtbücherei in Ebingen servieren, denn er war 1993 in Los Angeles gestorben.

 

An seiner Stelle lasen Berthold Forssman und Sebastian Guggolz, Übersetzer respektive Verleger des Werks, aus der launigen Geschichten- und Anekdotensammlung, dem Ertrag von fünf Tailfinger Exiljahren, in denen Eglītis mehr als genug Gelegenheit gehabt hatte, die Wesensart seiner Gastgeber zu studieren. Wobei Guggolz selbst Anekdoten zu bieten hatte: Das Kleingeld für seinen inzwischen preisgekrönten Verlag hat er in der ZDF-Show „Der Quiz-Champion“ gewonnen – und es in die Herausgabe unverdient vergessener literarischer Werke aus Nord- und Osteuropa investiert.

Ein Stück von scherzhaftem Charakter

Beispielsweise ins „Schwäbische Capriccio“. In der klassischen Musik ist ein Capriccio ein Stück von scherzhaftem Charakter, das altbekannte, tradierte Formen ignoriert und sich seine eigenen schafft.

Der Titel passt: Das „Schwäbische Capriccio“ ist ein Episodenroman mit wechselnden Handlungssträngen und Protagonisten, ohne durchgehenden Plot – und gerade deshalb ein umso stimmigeres Sittengemälde des Talgangs der letzten Kriegstage und der ersten Nachkriegsjahre.

Anšlavs Eglītis war 1944 vor der Roten Armee aus seiner Heimat geflohen und auf dem Weg in die Schweiz auf der Südwestalb gestrandet; Peteris Drusts, seinen Protagonisten und sein Alter Ego, verschlägt es in ein Städtchen mit Namen Pfifferlingen.

Dass sich hinter dem Pseudonym Tailfingen verbirgt, merkt der Leser schnell, und zwar schon an den Namen: Neben Frau Bitzer, dem wunderschönen Phantom mit der Taschenlampe, gibt es jede Menge Ammanns, Conzelmanns, Gonsers und Mautes, rotwangige schwäbische Schaffer, die vom um sie tobenden Krieg bislang nicht viel mitbekommen haben, brave Bürger und manchmal auch Schildbürger, die knitz, aber maulfaul sind – gelegentlich tragen sie ihr Herz aber auch auf der Zunge und sind mit schlauer Tatkraft gesegnet. Und immer gut für urkomische Begegnungen und manches absurde Missverständnis – den Roman zeichnet ungeachtet der schwierigen Zeitläufte eine vergnügte Ironie und ein wohldosierter lakonischer Humor aus.

Von hemdsärmeliger Gastfreundschaft

Wobei zuerst einmal Distanz zu überwinden ist: Peteris Drusts, der Großstädter von der Ostsee, erlebt Pfifferlingen anfangs als „Krähwinkel“, doch mit der Zeit verändern sich Wording und Tonalität. Drusts lernt die hemdsärmelige Gastfreundschaft auf der Alb goutieren – „Niemand weiß ein Nachtquartier mehr zu schätzen als ein Flüchtling “ – und schlägt nach und nach Wurzeln. Eglītis und seine Frau Veronika blieben immerhin fünf Jahre in Tailfingen. „Es hat ihnen offenbar gefallen“, mutmaßt Übersetzer Forssman, der selbst zusammen mit Sebastian Guggolz am Mittag in der Umgebung unterwegs gewesen war. „Es ist, als würde man durch die Kulisse des Romans laufen“, strahlte der Verleger.

Übrigens dürfte auch Eglītis’ Frau Veronika Spuren in der Region hinterlassen haben: Sie arbeitete in Tailfingen als Malerin und Illustratorin; es ist nicht auszuschließen, dass es in der Stadt heute noch Werke von ihr gibt. Sie und ihr Mann haben ihre Heimat Lettland übrigens nie wieder gesehen.