Stolpersteine erinnern an Nazi-Opfer. Nicht jeder will sie vor seinem Haus haben.
Stuttgart - Man wohnt schön in der Hohentwielstraße, oberhalb des Stuttgarter Südens. Halbhöhe. Doch für die Eigentümer hat das Haus 146 b neuerdings einen Makel. Das Ehepaar Erbslöh fühlt sich durch zwei Stolpersteine gestört. Sie erinnern an die früheren Bewohner Max und Mathilde Henle, die von den Nazis ermordet wurden. Die Stadt soll diese aus dem Gehweg vor ihrem Haus entfernen, fordern die Erbslöhs. Am Donnerstag verhandelte das Amtsgericht Stuttgart die Klage. Am 17. März will Richterin Claudia Isbrecht das Urteil verkünden.
Nicht allen gefällt es, wie Künstler Gunter Demnig an die Nazi-Opfer erinnert. Er hat die Ermordeten und Totgeschwiegenen dem Vergessen entrissen, vor ihren ehemaligen Wohnhäusern Stolpersteine verlegt. Die von Paten bezahlten Steine sind aus Beton gegossen, an ihrer Oberseite ist eine zehn mal zehn Zentimeter große Messingplatte befestigt, in die er mit Hammer und Schlagbuchstaben "Hier wohnte" Name und Schicksal der Menschen einstanzt.
27.000 Steine verlegte er in Europa, gut 600 in Stuttgart. Darunter auch die Steine für Max und Mathilde Henle. Sie wohnten in der Hohentwielstraße 146 b, in einer Wohnung im Erdgeschoss. Und starben 1942, Max Henle während der Deportation, seine Frau im KZ in Theresienstadt. Am 8. Oktober 2010 lässt Demnig die Steine in den Gehweg ein. Was die Besitzer des Hauses davon halten, zeigen sie mit einem Transparent: "Wir sind gegen diese Stolpersteine!"
"Wo bitte ist die Eigentumsverletzung?"
So vehement, dass sich erstmals ein Gericht in Stuttgart mit den Stolpersteinen beschäftigen muss. "In Köln hat ein Anwalt gegen das Verlegen geklagt. Er behauptete, sein Haus habe durch zwei Steine 100.000 Euro an Wert verloren", erinnert sich Demnig. Die Klage wurde abgewiesen. In Stuttgart gab es zwar mitunter Murren, doch letztlich einigte man sich stets. Dies versuchte auch Bezirksvorsteher Rupert Kellermann. "Leider war ich nicht erfolgreich."
Also traf man sich gestern vor Gericht. Frau Erbslöh war erschienen, wollte aber nicht mal ihren Vornamen nennen und ließ ihre Anwältin Sarah Haug reden. Das Ehepaar, das in Ludwigsburg lebt, fürchte eine Wertminderung ihres Hauses, "viele Passanten würden fragen", was dort geschehen sei. Zudem sei das Messing der Platten sehr glatt und besonders bei Regen ein erhöhtes Risiko für die Passanten. Und die Steine würden nicht an der richtigen Stelle liegen. Denn das Ehepaar Henle sei erst in die Koppentalstraße 3 gezogen und von dort deportiert worden. Dies sei der letzte freiwillige Wohnort des Paares, dort müssten die Stolpersteine verlegt werden.
Die Initiative Stolperstein-Süd hat aus Akten und Archiven das Leben und Sterben der Henles nachvollziehen können, fein säuberlich protokolliert von den Tätern. "1939 ziehen Max und Mathilde Henle, 65 und 61 Jahre alt, ins Haus der Witwe Erna Bickert, Mathildes Schwägerin. Diese wird gezwungen, andere Juden bei sich aufzunehmen." Ein "Judenhaus", so nennt man die Häuser, in denen die Juden fortan leben müssen. "Von freiwillig kann keine Rede sein: Juden bekamen keine Wohnung mehr."
Gut 70 Mitglieder der Initiative verfolgen die Verhandlung, und müssen an sich halten, um nicht lautstark zu protestieren. Sie wollen, dass über das Schicksal der Henles gesprochen wird. Doch es geht ganz nüchtern um den Paragraphen 1004 des BGB. Der sei "die einzig mögliche Anspruchsgrundlage" für eine Klage, sagt Richterin Isbrecht. Er lautet: "Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen."
Rechtsanwalt Roger Bohn vertritt die Stadt und fragt sich: "Die Stadt hat einen Gehweg, dort hat ein Künstler zwei Platten verlegt. Wo bitte ist die Eigentumsverletzung?" Die Stolpersteine seien ein Kunstwerk, und somit vom Grundgesetz geschützt.