21. Februar 2025: Ein Polizist bewacht das abgesperrte Holocaust-Mahnmal in Berlin, nachdem ein Mann in der Gedenkstätte angegriffen und schwer verletzt wurde. Foto: AP/dpa/Markus Schreiber

Die jüngste Häufung von Anschlägen und Amoktaten sorgt für Verunsicherung. Kriminologen halten die Taten für vermeidbar mit besserer polizeilicher Gefährdungseinschätzung. Und einer anderen Debatte.

Aschaffenburg, Mannheim, München, Berlin: Nach den Amoktaten und Anschlägen der vergangenen Monate hat die Kriminologin Britta Bannenberg Politiker aufgefordert, verbal abzurüsten. Anstatt die Tat eines Ausländers zum Anlass für eine schrille Migrationsdebatte zu nehmen, wäre es besser, endlich Strukturen für eine bessere polizeiliche Gefährdungseinschätzung möglicher Amoktäter zu schaffen, sagt die Rechtswissenschaftlerin von der Universität Gießen.

 
Britta Bannenberg: „Ich rate zur Zurückhaltung im Ton Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Viele solcher Taten seien vermeidbar, wenn man die entsprechenden Hinweise und Andeutungen richtig zu deuten wisse. „Ich rate zur Zurückhaltung im Ton“, fügt die Rechtswissenschaftlerin von der Universität Gießen hinzu.

31. Januar 2025: In unmittelbarer Nähe zum Tatort des tödlichen Messerangriffs in Aschaffenburg ist ein Plakat abgelegt worden: „Trauern aus Liebe nicht aus Hass! Weniger Wahlkampf mehr Mitgefühl!“ Foto: dpa/Andreas Arnold

Täter suchen maximale Aufmerksamkeit

Ein weiterer möglicher Auslöser für Amoktaten sei eine sensationsheischende Berichterstattung über Gewalttaten, wobei Nachahmungseffekte nicht auf das eigene Milieu beschränkt seien. „Der Amoktäter lässt sich vom Islamisten anregen, und der Rechte wird vom Islamisten inspiriert“, warnt Bannenberg. Allen einzeln handelnden Tätern gehe es um „maximale Aufmerksamkeit“.

Rowenia Bender und Kristin Weber vom Zentrum für kriminologische Forschung Sachsen an der TU Chemnitz warnen: „Eine sensationsgeleitete oder vorschnelle Berichterstattung kann bei empfänglichen Personen dazu führen, dass sie in einem gleichen oder ähnlichen Modus Operandi eine solche Tat ausführen könnten.“

Experten warnen vor sensationsgeleiteter oder vorschneller Berichterstattung in den Medien. Foto: dpa/Hendrik Schmidt

Trigger-Effekte auf potenziell Gewaltbereite

Grundsätzlich wirkten solche Trigger-Effekte auf Menschen, die bereits mit dem Gedanken spielten, eine Gewalttat zu begehen, sagte Bannenberg. „In den letzten sechs Monaten vor der Tat machen diese Menschen Andeutungen“, erklärt die Forscherin.

Ihr „Beratungsnetzwerk Amokprävention“ richtet sich an Menschen, die sich mit ihren Beobachtungen über Menschen, die sich im Netz oder in ihrem Umfeld auffällig verhalten, entweder nicht selbst an die Polizei wenden wollen oder sich von den Beamten nicht ernst genommen fühlen. Aktuell sei „wirklich mehr Dampf im Kessel“, warnt sie. Mit durchschnittlich zwei Anfragen pro Tag sei das Netzwerk momentan stärker gefragt als sonst.

21. Dezember 2024: Ein Einsatzfahrzeug der Polizei steht auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg. Foto: dpa/Matthias Bein

Kriminologin weist auf Risikofaktoren hin

Britta Bannenberg hat nach der Analyse einer Vielzahl von Gewalttaten eine Reihe von Risikofaktoren identifiziert:

  • Junge Amoktäter seien meist männlich, jünger als 24 Jahre, sozial unauffällig, psychopathologisch auffällig, nicht impulsiv.
  • Häufig deuteten sie Tatpläne im Internet oder im sozialen Umfeld an, wobei direkte Drohungen die Ausnahme seien.
  • Ältere Amoktäter hegten häufig Suizidgedanken.
  • Bei einem Drittel von ihnen spiele Alkohol- beziehungsweise Drogenmissbrauch eine Rolle.
  • Überdurchschnittlich häufig finde man in dieser Gruppe unter anderem narzisstische Persönlichkeitsstörungen, bestimmte psychische Erkrankungen sowie Menschen, die ein sozial zurückgezogenes Leben führten.
13. Februar 2025: Ein Auto wird am Einsatzort auf einen Abschleppwagen gehoben. In der Münchner Innenstadt ist ein Fahrzeug in eine Menschengruppe gefahren. Foto: dpa/Matthias Balk

Psychologische Gutachter sind Mangelware

Die Polizeibehörden der Länder sind, was den Umgang mit Menschen in psychischen Ausnahmesituationen angeht, unterschiedlich gut aufgestellt. Vor allem auf dem Land sind psychologische Gutachter oft nicht kurzfristig greifbar, schon gar nicht nachts oder am Wochenende.

Ohne deren Hilfe sei es aber für Polizeibeamte oft schwierig, einzuschätzen, ob ein schimpfender Bürger, der merkwürdige Theorien verbreitet oder unterschwellige Drohungen ausspricht, eine Gewalttat vorbereitet oder nur Dampf ablassen will.

Info: Attentat, Anschlag, Amok, Terror

Attentat
Hierbei handelt es sich im engen Sinne um politisch und ideologisch motivierte Anschläge auf das Leben eines einzigen Menschen. Bei den Opfern handelt es sich oft um Personen, die im öffentlichen Leben stehen. Der Begriff leitet sich vom lateinischen Wort „attentare“ ab, was „versuchen“ bedeutet.

Attentäter
Es ist in den Sprachgebrauch übergegangen, auch Täter von Anschlägen auf mehrere Menschen als Attentäter zu bezeichnen. Dabei spielt ein politisches Motiv oder eine Ideologie immer eine wichtige Rolle. Vor allem findet diese Bedeutung in Bezug auf islamistisch motivierte Taten Anwendung. So spricht man zum Beispiel von terroristischen Attentätern, wenn diese auf Angehörige eines ihnen verhassten Systems oder einer Religion zielen.

Selbstmordattentat
Bei einem Selbstmordattentat handelt es sich um ein Attentat, bei dem ein oder mehrere Täter ihren eigenen Tod in Kauf nehmen. Nach der Tat von Heidelberg hat sich der Täter nach Angaben der Polizei erschossen. Man kann dennoch nicht von einem Attentat oder Selbstmordattentat sprechen, da der Täter wahrscheinlich nicht politisch oder ideologisch motiviert war.

Anschlag
Die Begriffe Attentat und Anschlag haben dieselbe Bedeutung, wobei ein Anschlag meist eine Tat mit größerem Ausmaß meint. Ein Anschlag kann im Gegensatz zum Attentat eine Beschädigung oder Zerstörung von Objekten oder Werten bezeichnen. Deshalb spricht man zum Beispiel von einem „Anschlag auf die Pressefreiheit“.

Amoklauf
Amok geht auf den malaiischen Begriff „amuk“ zurück, der „wütend“ oder „rasend“ bedeutet. Bei Amokläufen oder -fahrten handelt es sich um Angriffe auf mehrere Menschen mit Tötungsabsicht. Beim Amok geht man zumeist von Tätern aus, die psychisch schwer gestört sind. Zum Gesundheitszustand des Täters von Heidelberg ist bislang noch nichts bekannt. Bei einem Amoklauf bewegt sich der Täter zu Fuß, bei einer Amokfahrt mit einem Fahrzeug.

Terror
Terror, Terrorismus, Terroranschlag, Terrorakt, Terroristen: Alle diese gehen auf das lateinische Wort „terrere“ zurück, was übersetzt „erschrecken“ oder „einschüchtern“ bedeutet. Der Begriff des Terrors wird für verschiedene Verbrechen verwendet. Oft werden mit Terror aktuell islamistische Täter verbunden. Dabei ist der Begriff breit gefächert und findet unterschiedliche Anwendung. So können Attacken auf Zivilisten mittels Bomben, Attentate auf Politiker oder die Zerstörung von Gebäuden als Terror bezeichnet werden.

Terroristen
Personen, von denen Terror ausgeht, werden als Terroristen bezeichnet. Sie sind politisch-ideologisch oder politisch-religiös motiviert und sind oft Mitglied einer Organisation oder Zelle. Der Begriff wird oft politisch instrumentalisiert.

Attacke
Wenn das Motiv und die Details zu einer Tat und Täter nicht bekannt sind, kann man grundsätzlich immer von einer Attacke sprechen. Der Begriff fasst alle genannten Fälle zusammen. Egal ob es sich um Terroranschläge, Amokläufe oder Selbstmordattentate handelt: Alle sind eine Attacke, die ein bestimmtes Ziel verfolgt.