Ralf Kleber, Deutschland-Chef von Amazon, experimentiert mit der Zustellung von Paketen. Foto: Amazon

Amazon will die Zustellung seiner Waren verbessern. Große Chancen räumt Deutschland-Chef Ralf Kleber im Interview der Zustellung direkt in die Wohnung ein. Der Bote kann mit einem Code die Tür öffnen, während ihn aus der Ferne der Kunde via App und vernetzter Kamera überwacht.

Stuttgart - Die Aussicht von Ralf Klebers gläsernem Büro zeigt einen Technologiepark im Münchner Norden. Viele junge Menschen, viel Glas. An der Wand eine CD-Sammlung mit vielen Rocktiteln und ein Schal des 1. FC Kaiserslautern, den FCK-Fan Kleber ehrenamtlich berät. Dass dieser derzeit das Schlusslicht der zweiten Liga ist, kann dem Amazon-Deutschland-Chef kaum gefallen. In der Welt des Internets setzt sich meist nur der Spitzenreiter durch. Lieber weist Kleber auf den vernetzten Lautsprecher Echo hin, dessen Sprachassistentin Alexa auch in vielen deutschen Wohnungen kommuniziert. Alexa ist die Nummer 1 unter den digitalen Assistenten. Kleber deaktiviert sie, damit sie sich nicht unbeabsichtigt in das Gespräch einschaltet.

Herr Kleber, werden Sie Weihnachtsgeschenke in Zukunft auch in stationären Amazon-Läden einkaufen können?
Alles ist denkbar – wenn es der Kunde will. Bislang betreibt Amazon stationäre Läden in den USA, für Deutschland gibt es keine Ankündigungen. Wenn wir glauben, dass wir mit einem stationären Konzept Kunden einen Mehrwert bieten können, dann schauen wir uns das an – in Deutschland wie auch in anderen Ländern, in denen wir aktiv sind.
Damit ist Amazon nicht alleine. Immer mehr reine Online-Händler interessieren sich für Läden in den Innenstädten. Warum ist Ihnen der stationäre Handel plötzlich so wichtig?
Amazon ist Vielfalt ist wichtig. Der Anteil von Online-Shops am Einzelhandelsumsatz ist in den vergangenen Jahren sicherlich größer geworden. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass bis zu 90 Prozent der Waren in Deutschland immer noch im Offline-Handel gekauft werden. Wir reagieren also darauf, dass Kunden viele verschiedene Kauferlebnisse haben wollen. Die Kunden wählen aus den Verkaufswegen denjenigen aus, der in einer bestimmten Situation passt. Das kann an einem Montagmorgen ein anderer sein als an einem Mittwochabend. Und hängt natürlich auch vom Produkt ab: ob Toilettenpapier oder Handtasche. Diesen Bedürfnissen wollen wir gerecht werden. Zum Beispiel auch durch Amazon Fresh.

Mit Fresh macht Amazon den Supermärkten Konkurrenz

Bei dem Konzept können Kunden im Netz Lebensmittel bestellen. Sie haben den Online-Supermarkt nach Berlin und Hamburg nun auch in München gestartet.
Wir bieten über 300 000 Artikel und liefern in einem gewählten Zweistunden-Zeitfenster aus. In München beispielsweise kooperieren wir mit populären lokalen Händlern, etwa vom Viktualienmarkt, sowie mit der Hofpfisterei oder Dallmayr. Wir kombinieren also regionale Besonderheiten mit den Produkten des täglichen Bedarfs.
Wann startet Amazon den ersten Online-Supermarkt in Stuttgart?
Wir gehen Schritt für Schritt vor. Kunden schätzen an Amazon am meisten, dass es funktioniert. Dabei dürfen wir auch bei Fresh keine Abstriche machen, deshalb entwickeln wir uns ohne Eile weiter. Die bisherigen Kundenreaktionen sind sehr positiv.
Bei den Lieferungen ist das nicht immer der Fall: Der Paketdienst hinterlässt eine Karte im Briefkasten, eine Wunschzeit der Lieferung zu erhalten ist schwer. Welche Lösungen bietet Amazon hier künftig an?
Die sogenannte letzte Meile ist in der Tat eine große Herausforderung. Daran arbeiten wir seit unserem Tag eins in Deutschland vor 19 Jahren. Früher konnten wir nur sagen, dass ein Paket versandt wurde – aber nicht, wann es ankommt. Heute können wir oft den Zustellzeitpunkt auf einige Stunden genau eingrenzen. Unser Ziel ist es, dass das Paket direkt zum Kunden kommt, und nicht der Kunde zum Paket. Dafür experimentieren wir intensiv.

Auf dem Land hält Kleber die Lieferung per Drohne für sinnvoll

Haben Sie Beispiele?
Wir liefern Pakete in Schließfächer, die wir in Wohnanlagen einrichten. Bei vielen Geschäften haben wir Paketabholstationen – unsere Amazon Locker, wo wir unter anderem mit Shell und O2 kooperieren. Und Amazon experimentiert bereits auch mit Drohnen.
Wann könnte es die Zustellung durch Drohnen geben?
In Cambridge (Großbritannien) liefert Amazon bereits im Testbetrieb per Drohne aus. Die Technik ist schon ausgereift, aber der Luftraum ist auch in Deutschland streng reguliert, zurecht. Das Bild, dass über Stuttgart Drohnen kreisen, ist allerdings ein falsches. Im ländlichen Bereich hingegen macht eine Lieferungen per Drohne sicher Sinn – auch, weil dort eine schnelle, kostengünstige Auslieferung mit dem Auto in kurzen Zeitfenstern nicht machbar ist.
Sie versuchen auch, Pakete direkt in den Wohnungen abzustellen.
Ich denke, dass die Verbreitung sogenannter vernetzter Häuser entscheidend dabei helfen kann, das Problem der letzten Meile zu lösen. Bei diesen Smart Homes ist es möglich, dass verschiedene Funktionen im Haus wie das Betätigen von Lichtschaltern, die Steuerung der Heizung oder das Schließen von Rollläden von der Ferne aus über das Smartphone gesteuert werden. Amazon hat eine Smart-Home-Technologie entwickelt, die auch die Haustüre intelligent macht. Mit dem smarten Türschloss Amazon Key können Kunden Pakete direkt hinter der Haustüre abstellen lassen. Wir testen die Anwendung zurzeit in Los Angeles. Der Paketbote bekommt dabei einmalig einen Code zugesandt, mit dem sich die Tür öffnen und das Paket abstellen lässt. Dabei kann der Kunde den Boten mit einer vernetzten Kamera und einer App überwachen. Auf diese Weise kann man übrigens auch Putzdienste oder Hundebetreuer ins Haus lassen.

Amazon möchte Paketpostfächer in den Häusern

Das wird nicht jedem gefallen.
Muss es ja auch nicht, es ist nur eine von ganz vielen Möglichkeiten, die uns die Zukunft bietet. Vielleicht ist es ein anderer Ansatz, dass sich in Zukunft der Wohnungsbau in den Ballungsräumen verändert. Wie wäre es zum Beispiel, wenn es in jeder Wohnanlage für Zusteller zugängliche Schließfächer gäbe? Das entspräche den Einkaufsgewohnheiten unserer Zeit. Dann müssten die Zusteller nicht in jeder Etage klingeln und die Mieter könnten sich das Paket jederzeit abholen.
Amazon plant in Tübingen ein Research Center neben dem Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme mit 100 Stellen in den kommenden fünf Jahren. Warum zieht es Sie nach Baden-Württemberg?
Für unser Unternehmen steht Innovation an erster Stelle. Dafür suchen wir über die USA hinaus auch vor Ort permanent nach neuen innovativen Partnern, mit denen wir zusammenarbeiten können. Führende Wissenschaftler wollen vor allem schnelle Resultate ihrer Forschung sehen. Und dabei kann ein Partner wie Amazon hilfreich sein, denn unser Unternehmen bringt die Fragen aus der Praxis in die Wissenschaft. Und Amazon profitiert wiederum von der Kompetenz, die das Institut im Bereich der Künstlichen Intelligenz aufgebaut hat. Unser Forschungszentrum in Tübingen wird durch zwei Max-Planck-Professoren unterstützt, die weltweit führend auf ihren Gebieten sind und zu wichtigen Fragen der Künstlichen Intelligenz Erkenntnisse gesammelt haben. Dabei geht es etwa um die Frage, wie Algorithmen Konsumverhalten voraussagen können, um beispielsweise genügend Waren im Logistikzentrum verfügbar zu haben.
Bedeutet die Tatsache, dass Max-Planck-Forscher nun für Amazon arbeiten, dass Sie jetzt durch öffentliche Gelder subventioniert werden?
Andersrum wird ein Schuh draus. Wir unterstützen die Max-Planck-Gesellschaft über den Amazon Research Award jährlich mit 420 000 Euro. Zusätzlich werden wir 1,25 Millionen Euro investieren, um neue Forschungsgruppen der Cyber-Valley-Initiative in Tübingen zu finanzieren.

Weitere Kooperationen in der Region Stuttgart sind möglich

Die Initiative, an der sich unter anderem Bosch und Daimler beteiligen, möchte in der Region Stuttgart die Forschung zum Zukunftsthema Künstliche Intelligenz stärken. Können Sie sich eine weitere Zusammenarbeit in der Region Stuttgart vorstellen?
Wenn sich eine Gelegenheit für eine Kooperation mit einem der weltweit agierenden Unternehmen in der Region Stuttgart gibt – warum nicht?
Sie haben in den vergangenen Jahren immer mehr digitale Geschäftsbereiche erschlossen. Welche werden die nächsten sein?
Der vernetzte Lautsprecher mit dem Cloud-basierten Sprachdienst Alexa ist momentan der wichtigste. Mit Sprache kann man sich schneller und intuitiver Zugang zu Wissen und Diensten verschaffen, als wenn man Befehle tippen müsste. Deshalb kommt Alexa ja unter anderem bei BMW oder Seat zum Einsatz, weil man sich dennoch auf den Verkehr konzentrieren kann, ohne auf Knöpfen herumzudrücken. Ich persönlich nutze Alexa, um mir beim Kochen die Rezepte vorlesen zu lassen oder um den Timer zu aktivieren.
Welche Firmen sind noch an eine Sprachsteuerung mit Alexa interessiert?
Hoffentlich alle. Sprachsteuerung kann in jedem Bereich zum Einsatz kommen, zum Beispiel um eine Fahrkarte zu kaufen, das Taxi zu bestellen oder den Ofen anzuschalten. Es gibt keine Grenzen.
Sie betreiben inzwischen elf Logistikzentren. In ihrem neuesten – in Winsen – setzen sie auch erstmals Transportroboter ein. Wie sieht dort die Arbeit zwischen Roboter und Mensch aus?
Vor Jahren haben wir die Firma Kiva Robotics übernommen und die Automatisierung von Lagerregalen vorangetrieben. Damit sparen wir nicht nur Platz, sondern haben auch die Warenentnahme umgestellt. Die Mitarbeiter gehen nicht mehr zu den Regalen, sondern die Regale kommen zu ihnen. Mensch und Technologie arbeiten Hand in Hand.

Leistungskontrolle? Kleber verweist auf die Datenschützer

Die Daten, die dabei anfallen, können auch zur Leistungskontrolle der Mitarbeiter genutzt werden.
Seien sie versichert, die Datenschutzbeauftragten der Länder haben sich die Verfahren vorher genau angeschaut, und wir haben Betriebsräte, mit denen wir eng zusammenarbeiten.
Wann gibt es das erste vollautomatische Lager?
Ich weiß nicht, wie das gehen sollte. Ein Lkw entlädt sich ja nicht von alleine und die Palette wird nicht von alleine umgesetzt. In einem Logistikzentrum gibt es Hunderte von Arbeitsschritten – nur ein Teil davon wird durch die Automatisierung verändert und vereinfacht.
Wird es künftig weniger Menschen in den Logistikzentren von Amazon geben?
Anfang des Jahres hatten wir in Deutschland 14 500 festangestellte Mitarbeiter – am Ende des Jahres planen wir 2000 mehr zu sein: Wir haben dieses Jahr zwei neue Logistikzentren in Deutschland eröffnet und dort viele neue Jobs geschaffen. Und allein zu Weihnachtszeit beschäftigen wir neben den 12 000 fest angestellten Mitarbeitern in unseren Logistikzentren 13 000 zusätzliche befristete Saisonmitarbeiter.