Vor rund 4,5 Milliarden Jahren entstand die Erde. Das Leben auf dem Ur-Planeten könnte weit älter sein als bisher vermutet. Forscher haben den ersten gemeinsamen Ur-Ahnen ausfindig gemacht – LUCA. Wer war er? Wie und wovon lebte er? Und war er alleine?
Nach ihrer Entstehung vor 4,55 ± 0,05 Milliarden Jahre kreiste die Ur-Erde als toter Gesteinsbrocken um die Sonne. In dieser glühend heißen Ödnis inmitten der unendlichen Weiten des Weltalls entwickelte sich aus chemischen Prozessen das erste Leben.
LUCA - Ur-Vater allen Lebens auf der Erde
Dieses Ur-Leben war das älteste Glied in einer endlosen Kette der Evolution. Der Ur-Ahn und Ur-Vater aller Lebewesen. Wissenschaftler haben ihn LUCA getauft – „Last Universal Common Ancestor“, den Letzten universellen gemeinsamen Vorfahren.
Nach der sogenannten monophyletischen (griechisch: einstämmig) Abstammungslehre lassen sich alle Daseinsformen auf der Erde – Menschen, Tiere, Pflanzen, Pilze und einzellige Formen - auf eine einzige Ur-Form zurückführen.
In allen bisherigen Theorien zur Evolution des Lebens auf der Erde ist man davon ausgegangen, dass LUCA vor 3,5 bis 3,8 Milliarden Jahren – also im späten Hadaikum oder frühen Archaikum, dem ersten Äon der Erdgeschichte – entstanden ist.
Ist LUCA älter als bisher angenommen?
Doch der letzte gemeinsame Vorfahre allen bekannten Lebensformen auf der Erde hat womöglich schon viel früher gelebt als bisher angenommen. Bei einer genetischen Untersuchung verfolgte ein internationales Forscherteam um Philip Donoghue von der Universität Bristol den Stammbaum der Arten zurück bis zu den mutmaßlichen Anfängen.
Der Studie zufolge war es ein Einzeller, der heutigen Bakterien ähnelt. Es könnte aber damals auch schon andere Lebewesen sowie Viren gegeben haben, schreibt die Gruppe in ihrer in der Fachzeitschrift „Nature Ecology & Evolution“ erschienenen Studie.
Genetischer Code und Energiequellen des Ur-Lebens
Die heutigen Lebewesen weisen viele Parallelen auf. Unter anderem nutzen sie den gleichen genetischen Code und Adenosintriphosphat (ATP) als Energieträger. Doch bereits Ur-Eukaryoten waren als erste Lebewesen in der Lage, ATP herzustellen.
Adenosintriphosphat ist ein chemisches Molekül, das in jeder Zelle eines Lebewesens Energie bereitstellt. Deshalb nehmen Biologen generell an, dass alle heutigen Lebewesen einen gemeinsamen Vorfahren haben – eben den „Last Universal Common Ancestor“.
„Wir hatten nicht erwartet, dass LUCA so alt ist“
Für das bisher angenommene Alter von LUCA spricht, das frühes Leben vermutlich das sogenannte späte schwere Bombardement nicht überlebt hätte, bei dem vor ± vier Milliarden Jahren allem Anschein nach zahlreiche Himmelskörper auf der Erde einschlugen.
Neuere Untersuchungen deuten darauf hin, dass diese Einschläge möglicherweise weniger heftig waren als bisher angenommen. Dann könnte der letzte gemeinsame Vorfahre auch schon wesentlich früher gelebt haben.
Die Kalkulationen in der aktuellen Studie kommen indes auf ein Alter von 4,2 Milliarden Jahren. Das wäre nur ± 400 Millionen Jahre nach Entstehung des Sonnensystems. „Wir hatten nicht erwartet, dass LUCA so alt ist, nur Hunderte von Millionen Jahren nach der Entstehung der Erde“, erläutert Ko-Autorin Sandra Álvarez-Carretero von der Universität Bristol.
Ursprung von LUCA liegt in der Biochemie
In ihrer Analyse untersuchten das Team um Philip Donoghue bestimmte Gene im Stammbaum der Arten und berechneten ihr Alter unter anderem anhand der vermuteten Mutationsraten - der sogenannten molekularen Uhr. Die Alterskalibrierung ihres Modells überprüften sie an Fossilien.
Dabei fanden sie heraus: Der Ursprung von LUCA liegt in der Biochemie. Verschiedene chemische Bauteile verbanden sich auf der Ur-Erde zu neuen biochemischen Stoffen wie DNA, RNA und Proteinen, den Grundbausteinen des Lebens, wie wir es kennen. Aus diesen Prozessen bildeten sich die ersten Ur-Eukaryoten.
Diese Einzeller bilden neben Bakterien und Archaebakterien (Prokaryoten, Lebewesen ohne Zellkern) eine von drei großen Organismen-Gruppen, die sich im Verlauf der Evolution entwickelt haben. Charakteristisches Kennzeichen der Eukaryoten sind ihre komplex aufgebauten Zellen mit Zellkern und verschiedenen Organellen, die Organe der Zelle darstellen.
LUCA befand sich im Wettrüsten mit Viren
Die Forscher gehen davon aus, dass das Erbgut von LUCA aus rund 2,75 Millionen Basenpaaren bestand – eine vergleichbare Größenordnung wie bei heutigen Einzellern ohne Zellkern, also Prokaryoten. „Interessant ist, dass LUCA offensichtlich über ein frühes Immunsystem verfügte“, sagt Ko-Autor Davide Pisani aus Bristol.
„Das zeigt, dass sich unser Vorfahre bereits vor 4,2 Milliarden Jahren in einem Wettrüsten mit Viren befand.“ Denn das vermutete Luca-Erbgut enthielt bereits Gene für ein einfaches Crispr-System, einem Vorläufer von Crispr-Cas, mit dem sich heutige Bakterien gegen Viren wehren und das auch in der Biotechnologie als Genschere genutzt wird.
Wo lebte LUCA?
Die Forscher gehen zudem davon aus, dass neben Viren auch andere Einzeller in der Umgebung von LUCA lebten. LUCA habe zu den sogenannten acetogenen Einzellern gehört. So benannt nach der Essigsäure, die als Endprodukt ihres Stoffwechsels ausgeschieden wird. Diese könnten Einzeller, die Methan produzieren, als Nährstoff genutzt haben. LUCA selbst könnte, so das Forscherteam, Wasserstoff und Kohlendioxid als Ausgangsprodukte seines Stoffwechsels verwendet haben.
Als Lebensraum können sich die Forscher zwei Bereiche vorstellen, an denen im Ur-Ozean freier Wasserstoff zur Verfügung stand: entweder knapp unter der Wasseroberfläche oder aber an warmen Quellen in der Tiefsee.
Für die erste Möglichkeit spräche, dass eines der von den Forschern postulierten Gene den Bauplan für ein Protein trug, mit dem heutige Lebewesen Schäden durch ultraviolette Strahlung reparieren. Zudem wäre durch den damals starken Vulkanismus genügend Wasserstoff in der Atmosphäre gewesen, der in das Oberflächenwasser hätte gelangen können. Freien Sauerstoff brauchte LUCA demnach nicht.
Wovon ernährte sich das Ur-Lebewesen?
Ur-Eukaryoten ernährten sich von Gasen und liebten es heiß. Ihren Energiebedarf deckten sie aus einfachen biochemischen Reaktionen ohne Hilfe von Sonnenlicht und Sauerstoff. Als Nahrung dienten den Ur-Einzellern Kohlendioxid, Wasserstoff und Stickstoff.
Außerdem benötigte LUCA Metalle wie Eisen und Nickel sowie andere Elemente wie Schwefel und Selen für den Stoffwechsel. So gediehen die ersten Einzeller bei Temperaturen um 100 Grad Celsius in Hydrothermalquellen in der Tiefsee, wo sie wahrscheinlich geochemische Energiequellen wie sie heute noch als Schwarze und Weiße Raucher existieren, anzapften.
„Unsere Arbeit vereint Daten und Methoden aus mehreren Disziplinen und enthüllt Erkenntnisse über die frühe Erde und das Leben, die von keiner Disziplin allein erreicht werden könnten“, betont Donoghue. Die Ergebnisse zeigen, dass sich zu Zeiten von LUCA wahrscheinlich schon ein Ökosystem etabliert hatte.
Reise zu den Anfängen des Lebens
Die Reise in die Ur-Geschichte unseres Planeten ist sensationell. Bisher galten Archaeen als älteste Organismen-Gruppe, gefolgt von Bakterien. Archaeen sind wie Bakterien einzellige Mikroorganismen ohne echten Zellkern. Gemeinsam werden sie als Prokaryoten bezeichnet. Sie sehen sich auf den ersten Blick ähnlich, unterscheiden sich jedoch in ihren Zellstrukturen grundlegend.
Nun könnten einzellige Eukaryoten – sprich LUCA – ihnen den ersten Rang in der Hierarchie des Lebens abgelaufen haben (mit dpa-Agenturmaterial).